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Kultur: Zur Kasse gebeten

Nina Sidow macht eine Berliner Galerie zur Drogerie-Attrappe

Vor drei Jahren ist Nina Sidow mit Rekonstruktionen aufgefallen. Mit kühler Ironie baute sie im Puppenstubenformat Ausstellungen nach, die in den Neunzigerjahren in Berlin Aufsehen erregt hatten. Ihre Schau machte schlagartig deutlich, dass die Werke einer Reihe von Künstlern, die als „jung und viel versprechend“ gehandelt wurden, bereits als Markenzeichen wiedererkennbar waren. Sidow dokumentierte lakonisch ihre Beobachtung und enthielt sich des Urteils. Zwar deutete die Schülerin Katharina Sieverdings auf den Punkt, an dem sich die „junge Szene“ befand. Aber nur Insider konnten anhand der Modell-Sammlung den Zeitgeist des Berliner Aufbruchs buchstabieren.

In ihrer neuen Schau kommentiert Sidow die Galerie als Verkaufsraum. Angeregt von Drogerien der Firma Schlecker in der Brunnenstraße, hat sie das Fenster der Galerie Koch und Kesslau den Filialen angeglichen. Ortsunkundige können sich verirren. Denn im Innern finden sie weder Regale noch Waren, sondern nur eine Registrierkasse, die von einer Videokamera überwacht wird (Preis auf Anfrage). In einer Galerie, so die Künstlerin, richtet sich wie in einer Drogerie alles auf das Verkaufen aus. Dazu braucht es nur den Raum. Schließlich können auch leere Galerieräume verkauft werden. Und wenn ein Werk als Marke eingeführt ist, reservieren Kunden ohnehin im Voraus.

Die polemische Gleichsetzung von Drogerie und Galerie mag an Künstlerstammtischen durchaus Plausibilität haben, bleibt aber als Institutionskritik eine Behauptung. Abgesehen davon, dass Apotheken oder Ausnüchterungszellen in einer Analogieführung der Galerie näher kämen. Oder um Sepp Herberger zu paraphrasieren: Eine Zahnbürste ist kein Ausputzer. Ein Galerist richtet doch alles darauf aus, Angebote attraktiv zu machen, für die es keine Nachfrage gibt. Es sieht so aus, als habe Sidow eine Galerie mit dem Büro eines fliegenden Kunsthändlers verwechselt, indem sie die Ebene der Vermittlung völlig ausblendet. Entweder hat sich die Künstlerin verrannt, oder der Kritiker hat nichts verstanden. Aber die Ambitionen von Galeristen lassen sich eben gerade nicht auf die Kasse reduzieren. Die Probe aufs Exempel kann schon bei der nächsten Ausstellung gemacht werden. Dann tritt der Maler Thomas Scheibitz, dem das Markenzeichen „Dresden Pop“ anhängt, als Kurator auf. Er weist sowohl den Titel „Kurator“ wie auch das Label „Dresden Pop“ von sich, lebt aber wie Galeristen vom Verkauf. Es ist aber nicht anzunehmen, dass sich seine Ausstellung darauf reduzieren lässt.

Koch und Kesslau, Brunnenstraße 172, bis 8. März; Mittwoch bis Freitag 14–19 Uhr, Sonnabend 13–18 Uhr.

Peter Herbstreuth

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