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Gerade für Lkw-Fahrer ist es beim Abbiegen schwierig, Fahrradfahrer zu sehen.

© picture alliance / dpa

München schlägt Berlin bei Fahrradstraßen: ADAC setzt sich für Berliner Radler ein

In Berlin und Brandenburg dürfe es nicht nur um Autos gehen - findet der ADAC. Im Gespräch fordert Club-Chef Manfred Voit mehr Fahrradwege und schlägt Maßnahmen gegen die vielen Verkehrsunfälle vor.

Herr Voit, was fahren Sie als Berlin-Brandenburger ADAC-Chef für ein Auto?

Ich fahre einen 14 Jahre alten stadterprobten BMW Z 3.

Und wie sieht Ihr Konto in Flensburg aus?

Mein Punktekonto sieht recht gut aus.

Früher war der ADAC ein Autolobby-Verein. Wen vertreten Sie eigentlich heute?

Wir sind schon lange nicht mehr nur Automobilclub, sondern wir verstehen uns als Mobilitätsdienstleister. Dabei setzen wir nicht nur auf das Auto, sondern auf ein Gesamtkonzept für den öffentlichen Nahverkehr, auf Fußgänger, Fahrradfahrer und natürlich auch Auto- und Motorradfahrer. Übrigens fahren auch viele ADAC-Mitglieder und deren Kinder Fahrrad. Wir sind nicht autofixiert. Wir setzen uns für alle Verkehrsteilnehmer ein.

Wie sieht die Situation in Berlin aus?

Es gibt einiges zu tun. Es fehlt die Balance zwischen den berechtigten Anforderungen aller Verkehrsteilnehmer. Beispielsweise fehlen Alternativen, um den Autoverkehr zu reduzieren. Wir brauchen komplexere Lösungen.

Was schlagen Sie vor?

Die Organisation des Autoverkehrs muss spürbar geändert werden. Ein Dilemma sind die Park-and-Ride-Plätze am Stadtrand. Laut Brandenburger Infrastrukturministerium haben wir davon zurzeit nur 17.800 für insgesamt 284.000 Berufspendler. Sogar an Fahrradstationen fehlt es. Auch die Bahn ist bei diesem Thema nicht sehr kooperativ. Ganz ruhig werden alle Beteiligten, wenn die Finanzierungsfrage aufkommt. Dass es geht, sieht man in München: Dort gibt es an jedem Bahnhof ordentliche Park-and-Ride-Plätze.

Manfred Voit, 64, ist seit 2011 Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Automobil- Clubs (ADAC) in Berlin und Brandenburg.
Manfred Voit, 64, ist seit 2011 Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Automobil- Clubs (ADAC) in Berlin und Brandenburg.

© Thilo Rückeis

Unterstützen Sie die Radverkehrsstrategie des Senats?

Wir fordern sogar noch mehr Fahrradstraßen in Berlin. München hat 40 Fahrradstraßen, in Berlin gibt es nur 17. Ich wohne selbst in einer und mache dort täglich positive Erfahrungen. Als Autofahrer müssen wir dann aber lernen, dass Fahrradfahrer dort selbstverständlich bevorrechtigt sind. Ich wünsche mir aber, dass sich so mancher Fahrradfahrer defensiver verhält und beispielsweise die Gefahr des Toten Winkels bei abbiegenden Lkw stärker berücksichtigt.

Sind Sie eigentlich mit der Parkplatzsituation zufrieden?

Die vorhandenen Parkplätze müssen selbstverständlich erhalten bleiben. Ein echtes Ärgernis ist beispielsweise die Situation am Olivaer Platz in Charlottenburg. Dort fallen 124 Parkplätze für den Park weg, obwohl es eine Alternative geben würde: den Bau einer Tiefgarage unter dem Park, die ein privater Anbieter finanzieren könnte. Der Wegfall der Parkplätze ist für Anwohner und Gewerbetreibende misslich, wie in vielen anderen Innenstadtbezirken auch.

