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Kultur: Zuwanderungsgesetz: Noch kompromisslos

"Um zehn Minuten vor Zwölf!" Hans-Peter Repnik zeigt sich empört.

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"Um zehn Minuten vor Zwölf!" Hans-Peter Repnik zeigt sich empört. 58 Seiten Gesetzesänderungsantrag hat die Koalition der Unionsfraktion per Mail zugeschickt, und das am Montag kurz vor Mitternacht - ein, wie der Fraktionsgeschäftsführer findet, schwer verdaulicher Umgang mit der Opposition. Am Freitag schon wollen SPD und Grüne den Bundestag über ihr Angebot für ein Zuwanderungsgesetz abstimmen lassen. Bis Mittwoch um Mitternacht muss darum nach den vorgeschriebenen Fristen der dicke Änderungsantrag von den Ausschüssen beraten sein. "Vom Verfahren her fragwürdig", nennt Repnik das. Sein Chef Fried-rich Merz formuliert es drastischer: Nach dem Motto "Vogel friss oder stirb" lasse sich die Union nicht behandeln.

Man kann den Unmut vielleicht nachvollziehen. Doch steckt hinter der lauten Klage über Umgangsformen weniger echte Empörung als das Zugeständnis, dass CDU und CSU in der Sache vorübergehend sprachlos sind. "Wir werden die Vorschläge sehr sorgfältig prüfen", lautet zunächst die allgemeine Formel. Nachdem der Kanzler, flankiert vom Innenminister und der Grünen-Fraktionschefin Kerstin Müller, der Union ein Kompromissangebot im Zuwanderungsstreit unterbreitet hat, haben selbst Schnell-Kommentierer bei CDU und CSU auf Vorsicht geschaltet. Denn vieles, was Gerhard Schröder verkündet hat, klang gut.

Last-Minute-Angebot

Zu gut jedenfalls, als dass es sich die Union leisten konnte, ohne Bedenkzeit bloß weiter Nein zu sagen. Das Last-Minute-Angebot trifft die Union im Wahljahr an einem diffizilen Punkt. Ginge es nach dem Herzen vieler ihrer Traditionswähler, könnte Deutschland auf ein Zuwanderungsgesetz gut verzichten. Selbst wenn auf dem Etikett "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" steht - das Thema, so eine interne Einschätzung, bereite der eigenen Klientel generell Unbehagen. Hinzu kommt, dass Allensbach-Geschäftsführerin Renate Köcher gerade erst dem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) bescheinigt hat, in keinem anderen Feld sei sein Kompetenzvorsprung größer: 61 Prozent der Menschen - quer durch die Parteivorlieben - trauten dem Bayern eher eine "vernünftige" Zuwanderungsregelung zu als dem Amtsinhaber, vermerkt die Meinungsforscherin.

Auf der anderen Seite hat gerade die Union die Lösung des Problems vorangetrieben. Denn, darin sind sich alle Spitzenleute ebenfalls einig: So wie die Rechtslage jetzt ist, kann sie nicht bleiben. Sie fördert gerade nicht den Zuzug der Hochbegabten und Hochmotivierten, der Facharbeiter und Spezialisten, nach denen die Wirtschaft so dringend ruft. Und nach den detaillierten Vorarbeiten - vom CDU-Entwurf des Saar-Regierungschefs Peter Müller bis zum 16-Punkte-Katalog der Unionsfraktion - wäre ein rein taktisch begründetes Nein schwer zu begründen. Zumal es nicht nur um die Bundestagswahl geht. Es geht zum Beispiel auch um die Zukunft der Großen Koalition in Brandenburg.

Jörg Schönbohm wirkt an diesem Tag wenig glücklich. Einen "Schleiertanz" nennt der Potsdamer Innenminister Schröders Angebot in einer ersten Reaktion und eine "Zumutung": Niemand könne so schnell prüfen, ob sich im Paragraphendschungel des 58-Seiten-Papiers die vier Forderungen wiederfinden, die sein Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) erhoben hat, vom 16-Punkte-Katalog Müllers und der Unionsfraktion zu schweigen. "Stolpe plus Müller gleich Schönbohm" lautete die Standardformel des Ex-Generals. Er will seiner Partei im Bundesrat nicht durch einen Alleingang ein Waterloo bereiten: "Wer glaubt, dass ich zum Ende meiner beruflichen Laufbahn mit dem Kopf unter dem Arm durchs Land ziehen werde, der irrt." An der auch mit Stoiber abgestimmten Linie, dass CDU-Politiker in den Ländern nicht im Bundesrat einem Gesetz zustimmen, das die Unionsfraktion im Bundestag abgelehnt hat, hält Schönbohm fest. Das hat er auch Parteifreunden gesagt, die mit ihm telefoniert haben.

In Berlin hat Fraktionsvize Wolfgang Bosbach die 58 Seiten durchforstet, in Saarbrücken Müller, in München Innenminister Günther Beckstein (CSU). Lange dauert die Prüfung nicht. "Das hört sich alles gut an", sagt einer, der daran beteiligt war. "Wenn man aber ins Detail geht, sieht man, warum so lange gerungen wurde zwischen Rot und Grün."

Eine Marginalie?

Zum Beispiel beim Nachzugsalter für Kinder, die in Deutschland geboren wurden, aber dann in der Heimat ihrer Eltern aufwachsen. Formal entspreche der Regierungsentwurf der Forderung der Union: Von heute 16 soll das Alter auf zwölf Jahre sinken. Doch zugleich werde die Ausnahmeregelung aufgeweicht: Statt "Beherrschung" der deutschen Sprache werde von älteren Kindern, denen die Ausländerbehörde doch den Nachzug erlauben kann, bloß "Kenntnis" des Deutschen verlangt.

Eine Marginalie? Die Union hat beschlossen, das nicht so zu sehen - in diesem wie in anderen Punkten. Und so findet sie nach einem Tag mit vielen Telefonaten doch noch ihre Sprache wieder. "Mogelpackung" nennen unisono Bosbach und Peter Müller das Angebot der Regierung. "Dem kann man so nicht zustimmen", sagt auch Stoiber.

Ob es noch eine letzte Chance auf Nachverhandlung gibt? In der Kürze der Zeit, sagt ein CDU-Spitzenmann am Dienstag, gibt es sie jedenfalls nicht. Was zum Beispiel der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos gar nicht schlimm fände: "Wir können hinterher genauso gut ein Gesetz machen." Hinterher heißt: Wenn wir die Wahl gewonnen haben.

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