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Kultur: Zwölf Takte für John

Sie nennen ihn Vater des weißen Blues: ein Brief an John Mayall, der heute siebzig wird

Lieber John,

heute wirst Du seltsame Siebzig, und irgendwie will ich Dir gratulieren. Weißt Du, in der Redaktion besprechen wir Anfang des Monats immer die runde Geburtstagsliste, und ganz unten im November, da stand Dein Name. Und ich dachte, hat ja noch’n bisschen Zeit, ich schreib Dir mal was.

Das erste, was mir klar wurde: So richtig kennt Dich keiner mehr, jedenfalls die jungen Leute bis in ihr vierzigstes Jahr. Die sind später eingestiegen ins Musikzuhören, und bei den eigenen Anfängen ist der Mensch ja besonders streng. Dann sah ich: Du stehst ja nicht mal im großen Munzinger, wo die berühmten Leute so alle paar Jahre lebensherbstwärts auf den letzten Stand gebracht werden. Und ein paar neuere Zeitungsausschnitte gaben mir die Kollegen im Archiv, Ausschnitte von Konzerten in Leinefelde bei Erfurt zum Beispiel, Artikel, wo Du „alter Brummbär“ genannt wirst oder „Blues-Routinier“. Also: Haben die Leute Dich nicht nur vergessen, sondern entdecken Dich nicht mal, wenn sie Dich hören?

Gut, ich halte Dir die Treue, wenn auch eine seltsame Treue. Nur vier CDs habe ich von Dir (die gleichen LPs hab ich irgendwann verkauft), und ich höre sie, sei mir nicht böse, nicht oft. Aber ich hab sie im Ohr, das ist doch auch schon mal was. Und weggeben würde ich sie ganz bestimmt nie.

Bin als Dein Fan eingestiegen 1968, da war ich noch soooo viel jünger als Du, und war 1970 schon wieder weg. Man wechselt eben schnell seine Lieben und Vorlieben, wenn man jung ist. Aber dafür hab ich Deine beste Zeit erwischt. Zwar waren Deine legendären Bluesbreakers schon fast vorbei, Eric Clapton bei Cream, Peter Green bei Fleetwood Mac, und 1969 ging auch Mick Taylor mit Deinem Segen zu den Stones. Aber die beste Zeit war es trotzdem: meine Zeit.

Gestern habe ich alle vier CDs wieder gehört, Dir zur Feier, und weil auch ich ein bisschen älter geworden bin, in ordentlich chronologischer Reihenfolge – erst die „Blues from Laurel Canyon“ von 1968, meine Lieblingsplatte; dann „The Turning Point“ (1969), womit Du Dich, das war klasse, vom Schlagzeug und der heavy lead guitar verabschiedet hattest; dann die „Empty Rooms“, irgendwie auch meine Lieblingsplatte, und sei es wegen „Lying in My Bed“; und, nunja, „USA Union“ von 1970, Deine erste ganz mit amerikanischen Musikern, da warst Du gerade aus England nach L.A. in Deinen Laurel Canyon umgezogen, und irgendwie amerikanisch klangst Du nun auch.

Ist ja richtig, was die Leute so sagen, die Dich viel später kennen gelernt haben, weil sie zum Beispiel über das Konzert in Leinefelde bei Erfurt schreiben mussten, wo Du dies Jahr mit neuen CDs unterm Arm angerückt bist – CDs, die ich, ehrlich gesagt, gar nicht hören will. Ist schon richtig: Deine Stimme ist brüchig – aber war sie das nicht immer, und war das nicht gerade toll, dass da nur eine Oktave war und beidseits davon eher ein Schrei und ein Sprechgesang? Auch richtig: Dein Klavierspiel hat immer bloß simpel und solide geklungen – aber na und? Dafür Deine Gitarre! Deine Mundharmonika! Deine Wahnsinns-„Room to Move“- Mundharmonika am Ende vom „The Turning Point“, die in ein Zungenschnalzen übergeht, in reinen Rhythmus für den schönsten Break des weißen Blues. Und überhaupt, Deine Kompositionen, Dein Sinn für Arrangement, für Timing, auch in den ganz langen Sachen. Überhaupt diese ewige Unfähigkeit, still zu sitzen, wenn Du klingst.

Siehst Du, ich schwärme. Auch wenn ich Dich schon lange nur noch selten höre, weil das mit der Musik ja auch bei mir weitergegangen ist, aber ich bin wohl immer noch Dein Fan. Dein alter Fan, alter Brummbär – ist das okay so für uns?

Was man so alles nachliest vor so einem, na ja, etwas offenen Brief. Manches will man ja gar nicht so genau wissen. Dass Du Vater von sechs Kindern und sechs Enkelkindern bist – zum Teufel, was hat das mit Deiner Musik zu tun? Dass Du nie gekifft haben willst, das hätte ich wiederum nicht gedacht. Dass Du als Kind am liebsten auf Baumhäusern gewohnt hast, das gefällt mir (hast Du damals eigentlich auch schon diese tollen Wildleder-Stirnbänder getragen wie ich später, Deinetwegen?). Und 1979, da hatte ich Dich schon ziemlich gut vergessen, da soll Dir ein Buschfeuer dein Laurel Canyon Home abgefackelt haben, mit allem Drin und Dran, mit Deinen geliebten Tagebüchern und den Tagebüchern Deines Vaters. Das rührt mich.

Und es passt auch eher zu Deiner Musik. Die, trotz allem, oft eine traurige ist. Du würdest sagen: low volume. Auch das unglaubliche „Crying“ auf „USA Union“ ist nicht wirklich laut: diese Geige von Don „Sugarcane“ Harris, und wie nach einer Endlosigkeit so wunderbar der Bass einsetzt. Oder „Lying in my Bed“: Du sprichst bloß, dazu ein sanfter Blues der Gitarren, es ist fünf Uhr morgens, und Du liegst wach neben einer Frau, die Du noch nicht lange kennst. Ein Selbstgespräch, das von ihrer Schlafeseinsamkeit erzählt und nebenbei von Deiner eigenen, der Einsamkeit, ohne die es keinen Blues gibt auf der Welt, auch keinen weißen. Das alles werde ich immer hören, John: Ich brauche es mir nur vorzustellen, aber das weißt Du ja.

Happy Birthday!

Dein Jan Schulz-Ojala

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