Was halten Sie von der Parkraumbewirtschaftung?

Das kann ein sinnvolles Instrument in bevölkerungsdichten Gegenden sein. In Prenzlauer Berg haben wir die Parkraumbewirtschaftung sogar klar befürwortet.

Es gibt in Berlin unzählige Baustellen. Wie finden Sie die Koordinierung?

Nicht gut. Ein professionelles Baumanagement fehlt, das zeitliche Vorgaben setzt und den Baufortschritt kontrolliert. Es wäre auch gut, an exponierten Baustellen nachts zu arbeiten.

Ein anderes typisches Berliner Problem sind die Schlaglöcher. Reicht das Schlaglochprogramm mit 25 Millionen Euro in diesem Jahr aus?

Bei maroden Straßen ist es wohl besser, Straßen komplett zu sanieren, als ständig Flickschusterei zu leisten. Dafür sollte der Finanzsenator mehr Geld bereitstellen. Denn Schlaglöcher sind kein optisches Problem: Sie sind für Radfahrer, Motorrad- und Autofahrer ein echtes Sicherheitsrisiko.

Viele Berliner fordern, dass die Polizei häufiger Geschwindigkeitskontrollen durchführt. Wäre das in Ihrem Sinne?

An markanten Stellen wie Schulen oder Kindergärten soll durchaus geblitzt werden, vor allem jetzt zum Schulstart. Wir verteilen übrigens auch in diesem Jahr, wieder 52.000 Sicherheitswesten für die Erstklässler in Schulen. Und wir appellieren an die Eltern, ihren Kindern frühzeitig Selbstständigkeit beizubringen und sie anfangs auf dem Fußweg zur Schule zu begleiten. Es verunglücken übrigens auf dem Schulweg mehr Kinder im Auto als auf dem Fußweg dorthin.

Der ADAC muss nach dem Manipulationsskandal beim „Gelben Engel“ um seine Glaubwürdigkeit kämpfen. Sie als Vorsitzender des ADAC Berlin-Brandenburg sind in den Reformprozess eingebunden. Was machen Sie?

Nach Bekanntwerden der Manipulationen hat der ADAC schnell reagiert. Der verantwortliche Chefredakteur und etliche Führungskräfte wurden entlassen, sogar der Präsident ist zurückgetreten. Wir arbeiten jetzt ein Sieben-Punkte-Programm ab, das von externen Fachleuten, vom Präsidium, Verwaltungsrat, Haupt- und Ehrenamtlichen begleitet wird. Ich sehe es als meine Verantwortung, diesen Reformprozess aktiv zu unterstützen. Ich bin mit meinen Vorstandskollegen und der Geschäftsführung eng in die verantwortlichen Gremien eingebunden.

Und was wollen Sie verändern?

Wir haben bundesweit von unseren 18,7 Millionen Mitgliedern 300.000 verloren, in Berlin und Brandenburg von 1,28 Millionen Mitgliedern knapp 10.000. Wir müssen also Vertrauen zurückgewinnen. Für mich ist es oberste Priorität, dass der ADAC weiterhin ein Verein bleibt. Wir werden uns deshalb von etlichen der 350 wirtschaftlichen Tätigkeiten in Gesellschaften und Produkten trennen. Wir werden uns ein Compliance-Programm geben, an das sich alle ADAC-Angehörigen halten müssen. Ganz besonders wollen wir unsere Mitglieder stärker in den Verein einbinden. Wir müssen wieder lernen, die Meinung unserer Mitglieder zuerst abzufragen, bevor wir Stellung zu Themen wie Tempolimit oder Maut beziehen.

Was unterscheidet den Berliner vom Brandenburger Autofahrer?

Berliner Autofahrer sind routinierter im Stadtverkehr als die Brandenburger, die im Flächenland unterwegs sind.  Die Berliner lassen sich schneller aus der Reserve locken. Ich würde mir ein defensiveres Verhalten wünschen. Die Brandenburger Autofahrer beherrschen dafür die Landstraßen besser.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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