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Kultur: Zwischen den Jahren

Warmherzig, argentinisch, gut: „Der Sohn der Braut“ von Juan JoséCampanella

Dies ist ein Hochzeitsfilm, wie der Titel vermuten lässt, und dies ist kein Hochzeitsfilm. Es gibt eine Hochzeit am Ende des Films, wie üblich in Hochzeitsfilmen, und sie rührt einen auch, aber sehr beiläufig, ganz gegen jedes Hochzeitsfilm-Crescendo. Ja, solche Hochzeitsfilme lassen wir uns gefallen – mit ein bisschen Glück im Vorbeischweben, absolut aussteuerfrei und schon vorbei.

Dies ist ein Weihnachtsfilm, wie das Startdatum nahe legt, und dies ist kein Weihnachtsfilm. Es ist zwar ein Film für die ganze Familie, aber eher einer für die ganze Patchworkfamilie; einer, der den Festtagsstress sanft mit dem Alltagsstress seiner Helden kontert, statt das Publikum mit jahresendzeitlichem Kinosüßstoff zu ködern. „Der Sohn der Braut“ ist ein Weihnachtsfilm für den unheiligen Morgen danach – dissonant und harmonisch, cool und warm.

Dies ist ein Hollywoodfilm, wie die Machart vermuten lässt, und dies ist kein Hollywoodfilm. Juan José Campanella hat zwar sein Handwerk in Amerika gelernt, aber „Der Sohn der Braut“ ist ganz und gar argentinisch. Die Geschichte hat alle Ingredienzen eines modernen Unterhaltungsfilms, aber wo Hollywood etwa in Sachen Plot, Ausstattung und Filmmusik aufs Ganze gehen würde, biegt der Film immer wieder souverän ins Spröde ab. Selbst in den rührendsten Momenten – und daran fehlt es keineswegs – gibt es immer jemanden, der auf dem Teppich bleibt. Auf dem Teppich? Eher auf Terracotta oder auch auf Straßenpflaster.

Rafael (Ricardo Darín) ist 42 und am Ende. Dabei gibt er den supervitalen Geschäftsmann. Gibt den erwachsen gewordenen Zorro, der nachts die alten „Zorro“-Folgen guckt. Aber das vom Vater (Héctor Alterio) übernommene Restaurant steckt angesichts der argentinischen Dauerkrise selbst in der Krise, geschieden ist Rafael auch längst, und um seine junge Freundin Naty (Natalie Verbeke) kümmert er sich ebenso wenig wie um seine kleine Tochter (Gimena Nóbile). Das heißt, er ist schon da, aber auch nicht da. Ein abwesend Anwesender. Ein Mann mit Privatleben, aber privat ohne Leben.

Wie abgelegt in dieser Biografie zwischen den Jahren, in denen sich nichts festschreibt als die Abfolge hektischer Tage: die Eltern. Mit der Mutter (Norma Aleandro) hat er sich zerstritten, bevor die Alzheimer-Kranke ins Altersheim kam. Den Vater, der die Mutter täglich besucht und auch Kontakt zu seinem Nachwuchs-Zorro im Hamsterrad hält, nimmt er kaum wahr. Bis der ihm eines Tages eröffnet, er wolle „Mami“ kirchlich heiraten – und ihr nach fast 50 Jahren Ehe ihren liebsten Kleinmädchenwunsch erfüllen. Kurz darauf streckt ein Infarkt Rafael nieder – und alsbald erkennt der Genesende, dass etwas sehr anders werden muss in seinem gedankenlos runtergelebten Leben.

Das liest sich so angestrengt konstruiert, wie es unangestrengt inszeniert ist, ganz ohne Schicksalsschlagtremolo. Der impulsive Rafael bleibt der impulsive Rafael, das Leben genannte Chaos geht einfach weiter; nur der Film, der zunächst einen langen Tag im diesem wirren Männerleben dokumentierte, wird langsamer, sieht und hört seinen Figuren länger zu. Doch immer, wenn uns vor lauter zu Entscheidung drängenden Situationen gar zu feierlich zumute werden will, befreit er sich und uns durch einen Dialogschwenk, einen Situationsschnitt, eine Pointe. Die kann dann zum Weinen komisch oder auch zum Totlachen traurig sein.

Manchmal vertändelt sich „Der Sohn der Braut“ in seinen knapp zwei Stunden ein bisschen in Nebenhandlungen, Nebenpersonenvertiefungen auch – doch kaum runzelt man deshalb die Stirn, schenkt eben jener Umweg dem Film wieder eine Szene, die für alles entschädigt. Und mitten im funkelnden Wortwitz des Drehbuchs von Fernando Castets stürzt man immer wieder in Stille. Was ist Freundschaft? Jemanden sprechen lassen. Was ist Liebe? Einen Schmerz verschweigen. Was ist ein guter Film? Aufhören, wenn’s am schönsten wird.

Ab Donnerstag, 26. Dezember, in den Kinos Cinema Paris, Cinemaxx Potsdamer Platz, Kulturbrauerei, Yorck und Babylon Kreuzberg (OmU)

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