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Kultur: Zwei Schritte vor

Vier Jahre hat es gedauert, bis der Komponist Steve Reich und die Videokünstlerin Beryl Korot ihr neues gemeinsames Werk fertiggestellt hatten - die Videooper "Three Tales", die nun bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde. Wien war schon einmal der Schauplatz einer Reich/Korot-Uraufführung, 1993 mit deren erster Video-Oper, "The Cave".

Vier Jahre hat es gedauert, bis der Komponist Steve Reich und die Videokünstlerin Beryl Korot ihr neues gemeinsames Werk fertiggestellt hatten - die Videooper "Three Tales", die nun bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde. Wien war schon einmal der Schauplatz einer Reich/Korot-Uraufführung, 1993 mit deren erster Video-Oper, "The Cave". Der Erfolg veranlasste den damaligen Musikdramaturgen der Wiener Festwochen, Klaus-Peter Kehr, bei dem Künstler-Paar gleich ein Nachfolgewerk zu bestellen. Damit bescherte er der neuen Direktion der Festwochen - Luc Bondy, Marie Zimmermann und Hans Landesmann - die derzeit ihre erste Saison präsentiert, in der Halle E des neugestalteten Museumsquartiers einen spektakulären Auftakt.

Schon in "The Cave" hatten Korot und Reich den Begriff der "Oper" neu definiert. Die Musik reagierte auf Sprachmuster und -motive von gefilmten Interviews, die auf fünf Leinwände projiziert wurden. Reich, einer der Pioniere der "Minimal Music", hatte seine Laufbahn mit streng mechanisierten Strukturen wie Phasenverschiebungen, Patterns und Schleifen begonnen, die er im Lauf der Zeit mit immer neuen, nach wie vor stark formalisierten Kompositionstechniken anreicherte. Für das neue Werk erprobten Korot und Reich nun eine interaktive Arbeitsweise, die Bild, Sprache und Musik im Entstehungsprozess vernetzt und integriert.

In den "Drei Erzählungen" geht es um drei Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die für das Scheitern oder die Perspektiven menschlicher Schöpfungsträume stehen: die Hindenburg-Katastrophe in Lakehurst 1937, die amerikanischen Atombomben-Tests auf dem Bikini-Atoll ab 1946 und das Klonen des ersten Säugetiers, des Schafes Dolly. Die Librettistin Korot erzählt die Geschichten mit Video-Montagen von Film-Dokumenten und, in "Dolly", erneut mit Interview-Sequenzen. Im Vergleich zu "The Cave" ist der technische Fortschritt eklatant: Für "Three Tales" kann Korot die Bilder und Sequenzen zum Tanzen bringen. Die zentrale Leinwand wird elektronisch mehrfach geteilt, die Bilder - Flug und Untergang des Luftschiffes, Vorbereitung der Atomexplosion über dem Südsee-Atoll, die Gesichter der Wissenschaftler, die den Vorgang des Klonens kommentieren - werden in die wechselnden Abschnitte regelrecht hineinchoreografiert.

Der technische Fortschritt spiegelt sich auch im Reichtum der Bilder. Von der Schwarzweiß-Welt der Katastrophen-Dokumentation führt Korot über kolorierte Bikini-Aufnahmen zu einer synthetisch aufdringlichen Farbigkeit in den Dolly-Interviews. Diese Welt ist hypernatürlich und vollkommen künstlich zugleich. Korot scheint wirklich alle Register moderner Video-Herstellung gezogen zu haben. Dabei wirkt der Umgang mit dem Material, bei allem Ernst der Sache, vollkommen spielerisch: "Wenn man hinreichend leistungsstarke Instrumente zur Verfügung hat, kann man ein Werk zu Hause im Alleingang fertig stellen,", erklärt Korot den Stand der Technik.

Reichs Musik reagiert in "Three Tales" nicht mehr nur auf einen bestimmten Aspekt wie die Sprache, sondern nimmt das ganze Material als Grossform auf. Korot berichtet, wie sie sich gegenseitig fertige Abschnitte ihrer Arbeit auf ihre Computer geschickt haben und derart neue Inspiration zur Weiterarbeit gewannen. Im wesentlichen geht der heute 60jährige Reich dabei von seinem in "Tehillim" und "Different Trains" etablierten Stil aus: Lange Harmonie-Bögen der Sänger und einiger Instrumentalisten spannen sich über ein nur noch als Stützfunktion wahrnehmbares repetierendes Fundament. Die fünf Sängerinnen und Sänger singen den Text, wiederholen Fragmente - während auf der Leinwand, ganz im alttestamentarischen Sinn, die Schrift dazu erscheint.

Gute fünf Viertelstunden dauert dieses Theater der Sinne. Der an Bildschirm und elektronische Grafik gewöhnte Mensch nimmt es kaum als "unnatürlich" wahr. Die Kommunikation finden über Zeichen statt, über Bilder, Texte, Klänge. Der Ton dieser sich so dem Fortschritt verpflichtenden Oper aber ist nachdenklich: Das technisch Machbare ist zwar der Traum des Menschen. Aber wohin er führt, das zeigen der riesige Kadaver des ausgeglühten Luftschiffes, das auf Jahrhunderte unbewohnbare Atoll und der Wort für Wort ausgeschriebene Wunsch des menschlichen Geschöpfs des Propheten Jeremiah: "Mach mich - rückgängig".

Laszlo Molnar

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