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Kultur: Zuwanderung: Offen für Gesellschaft

Ihrem Bundesinnenminister trauen sie einiges zu in der rot-grünen Koalition. Damit keiner sein Zuwanderungsgesetz vorzeitig verbreiten könne, habe Otto Schily die wenigen Exemplare des Entwurfs auf unkopierbarem Papier drucken lassen, munkelten Parlamentarier noch am Donnerstagabend.

Von Robert Birnbaum

Ihrem Bundesinnenminister trauen sie einiges zu in der rot-grünen Koalition. Damit keiner sein Zuwanderungsgesetz vorzeitig verbreiten könne, habe Otto Schily die wenigen Exemplare des Entwurfs auf unkopierbarem Papier drucken lassen, munkelten Parlamentarier noch am Donnerstagabend. Am Freitagmorgen hat die Geheimniskrämerei ein Ende. Und der Minister findet lächelnd: "Es ist ein gelungenes Werk."

Das ist es in der Tat - vor allem gemessen an der Vorgabe, mit der Schily zu Werke gegangen ist. Die stammt vom Kanzler und erinnerte an den riskanten Segeltörn des Odysseus zwischen den Monstern Scylla und Charybdis. Das Gesetz müsse im Bundestag und im Bundesrat eine Mehrheit finden, lautete Gerhard Schröders Auftrag. Der CDU also wohl und den Grünen nicht allzu wehe - dazwischen musste das Gesetz passen, mit dem die allzu geschlossene Gesellschaft Deutschland zum Einwanderungsland werden soll.

Hört man die Reaktionen, ist der Balanceakt gelungen. "Gute Grundlage" lautet der Tenor von Grün bis Schwarz. Die Generalsekretäre von CDU und CSU, Laurenz Meyer und Thomas Goppel, bieten Schily gleich die Parteimitgliedschaft an. Aber jede Seite hält sich schon mal Hintertüren offen: Über manches werde man noch verhandeln müssen. Ein striktes Nein aber ist nirgends zu hören. Dafür böte Schilys Vorschlag auch wenig Angriffspunkte. Geschickt jonglieren der Minister und seine Fachleute immer dort, wo Herzenspunkte von Roten, Grünen oder Schwarzen berührt werden, mit Kann-Bestimmungen. So war absehbar, dass das Thema "Familiennachzug" zu Ärger führen würde. Grüne und SPD wollen Ausländern erlauben, ihre Kinder bis zur Volljährigkeit mit 18 noch nachträglich nach Deutschland zu holen. CDU und CSU fordern, die heute bei 16 Jahren gesteckte Grenze auf zehn, gar auf sechs Jahre abzusenken. Begründung: Wer als junger Mensch erst nach der Schule hierher kommt, womöglich ohne Sprachkenntnisse, ist schwer integrierbar.

Schily kommt nun beiden Seiten entgegen. Reist ein Zuwanderer gleich mit Frau und Kindern im "Familienverband" ein, spielt das Alter keine Rolle. Für den Kinder-Nachzug wird die Grenze auf zwölf Jahre abgesenkt - aber zugleich das Tor für Ermessensentscheidungen der Ausländerämter geöffnet. Die dürften dann künftig auch 18-Jährige noch zu ihren Eltern ziehen lassen, wenn die Heranwachsenden zum Beispiel gut Deutsch sprechen.

Erkennbar Futter für beide Seiten enthalten auch die geplanten Asyl-Änderungen. Einerseits will Schily die Asylgründe leicht ausweiten auf gewisse Fälle nicht-staatlicher Verfolgung. Andererseits will der Minister zum Beispiel solche Flüchtlinge, die ihre Pässe wegwerfen und dadurch das Verfahren erschweren, mit einer neuen Strafvorschrift verfolgen - was bei den Grünen Kopfschütteln auslöste, der Union aber als Symbol der Härte gefallen könnte. "Da ist natürlich überall gezielt Verhandlungsmasse drin", sagt ein Innenexperte der Opposition. Er meint das unter handwerklichen Gesichtspunkten durchaus anerkennend. Der Satz beschreibt aber auch die Tatsache, dass die Parteien vom viel beredeten Konsens ein gutes Stück entfernt sind. Schon zeichnen sich Zankpunkte ab. Dass Schily zum Beispiel über den konkreten Arbeitsmarktbedarf hinaus eine nach Punktesystem und Quote geregelte Zuwanderung zulassen will, schmeckt der Union vom Prinzip her nicht. Bei CDU und vor allem CSU kommt "Begrenzung" nun mal vor "Zuwanderung".

Überdies ist in der Union nicht wirklich geklärt, wie man vorgehen will. Da wohnen in mancher Brust zwei Seelen. Dass Deutschland Einwanderungsland ist und eine Regelung darum überfällig, bestreitet kaum noch jemand. Schily verbreitete denn auch auftragsgemäß Zuversicht, dass es zum Konsens kommen wird: "Ich vertraue darauf, dass die Vernunft obsiegt." Fragt sich nur, welche. Könnte es doch einer um zündende Themen verlegenen Opposition noch vernünftiger erscheinen, sich für 2002 ein Wahlkampfthema zu erhalten.

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