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Kultur: Zwanzig Finger und ein Mord

Eigentlich erstaunlich, dass E. T.

Eigentlich erstaunlich, dass E. T. A. Hoffmann das Ende des Jean-Marie Leclair nicht zu einer Kriminalgeschichte nach dem Muster des „Fräuleins von Scuderi“ ausgesponnen hat. Denn der berühmte französische Geiger und Komponist starb keines friedlichen Todes, sondern wurde in seinem Haus in der Pariser Vorstadt mit drei Dolchstichen ermordet. Am Morgen des 11. Oktober 1764 fand – ganz klassisch und krimigerecht – der Gärtner die Leiche, der Mörder wurde nie ermittelt.

Was Hoffmann versäumte, haben inzwischen einige Musiker nachgeholt: Vor kurzem erschien bei dem französischen Label alpha eine CD mit Violinmusik Leclairs, in deren Booklet der Fall noch einmal gründlich aufgerollt wird und die möglichen Motive der vier Hauptverdächtigen – Bruder, Neffe, Ehefrau und Rivale – überprüft werden. Damit nicht genug, wird jetzt auch in Berlin ermittelt: Der umtriebige Radiomoderator und Nebenberufscellist Clemens Goldberg hat sich ebenfalls der Sache Leclair angenommen und geht, unterstützt von einem kleinen Barockmusiker-Team, am kommenden Samstag (20 Uhr) und Sonntag (17 Uhr) bei den Friedenauer Kammerkonzerten auf Spurensuche. Wurde der Teufelsgeiger, der mit seinen aus Italien importierten Ideen das französische Violinspiel revolutioniert hatte, am Ende vielleicht einfach vom Teufel geholt? Oder sollte der Mörder vielleicht doch der Gärtner gewesen sein?

Ein Kuriosum der Musikgeschichte präsentiert am Freitag auch die Komische Oper in ihrer Gastspielreihe „akut“, die sich explizit mit unkonventionellen Musiktheaterformen auseinandersetzt: Der Mahler-Zeitgenosse Alexander von Zemlinsky, Komponist, Dirigent und leidenschaftlicher Mozartianer, arrangierte vor gut hundert Jahren die gesamte „Zauberflöte“ für Klavier zu vier Händen, und Regiealtmeister Achim Freyer inszenierte 2005 dazu am Mannheimer Nationaltheater die Mozartoper als stummes Spiel für sein berühmtes Freyer-Ensemble, mit seinem alten Stuttgarter Kampfgenossen Dennis Russell Davies und der Japanerin Maki Namekawa am Klavier. Das Gastspiel ist natürlich als Beiprogramm der neuen „Zauberflöte“ von Hans Neuenfels gedacht, die in dieser Woche gleich zweimal, am Mittwoch und am Samstag, auf dem Spielplan steht.

Wer also Angst vor dem Neuenfels’schen Zauberflötenphallus hat, findet bei Freyer, der die Oper als „Kunstvolksstück“ im Grenzbereich zwischen Oper, Schauspiel, Tanz und Musik verorten will, sicher eine poetische, garantiert jugendfreie Alternative. Und wer zwar Mozart mag, aber eine unüberwindliche Abneigung gegenüber Sängern im Allgemeinen und dreigestrichenen Spitzentönen im Besonderen hegt, der hat bei dieser „Zauberflöte für zwanzig Finger“ endlich einmal die Chance, einen ganzen Opernabend (fast) ohne Gesang zu erleben.

Jörg Königsdorf

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