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Zur Kultur: Brandrede von Norbert Lammert

Der Mann ist viel unterwegs an diesem Freitagabend: Erst hält Norbert Lammert eine seiner bewährten flammenden Kultur-Lobreden bei der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung am Pariser Platz, Tenor: "Kultur ist nicht die sympathische Nische unserer Gesellschaft, sondern das Eigentliche, das sie zusammenhält."

Dann wechselt er vom Akademie-Jubeljahr (60. Geburtstag) zum Republik-Jubiläum (dito) und tritt zur Reichstags-Illumination umsonst und draußen vor versammelter Schaulustschar auf (mehr dazu auf Seite 4), um kurz darauf in den „Tagesthemen“ mit Karen Miosga über die Bedeutung des Deutschen als Landessprache und deren Verankerung im Grundgesetz zu räsonieren – und auch noch einige Worte über den historisch brisanten Ost-WestFall Kurras/Ohnesorg zu verlieren.

Lammert, der Umtriebige. Neben dem Staatsziel Kultur und seiner Passion für Musik (auf seiner Homepage verrät er gleichwohl, dass er das Buch „Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile?“ von Tagesspiegel-Autorin Christiane Tewinkel gelesen hat) ist dem CDUMann vor allem die gute alte deutsche Sprache ein Daueranliegen: ihre Wertschätzung, ihre Pflege, ihre Tradition. Da ist es doppelt dumm, wenn einem derart kultivierten, seine Worte allzeit wägenden Politiker ausgerechnet zum feierlichpopulären Höhepunkt des Geburtstagsfestakts die Sprache entgleist. Steht Lammert vor dem erleuchteten Reichstag, will überhöhte Erwartungen gesundschrumpfen und sagt: „Wir machen hier heute Abend nicht Reichstag in Flammen.“

Wer zugleich souverän und spontan auftreten möchte, sollte die Gefahren der freien Rede kennen und wissen, wie die Assoziationen dabei ins Kraut schießen und das Unbedachte einem böse Streiche spielt. Rhein in Flammen: Die FeuerwerksSpektakel am Flussufer hat der passionierte Bochumer in seiner NRW-Zeit wohl öfter erlebt (wobei dem Ruhrländer statt „Rhein in Flammen“ auch einmal das Festival „Ruhr in Love“ ans Herz gelegt sei). Und dann gab’s da noch diesen Reichstagsbrand; ein Bildungsbürger wie Lammert hat solche Historie allzeit parat.

Für die große Koalition war er 2005 als Kulturstaatsminister gehandelt worden. Viele hofften auf ihn in diesem Amt, schon wegen seines souveränen Umgangs mit dem Kulturgut Sprache – den man bei Amtsinhaber Bernd Neumann mitunter schmerzlich vermisst. Stattdessen wurde Lammert Bundestagspräsident – ein Job, in dem er auf Sprache und Sitte im wichtigsten Versammlungshaus der Republik zu achten hat. Ist er mit dem Lapsus nun vom Sittenwächter zum Sittenstrolch geworden? Brandrede hin oder her: Im Blick auf ihre Geschichte kann die feiernde Republik ein Lied singen von der Wiederkehr des Verdrängten.

Christiane Peitz über eine Brandrede von Norbert Lammert

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