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Kultur: Zur Hölle mit den Bildern

Als die Kunst den Rahmen sprengte: Eine Ausstellung in der Berliner Akademie der Künste versammelt Grenzgänger der Malerei.

Wie die Darstellung im Raum am besten gelingt, damit beschäftigen sich Maler seit der Antike. Besonders in der Renaissance sollte die Illusion perfekt sein, das Tafelbild ein Fenster zur Welt. Über den Haufen geworfen wurde all das spätestens im 20. Jahrhundert. „Das Zeitalter einer Kunst paralysierter Farben und Formen ist vorüber. Der Mensch wird für festgelegte Bilder, denen es an jeder Lebendigkeit fehlt, zunehmend unempfänglich“, formulierte Lucio Fontana 1946 in seinem „Manifesto Blanco“ – und ritzte die Leinwände auf, ein Akt der Befreiung. Der Amerikaner Ellsworth Kelly schrieb 1950 an John Cage: „Zur Hölle mit den Bildern.“

Was seit Ende des Zweiten Weltkriegs unternommen wurde, um die Flächigkeit, den Rahmen und das alte Spiel von Vorder- und Hintergrund zu überwinden, zeigt jetzt die Ausstellung „Aufbruch. Malerei und realer Raum“ in der Berliner Akademie der Künste. 80 Arbeiten sträuben sich in den hohen Räumen am Hanseatenweg gegen die Gesetze des Tafelbilds und feiern doch auf ganz wundervolle Weise die Malerei.

Günther Uecker schlägt Nägel ins Bild. Ulrich Moskopp bemalt einen in den Raum ragenden Quader. Arnulf Rainer löst sich vom Untergrund, indem er viele Farbschichten übereinander aufträgt. Gotthard Graubner wattiert Leinwände zu Kissenbildern und lässt die reine Farbe wirken. Der Düsseldorfer Ulrich Erben hat eine Aluminiumplatte über den Rand hinaus mit Schwarz besprüht: Entfernt man das Bild, bleibt dessen Rand sichtbar. Der Amerikaner Sam Francis geht noch weiter: Bei ihm bleibt auf einer überdimensionalen deckenhohen Leinwand nur ein bunter Rand um eine riesige weiße Fläche, die der Betrachter mit seiner eigenen Vorstellungskraft füllen kann. Frank Stella verabschiedet sich vom Rechteck und zeigt auf seinem halbrunden „Basra Gate“ (1967), dass Farben zueinander ebenfalls Tiefenwirkung entfalten. Schwarz setzt sich von Gelb ab, wirkt zurückgesetzt.

Auch Leon Polk Smith experimentiert mit Farbwahrnehmung. Wobei beide Arbeiten nicht nebeneinander hängen, denn die Dramaturgie dieser Schau setzt auf Kontraste. Sie folgt keiner Chronologie, will Tendenzen aufzeigen, keine Entwicklungslinien einer Bewegung. Denn die gab und gibt es nicht. Grafisches Understatement trifft auf schmutzige Materialschlachten, Aggressives auf Spielerisches, Leinwand auf Holz. Kunst aus den 50er Jahren hängt neben Zeitgenössischem. Es ist eine große Freude.

Ihren Anfang nahm die Ausstellung im Bochumer Ausstellungshaus Situation Kunst, wanderte dann ins Museum Pfalzgalerie in Kaiserslautern und nun nach Berlin. Weitere Stationen folgen. In der Akademie wurde die Schau an die Räumlichkeiten angepasst, neue Werke sind hinzugefügt. So hat Bridget Riley für Berlin eigens ihre eigentlich zerstörte Arbeit „Continuum“ von 1963 rekonstruiert. Richtig schwindlig wird es dem Betrachter, wenn er in der begehbaren Installation auf die Innenwände mit ihrem flirrenden SchwarzWeiß-Muster starrt. Riley hat hier ihre Experimente mit optischen Täuschungen, bei der die Tiefe vor dem Auge verschwimmt, ins Räumliche umgesetzt.

Zu Beginn erwartet den Besucher eine knatschgrüne Wand des Österreichers Gerwald Rockenschaub, eine fliederfarbene Metallstange verbindet sie mit einer Säule im Raum. Die für Berlin entstandene Arbeit formuliert die Gemeinsamkeit all der unterschiedlichen Ansätze: Der Blick des Betrachters wandert nicht mehr ins Bild. Das Bild springt ihn an.

Bis 1. Juli, Hanseatenweg 10. Di–So 11–20 Uhr. Katalog 24 €.

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