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Mülltonnen vor der Nase? In manchen Erdgeschoss-Wohnungen mit Blick auf den Hinterhof muss man einiges ertragen.

© Imago

Wohnungssuche in Berlin: Parterre, Seitenflügel und Blick auf die Biotonne

Acht Monate, 94 Wohnungen – manche ohne Küche, manche auch ohne Strom. Wer zwei Zimmer zur Miete im Zentrum sucht, kann einiges erleben. Bericht einer Odyssee.

Als ich im August vergangenen Jahres eine E-Mail schrieb, wusste ich nicht, dass es zwei magische Wörter gibt, die größte menschliche Zuneigung und ernst gemeintes Mitgefühl erzeugen: „Suche Wohnung“, schrieb ich in den Betreff einer sonst so lässig wie möglich formulierten Mail an einen ansehnlichen Empfängerkreis. Auf die grobe Eingrenzung – 60 Quadratmeter, zwei Zimmer, um die 600 Euro, innerhalb des S-Bahn-Rings – und einem möglichst viele Chancen wahrenden „alles nicht in Stein gemeißelt, kommt auf die Wohnung an“, habe ich viel Zuspruch und Trost von den Menschen erfahren, die gerade nicht einen Millionär geheiratet hatten. Für den Notfall gab es das sehr nette Angebot, im Sommer in einer tatsächlich sehr hübsch vor den Toren Spandaus gelegenen Datsche unterzukommen. Danke, Leute!

Freiberufler sind das "fahrende Volk" der Neuzeit

Zu der Zeit hatte ich allerdings keine Ahnung von dem Spaß, der noch auf mich wartete. Es begann mit Papierkram: Eine Schufa-Auskunft und eine Mietschuldenfreiheitsbescheinigung (inzwischen mein Lieblingsbandwurmwort), die nicht älter als drei Monate sein dürfen – so was ist durchaus immer wieder zu beschaffen. Immerhin trauen Makler und Wohnungsverwaltungen diesen Schriftstücken. Zu meiner Betriebswirtschaftlichen Auskunft (kurz BWA, wen’s interessiert), einer Bescheinigung meines Steuerberaters über meine Einkünfte als Freiberufler, sagte eine Maklerin: „Ist die auch echt? Manche Leute lassen sich so was in Berlin ja irgendwo an der Ecke abstempeln.“ Sie sagte das auf Bayerisch. Immerhin wollte sie nicht meine Steuererklärungen der vergangenen drei bis fünf Jahre sehen wie andere Vermieter. Freiberufler sind offenbar das „fahrende Volk“ der Neuzeit.

Ein "lichtdurchfluteter Traum" sieht anders aus

Allerdings war ich bei der Wohnung (Wedding) mit der Maklerin aus München ohnehin auf das Versprechen eines „lichtdurchfluteten Traums“ mit „schönen grau gestrichenen Dielen“ hereingefallen. Naja, die Dielen waren vermutlich wirklich schön grau gestrichen. Ich konnte das aber wegen des spärlich einfallenden Tageslichts nicht erkennen. Aber das würde sich ja dann ändern, wenn die reihum den Hinterhof verschattenden Häuser mal gesprengt sein würden.

Anfängerfehler, dachte ich. Beim nächsten Mal guckst du bei Google-Street-View nach. Das hilft zwar nicht gegen den Betrug mit aufgemotzten Fotos in den gängigen Online-Portalen. Aber immerhin ahnt man, dass „sonnendurchflutet“ bei einem Haus mit Fensterfront nach Norden eher nicht sein kann. Allerdings versagt auch diese Technik, wenn sich Wohnungen aus dem vierten Stock im Vorderhaus in den drei Tagen bis zur Besichtigung wundersamerweise in den rechten Seitenflügel parterre begeben, mit Blick auf die Biotonne. Von wegen Immobilie.

"Sie können sich ja 'ne Wand einziehen."

Als ich mich bei einer Hausverwaltung nach einer neu auf deren Webseite eingestellten Zwei-Zimmer-Wohnung (Wedding) erkundigte, sagte der Mann in der Hotline: „Nee, das ist jetzt eine Ein-Zimmer-Wohnung.“ – Ich: „Aha. Wie das?“ – Er: „Tja, haben wir gerade festgestellt. Die war bei uns jahrelang anders im System. Sie können sich ja ‘ne Wand reinziehen, wenn Sie wollen.“ Es war Freitagnachmittag, vielleicht war er schon angetrunken, zumindest hatte er Spaß. Zumindest er.

An einem sonnigen Sonnabend im September durfte ich das andere Extrem genießen, als ich mit rund 100 anderen Menschen erlebte, wie ein Verwalter verzweifelt versuchte, diese Masse zivilisiert durch das Treppenhaus (Schöneberg) in den vierten Stock zu schleusen. Die aktuelle Mieterin hatte Panik im Gesicht.

