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ZUR PERSON: Bravissimo!

Im Haus am Waldsee lässt Via Lewandowsky Menschen applaudieren. Ein Gespräch über den Beifall in der Kunst

Herr Lewandowsky, Ihre neue Installation dreht sich um Applaus. Haben Sie im Leben zu wenig Beifall bekommen?

Nach meinem Empfinden: ja. Als Künstler hat man immer das Gefühl, man bekommt zu wenig Applaus. Aber darum geht es bei der Installation letztlich nicht, eher um das System, in dem ich mich bewege, um eine Idee der Umkehrung von bestimmten Mechanismen: Der Künstler holt sich einen Kredit, er geht zu seinem Publikum. Für mich ist das nach 20 Jahren Berlin auch ein Abschiednehmen gewesen. Ich besuche noch einmal alle, mit denen ich in den letzten Jahren zu tun hatte, und lasse mir Vorab-Lob geben.

Für die Beteiligten ist das heikel, denn sie werden als Beifallspender funktionalisiert. Ein ganz schön perfides Verfahren.

Umgekehrt war es auch für mich nicht einfach und eine sehr selbstkritische Angelegenheit: Wie viele Leute werden dem Projekt wohl zustimmen, habe ich mich vorher gefragt. Schließlich war jede Nicht-Antwort oder gar explizite Ablehnung ein potenzieller Kritiker, der den Selbstwert eines Künstlers sofort unterminiert. Das war eine Art Selbsttest: Mag der mich oder nicht? Diese Konsequenz war mir erst später voll bewusst.

Haben alle mitgemacht?

Einige wenige wollten nicht. Das hat unser ambivalentes Verhältnis über die Jahre nochmals dokumentiert. Die anderen habe ich dann in ihrem jeweiligen Arbeitsumfeld oder zu Hause besucht. Der aufgenommene Applaus bewegt sich zwischen fünf und zehn Sekunden. Dieser Moment war für mich sehr unangenehm – als ob man jemanden bei etwas beobachtet, das man lieber nicht sieht. Ich wäre am liebsten rausgegangen, solange das Tonband lief. Auch den Klatschenden war es peinlich. Das ist wie mit der Kamera: Sobald man jemanden filmt, ist dieser das Objekt. Darin besteht auch das Coole dieser Aktion: dass der anonyme Klatscher im Publikum herausgestellt wird. Als ob der Dirigent in der Philharmonie plötzlich sagen würde: Sie da in Reihe 15 kommen bitte mal nach vorn und applaudieren hier vor allen anderen.

In der Installation treten diese Menschen wieder in die Anonymität zurück und werden zum Geräusch. War es das, was Sie wollten?

Man hätte natürlich an jeden Lautsprecher schreiben können: Hier hat Herr X, dort Frau Y geklatscht. In meiner Ausstellung wird stattdessen der Applaus als Idee, als ästhetische Erscheinung extrahiert. Plötzlich klingt das wie Ästeknacken, ein Peitschenschlag, Wasserrauschen. Eine poetische Dimension kommt hinein. Mir ging es um den an eine andere Stelle gebrachten Applaus, der hier völlig fehl am Platz ist, denn im Museum wird normalerweise nicht geklatscht. Obwohl es schön wäre, wenn plötzlich jemand vor einem Werk seiner Begeisterung so Ausdruck verleiht.

Ganz so harmlos ist es nicht. Demonstriert Ihre Installation nicht auch, wie Urteilsbildung im Kunstbetrieb funktioniert, nämlich letztlich durch Akklamation, durch öffentlichen Zuspruch?

Natürlich gibt es auch diese systemkritische Aussage. Um eine andere Metapher zu benutzen: Das Kunstsystem hat einen Zustand der Schwerelosigkeit erreicht. Die Dinge können zwar unterschiedlich groß sein, aber letztlich kommt es auf ihr wirkliches Gewicht an. Dazu gibt es eine sehr schöne Übung für Astronauten im Weltall mit einem Kasten aus Eichenholz, in dem sich Edelstahlkugeln von unterschiedlichem Gewicht befinden. Die Versuchsperson sitzt in ihrer Raumstation, nimmt die Kugeln aus dem Schmuckkästchen und muss sie schütteln und bewegen, um herauszufinden, welche mehr wiegt. Schließlich ist in der Schwerelosigkeit alles gleich schwer.

Und ähnlich unterschiedslos funktioniert heute der Kunstbetrieb?

Kunstkritiker heute haben es schwer. Auch wenn sie mit ihrer Kritik recht haben, können sie falsch liegen. Alles hängt von ihrem Instinkt, ihren Erfahrungen ab. Das System ist so komplex geworden, dass eine Analyse kaum mehr möglich ist.

Können Sie das konkreter beschreiben?

Zum Beispiel: Künstler X hätte vielleicht vor zehn Jahren keine Chance gehabt oder in zehn Jahren wieder. Aber jetzt gerade ist er der große Mann. Und warum kommt Künstler Y plötzlich gut an, den man vor Jahren noch misstrauisch beäugt hat? Jetzt beten ihn alle an wie den neuen Messias. Da wird Kunst plötzlich ganz lebensnah. Es geht um Faktoren wie Ausstrahlung und Netzwerke.

Sie haben vor 2006 im Neuen Berliner Kunstverein eine Ausstellung als riesigen Taubenschlag installiert. War auch das ein Spiegelbild des Kunstbetriebs?

Natürlich. Dieser Taubenstall war eine Allegorie: Wer den größten Haufen macht, ist am stärksten präsent. Aber das hat niemand verstanden. Vielleicht war es zu direkt. Ich hatte mich zuvor gefragt: Wie sieht eine Ausstellung aus, die komplett zugeschissen ist? Wie verändert sich unsere Wahrnehmung von Wert?

Spricht da der Außenseiter in der Kunst?

Ich habe mich schon in der DDR nie einer Szene angeschlossen. Ich mochte weder die Literaturszene im Prenzlauer Berg noch die Super-8-Szene. Das hat mich vor einigem bewahrt: Ich war nie im Dunstkreis von jemandem, der mich später hätte enttäuschen können. Mit der gleichen Skepsis habe ich dann auch in der neuen Situation gearbeitet. Aber ich merke auch: Man schafft es nicht allein.

Installationen wie der Taubenschlag oder der Applaus sind für Sie also auch riskant.

Ich möchte nicht als Nestbeschmutzer dastehen. Schließlich sägt man nicht am Ast, auf dem man sitzt. Es geht beim „Applaus“ vielmehr um eine ironische Auseinandersetzung. Aber es kann auch anders gelesen werden.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Christina Tilmann

Via Lewandowsky

(geboren 1963) begann seine Karriere in der DDR. Schon beim Studium an der Dresdner Kunsthochschule drehte er Super-8-Filme. Im September 1989 reiste er nach Westberlin aus, wo er bis heute lebt. 1991 erhielt er ein Stipendium für das New Yorker PS1, im gleichen Jahr eine Einladung zur documenta IX in Kassel. Zu seinen wichtigsten Projekten gehörte 2000 eine Kollaboration mit dem Dichter Durs Grünbein zum Thema Des Künstlers Hi rn im Dresdner Hygienemuseum.

Lewandowskys Installation bespielt alle elf Räume im Haus am Waldsee (Argentinische Allee 30, bis 28. 12., Eröffnung Samstag, 12 Uhr), das sich zugleich mit neuer Fassade präsentiert. Den restaurierten sandsteinfarbenen Putz hatte 1922 schon der Architekt Walther Grunwald gewählt.

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