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Kultur: Zwangsarbeiter in Spandau - Zwei Baudenkmälern des Dritten Reiches droht die Zerstörung

Die Wetterfahne auf der Wache des ehemaligen Luftfahrtgerätewerkes in Spandau-Hakenfelde wird von einem eisernen Kreuz und der Jahreszahl 1940 geziert. Sie lassen keinen Zweifel an Zweck und Entstehungszeit dieses unter Denkmalschutz stehenden Industriekomplexes aufkommen.

Die Wetterfahne auf der Wache des ehemaligen Luftfahrtgerätewerkes in Spandau-Hakenfelde wird von einem eisernen Kreuz und der Jahreszahl 1940 geziert. Sie lassen keinen Zweifel an Zweck und Entstehungszeit dieses unter Denkmalschutz stehenden Industriekomplexes aufkommen. Sein Kernstück ist das Verwaltungs- und Laboratoriumsgebäude, ein sachlich-funktionaler Putzbau des Siemens-Hausarchitekten Hans Hertlein. Zur Zeit des Dritten Reiches wurden hier Autopiloten gefertigt, unverzichtbare Rüstungsbausteine für Hermann Görings Luftwaffe. Heute macht das Gelände zwischen Streitstraße und Havelufer einen fast idyllischen Eindruck. Es ist die charakteristische Mischung aufgelassener Industriebetriebe: ein bisschen Brachfläche, ein bisschen Gewerbe, die große Fabrikhalle dient der Deutschen Oper als Requisitenlager.

Durch halbhohes Gras gelangt man etwas abseits vom Hauptgebäude zu einer braunen Holzbaracke. Um sie hat jetzt eine Diskussion begonnen. Laut Landesdenkmalamt Berlin handelt es sich um die letzte erhaltene Zwangsarbeiterbaracke auf dem Werksgelände. Abreißen, einlagern oder vor Ort erhalten, so heißen die drei Varianten im Umgang mit dem Holzbau.

Die IVG Tochter BOTAG (Bodentreuhand) will das Gelände des Luftfahrtgerätewerks in einen Teil der "Wasserstadt Spandau" verwandeln. Geplant ist eine Mischung aus Wohnen und Dienstleistung. Neben der alten Wache und einem kleinen Kiosk an der Streitstraße soll lediglich das Hauptgebäude des ehemaligen Luftfahrtgerätewerkes in die neue Siedlung integriert werden. Das übrige Terrain wird abgeräumt. Der Startschuss für das Bauvorhaben soll noch im Sommer 2000 fallen. Gut vierzig Meter ist die Baracke lang und annähernd 10 Meter breit. Trotz des Zaunes, der um das Gebäude gezogen wurde, sind die Spuren seines Verfalls nicht zu übersehen. Ein Hinweisschild weist auf die Einsturzgefahr, die Fensterscheiben sind eingeschlagen.

Schnelles Handeln tut Not, um das Denkmal zu retten. In den Kriegsjahren gab es im Berliner Stadtgebiet Tausende solcher Baracken. Wie viele es genau waren, weiß heute keiner mehr. Auf dem Höhepunkt der NS-Kriegswirtschaft 1944 sind rund 400 000 Zwangsarbeiter in Berlin nachweisbar. Nur wenige der Baracken, in denen sie ihr Dasein fristeten, haben die zurückliegenden 55 Jahre überdauert. Denkmalwert ist die Hakenfelder Baracke daher nicht aufgrund ihrer Architektur, sondern wegen ihrer Funktion. So unscheinbar das Gebäude auf den ersten Blick ist, stellt es doch ein herausragendes geschichtliches Denkmal dar. Die Situation ist grotesk: Während auf höchster politischer Ebene die überfällige Entschädigung der Zwangsarbeiter des NS-Systems beschlossen wird, droht in Hakenfelde ein authentischer Ort dieser Sklavenarbeit zu verschwinden.

Das Beispiel Hakenfelde ist charakteristisch für den noch immer höchst zwiespältigen Umgang mit den unbequemen Baudenkmälern des Dritten Reichs in Berlin. Die Gebäude von Außen- sowie Wirtschaftsministerium in Mitte stehen kurz vor Abschluss ihrer denkmalgerechten Herrichtung. Mit ihnen wurden zwei Großbauten des Dritten Reiches als lebendige Geschichtszeugnisse erhalten. Dabei schien ihr Abriss 1993 bereits beschlossene Sache zu sein. Beide Gebäude präsentieren freilich nur die Schauseite des NS-Systems. Ohne den Blick auf die andere Seite des Terrorregimes bleibt das Geschichtsbild unvollständig. Dazu gehören neben dem Luftfahrtgerätewerk auch die Gebäude an der so genannten "Speerplatte".

Diese 300 mal 300 Meter große Betonfläche am Friedrich-Olbricht-Damm war Teil der gigantischen NS-Planung, Berlin in die neue Hauptstadt "Germania" zu verwandeln. Mit den rund 200 Lkws, die auf der Platte parkten, sollte das Baumaterial für die "Neugestaltung der Reichshauptstadt" von der "Transportstandarte Speer" durch die Stadt gefahren werden. Die Fahrer der Lkws waren in Mannschaftsbauten am Rand der Platte untergebracht, die der TU-Professor Carl Lörcher 1942 errichtete.

Inzwischen ist die Speerplatte verschwunden. Nach dem Ende des Kalten Krieges, in dem sie höchst pragmatisch als Kohledepot des Senats umgenutzt wurde, war sie überflüssig geworden. Jetzt sollen auch die Mannschaftsgebäude verschwinden, die zwischenzeitlich als Obdachlosenunterkunft dienten. Die Berliner Landesentwicklungsgesellschaft (BLEG) will auf dem riesigen Gelände ein Gewerbegebiet entstehen lassen. Die Relikte der "Neugestaltung der Reichshauptstadt" stehen dem vielbeschworenen "Neuen Berlin" im Weg.

Speerplatte und Zwangsarbeiterbaracke beim Luftfahrtgerätewerk präsentieren mehr als den klassischen Interessenkonflikt zwischen profitorientierter Stadtentwicklung und Denkmalpflege. Beide Denkmäler sind geschichtliche Stolpersteine, Wunden im Stadtgrundriss. Ihre denkmalgerechte Einbeziehung in die neue Nutzung der Gelände ist das dringend benötigte Zeichen dafür, dass sich das "Neue Berlin" vorbehaltlos zu seinen Schattenseiten bekennt.

Jürgen Tietz

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