So weit muss es aber erst einmal kommen: Zeit ist bei einigen, die einem die Wohnung aufschließen sollen, eher relativ. Mehr als eine Stunde habe ich gewartet, um mir eine Wohnung (Kreuzberg) anzusehen, bei der vor lauter hektischem Renovieren und Wände-Neu-Ziehen jemand vergessen hatte, eine Küche einzubauen. In das, was dort im Flur vor dem Klo eine Küche darstellen sollte, passte nur das Waschbecken einer Puppenstube.

Was als "lichtdurchfluteter Traum" angepriesen wird, stellt sich zuweilen als Bruchbude heraus.
Was als "lichtdurchfluteter Traum" angepriesen wird, stellt sich zuweilen als Bruchbude heraus.

© dpa

Kein Strom, dafür jede Menge Handys

Ein anderer jungdynamischer Mann sprang eine dreiviertel Stunde zu spät aus seinem Auto und rief den knapp 40 in der Dezemberkälte Frierenden ein joviales „Na, Sie warten bestimmt auf mich!“ zu. Es schneite nicht, ging aber auf acht Uhr am Abend zu. Der Mann schien vorbereitet zu sein: Vom Beifahrersitz seines Autos hob er einen Baustellen-Strahler. Dessen Kabel steckte er in der völlig dunklen Wohnung (Nord-Wedding) im dritten Stock mit Schwung in die Steckdose und es passierte – nichts. „Oh, kein Strom mehr!“ Seine Fröhlichkeit bremste das keineswegs. „Wissen Sie was: Wir sind so viele und Sie haben doch alle Handys dabei...“ Die ersten Wohnungssucher im finsteren Flur rissen ungläubig die Augen auf. „… die machen Sie jetzt alle an und gehen gemeinsam durch die Wohnung. Das ist hell genug.“ Die Atmosphäre gefror. Einige schalteten ihre Telefone an. Es half nicht.

"Die Wohnung ist längst weg. Oh, hat Ihnen denn niemand abgesagt?"

Ich habe diesen Mann im Februar noch einmal gesehen (Moabit). Ich wartete mit mehreren Studenten vor einer Wohnung, den Termin hatte es diesmal per E-Mail gegeben. Er kam wieder eine Stunde später, holte aber nur die Schlüssel für eine Besichtigung im Nachbarhaus aus einem kleinen Tresor in der Wand. Was wir denn wollten? „Die Zwei-Zimmer-Wohnung“, sagte einer der Studenten. „Ach, die ist längst weg. Hat niemand den Termin abgesagt?“ Es war ein sonniger Tag und ich schaffte es gerade noch zur nächsten Besichtigung (Moabit).

Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, durch wie viele Wohnungen ich gestapft bin, aber jetzt noch einmal nachgesehen: Es müssen 94 gewesen sein. Letztlich kamen 19 für Bewerbungen infrage. Höhepunkte der Nicht-Bewerbungen: Eine Maklerin kletterte mit den Worten „Eine Wohnung mit Potential“ zu dem Objekt (Charlottenburg) hinauf. Ich bin heute noch froh, lebend aus dieser Ruine herausgekommen zu sein, in der Stromkabel offen aus der Wand ragten, die wohl schon Volksempfänger versorgt hatten. „Müssten Sie vielleicht was dran machen“, sagte die Maklerin, „oder der Eigentümer.“ Was auch dringend für den Balkon galt, auf den sich niemand zu treten traute.

Makler-Optimismus hilft

Sehr deutlich vom Kapitalismus machte eine Hausverwaltung Gebrauch, als sie mailte: „Aufgrund der explodierenden Nachfrage ist der Mietpreis von 655 € auf 759 € gestiegen.“ Ich schlug aus. Ebenso die Angebote, ganze Küchen (Neukölln), halbe Schlafzimmer (Schöneberg) oder hässliche Fußböden (Lichtenberg) zu übernehmen. Mit dem Satz „Ich weiß gar nicht, wie man ohne Laminat leben kann“, pries mir eine Mieterin (Britz) ihren Bodenbelag an, für den sie einen irren Abstand haben wollte und unter dem ein schöner Holzfußboden schlummerte.

Letztlich muss man die Sache mit Makler-Optimismus sehen. Nach der Besichtigung eines Dachgeschosses (Tegel) sagte der eloquente Mann den zehn Interessenten vor der Haustür: „Ihre Chance ist besser als im Lotto!“ Und tatsächlich gab es am Ende auch für mich einen Gewinn: Neukölln, Südbalkon, fast noch innerhalb des S-Bahn-Rings. Zwischenzeitlich habe ich aber mit der Datsche geliebäugelt.

- Marcus Müller, Jahrgang 1972, ist freier Journalist und Autor in Berlin.

Marcus Müller

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