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Sprengmeister Mike Schwitzke zeigt die entschärfte Weltkriegsbombe.

© dpa

Bomben-Entschärfung: Potsdam im Ausnahmezustand

Für die Entschärfung einer Fliegerbombe und einer Handgranate aus dem Zweiten Weltkrieg mussten am Dienstag rund 9000 Potsdamer ihre Wohnungen verlassen, der Zugverkehr war unterbrochen, der Hauptbahnhof und die Lange Brücke gesperrt. Chronik eines Tages.

Für Potsdam war es die 131. Fliegerbombe seit 1990: Für die Entschärfung nahe der Nuthe in Zentrum-Ost stand die Stadt am Dienstag stundenlang still. 13.38 Uhr konnte Sprengmeister Mike Schwitzke Entwarnung geben – er warnte gleichzeitig vor: Schon in Kürze könnte ein weiterer Bombenfund blühen.

7.30 Uhr, Feuerwache, Holzmarktstraße
Im Hof haben sich die Rathausmitarbeiter, Rettungskräfte, Feuerwehrleute versammelt: Rund 700 Menschen sollen die Evakuierung begleiten, allein 390 ältere Betroffene brauchen Hilfe beim Transport. Als Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) das Einsatzteam begrüßt, setzt Nieselregen ein. Immerhin: „Nach Lage der Dinge brauchen wir heute alle anschließend nicht mehr an den Schreibtisch zurückzukehren“, sagt Jakobs.

8.05 Uhr, Burgstraße
Rathausmitarbeiter durchkämmen in Kleingruppen den Sperrkreis, klingeln an jeder Tür. Nadine Spur stößt schon beim ersten Aufgang in der Burgstraße auf verbliebene Bewohner. „Es ist Bombenentschärfung, Sie müssen bis 8 Uhr raus sein“, erklärt sie freundlich und bestimmt. Ursula Krüger-Kühn ist merklich aufgeregt: „So weit sind wir noch nicht“, sagt die 80-Jährige. Nach kurzer Wartezeit macht sie sich mit ihrem Mann Gerhard dann doch auf den Weg. „Ich habe den Krieg mitgemacht, als zehnjähriger Junge die Bombardierung hier erlebt“, erzählt er. Evakuierungen sind die Krüger-Kühns gewohnt: „Ich weiß nicht, wie oft wir schon raus mussten.“

8.50 Uhr, Seniorenheim am Hauptbahnhof
Für das Pflegeheimes der DSG am Hauptbahnhof ist es dagegen eine Premiere. Schon sechs Uhr gab es für die 123 Bewohner Frühstück. Die mobileren unternehmen einen Ausflug nach Klaistow, andere kommen tagsüber in einem Heim in Babelsberg unter. Aber auch die Familien helfen und nehmen ihre Angehörigen auf, erzählt Heimleiterin Jaqueline Schröter: „Wir sind gut vorbereitet.“

9.22 Uhr, Jugendzentrum Freiland
Senioren auch im Freiland: Das Jugendzentrum in der Friedrich-Engels-Straße ist eine von fünf Unterkünften für Evakuierte. Übers Internet hatte man rund 20 freiwillige Helfer zusammengetrommelt, erzählt Freiland-Chef Dirk Harder. Sie schmieren Schnitten, kümmern sich um die Senioren, Stefan Kahlau spielt sogar Klavier. „Man fühlt sich wohl hier“, lobt Eva Oldenburg, die mit Mann und Hund aus Zentrum Ost gekommen ist. Im Clubraum muss die Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger Händchen halten – eine Dame kämpft mit den Tränen, als sie von ihren Kriegserlebnissen erzählt: „Das kommt jetzt alles wieder hoch.“

10.45 Uhr, Babelsberg
Auf dem S-Bahnhof Babelsberg fahren die Bahnen nur noch alle 20 Minuten – an den Straßenbahnhaltestellen wird es dann sehr voll. Viele Menschen, die aus Berlin ankommen, fühlen sich schlecht informiert. Auf der Homepage der Berliner Verkehrsbetriebe habe es keine Infos zur Bombe gegeben, ärgert sich eine Berlinerin, die mit Besuch aus Israel unterwegs ist. Anderswo muss gleich gelaufen werden: Wer an der Straßenbahnhaltestelle Magnus-Zeller-Platz die Ordner vom Vip-Infoteam fragt, wie man in Richtung Alte Brauerei gelangt, bekommt die ernüchternde Antwort: Es fährt gar nichts. Auf Potsdams Straßen allerdings bleibt das erwartete Verkehrschaos aus.

Mittags in Potsdam West
So still kann eine Stadt sein. Auf der Zeppelinstraße fahren kaum Fahrzeuge. Am Bahnhof Charlottenhof hält seit 10 Uhr 30 kein Zug mehr. Mitarbeiterinnen der Deutschen Bahn schicken Zugreisende nach Park Sanssouci. Vor dem Bahnhof wartet Busfahrer Maik Schönitz auf seine nächste Tour im Ersatzverkehr zum Bahnhof Wannsee. Sein Bus fährt allerdings meist leer. Schönitz selbst war heute drei Stunden früher auf Arbeit. Denn auch er wohnt im Sperrgebiet.

11.45 Uhr, Einsatzzentrale, Feuerwache
Immer wieder lösen Einzelpersonen Verzögerungen aus. Eine Waschmaschinenlieferung an eine Adresse im Sperrkreis bringt alles durcheinander, als die Lange Brücke bereits gesperrt ist: Er habe mit dem Kunden telefoniert, der sei zu Hause, beteuert der Lieferant an der Straßensperre – die Adresse muss geprüft werden. Erst als Schlüsseldienst und Polizei vor der Tür stehen, reagiert der Mann und verlässt die Wohnung.

12.05 Uhr
Jetzt wird es ernst: Der Sperrkreis steht. Sprengmeister Mike Schwitzke beginnt mit der Entschärfung, die ihm um 13.05 Uhr gelingt. Eine knappe halbe Stunde später, 13.31 Uhr, ist von der Feuerwache aus ein dumpfer Knall zu hören – die detonierte Handgranate. Sieben Minuten später meldet sich Schwitzke per Anruf in der Einsatzzentrale. Der Sperrkreis wird aufgehoben.

13.55 Uhr, Zentrum-Ost
Oberbürgermeister Jakobs dankt Schwitzke für seinen Einsatz – es gibt Blumen und ein Handtuch. „Weil die Bombe so dicht am Wasser lag“, erklärt Ordnungsamtsleiterin Marina Kluge. Anschließend inspizieren Stadtspitze, Einsatzleitung und Presse die unschädliche Bombe und den Granaten-Trichter im nahegelegenen Wäldchen, wo es noch verbrannt riecht. Schwitzke lässt sich mit der Bombe ablichten und erläutert geduldig Details. Die Anwohnerin Ursula Friedrich dankt dem Sprengmeister mit persönlichen Worten. Sie bete jedes Mal vor einer Entschärfung für die Beteiligten, sagt die 74-Jährige: „Ich bin tief bewegt, dass es Menschen gibt, die die Kenntnis haben und den Mut, so etwas zu machen.“ 

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