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Fotoausstellung: Bilderflut im Bergmannkiez

Rund um die Marheineke-Halle zeigen 45 Fotografen ihre Werke in Kneipen und Läden.

Selten einen Raum mit so vielen glücklichen Menschen erlebt. Man muss nur in Kreuzberg 61 von der Marheineke-Markthalle ein Stückchen hinauf in die Friesenstraße gehen und dann rechts hinein in die „Brezel-Bar“. Dort sind sie zu sehen, all die zufriedenen, irgendwie wolkenlosen Gesichter – in Augenhöhe auf Fotos an der Wand und darunter live an den Cafétischchen. Die Berliner Fotografin Lisa Sprengel zeigt in der Bar im Rahmen des „Browse Fotofestivals Berlin“ Porträts von Neuseeländern, die sich in ihrer Heimat am Zipfel der Welt besonders „happy“ fühlen. Zum Beispiel der weißbärtige Rentner, der es genießt, „nicht im System leben zu müssen“. Dass aber auch Berlin Raum für Glücksgefühle bietet, macht am besten ein Blick ins Hinterzimmer der Bar klar. Da sitzen die Gäste auf Sofas unter den abgelichteten Neuseeländern – entspannt mit Latte, Kerze, Buchlektüre.

Ein ganzer Kiez wird zur abwechslungsreichen Galerie: 45 Kneipen, Cafés, Restaurants und Läden im Kreuzberger Bergmannkiez rund um die Marheineke-Markthalle zeigen während des Fotofestivals vom heutigen Sonntag an Ausstellungen von ebensovielen Berliner Fotografen. Es ist ein Kaleidoskop verschiedenster Leidenschaften – von der Kunstfotografie bis zum Fotojournalismus. Und mit unterschiedlichsten Motiven, wobei die Berliner und ihre Stadt oft vorkommen.

Man kann sich mithilfe der kostenlosen Festivalbroschüren, die an jedem Ort ausliegen, einen Plan machen und dann auf Tour zu den ausgewählten Ausstellungen gehen. Unterwegs lässt sich dann noch so manche andere Fotoschau und so manche schöne Ausstellungskneipe entdecken, die nicht gleich in den Fokus genommen wurde. „Deshalb der Vornahme ,Browse‘- Fotofestival mit Bezug zum Internet“, sagt Duscha Rosen vom Organisationsteam. Beim Durchstöbern des weltweiten Netzes erlebe man doch Ähnliches. „Einen Mix aus gezieltem Aufsuchen und überraschenden Entdeckungen.“

Veranstaltet wird das Festival, das schon zum zweiten Mal stattfindet, von der „Community Impulse Initiative“, ein Zusammenschluss von Bewohnern, Künstlern und Medienschaffenden des Bergmann- und Chamissoviertels. Unterstützt wird es vom Tagesspiegel als Medienpartner. Tagesspiegel-Kulturautor Peter von Becker bezeichnete das Festival in seiner Ansprache zur Eröffnung „als Musterbeispiel bürgerschaftlichen Engagements.“ Es kommt ganz ohne öffentliche Förderung aus.

Die Festivalidee: „Es geht vor allem darum, unsere einzigartig vielfältige und tolerante Berlinkultur zu fördern. Sie ist ein Teil unserer Identität.“ Der das sagt, heißt John Colton und ist gar kein geborener Berliner, sondern Ire. Der 50-jährige Designer für Filmproduktionen lebt aber seit 1988 in Kreuzberg und war von Anfang an „begeistert von Berlin“. Colton dachte sich das Festival aus. Auch, um die vielen Fotografen zu unterstützen, „die auf dem immer exklusiveren und teureren Kunstmarkt und im Galeriegeschäft geringe Chancen haben“. Ihnen bietet das Festival bis Ende Juni Plattformen. Hauptanlaufpunkt ist zudem die eigene dauerhafte Galerie der Community auf der Empore der Marheineke-Markthalle. Dort werden „Teaser“ präsentiert, eine Auswahl origineller oder eindrucksvoller Fotografien verschiedenster Aussteller.

Profis sind darunter wie Fotojournalist Sönke Tollkühn oder Wolfgang Krolow, ein Urgestein der sozialkritischen Fotografie in Berlin. Aber auch passionierte Freizeitfotografen wie Margrit Radszun, die in Berlin das „irr.reale“ sucht. Samstagfrüh hängte sie ihre Fotos im „Meli melo“ an der Solmsstraße auf. Blümchen auf den Tischen. Ein Café zum Wohlfühlen wie Zuhause im Wohnzimmer. Dort präsentiert Margrit Radszun den Reichstag, Baukräne am Humboldthafen oder den Osthafen-Kai mal ganz anders. Gespiegelt in der vereisten Spree, in Glasfassaden, fotografiert durch Mega-Seifenblasen. Feste Formen verschwimmen ins Fantastische.

Mehmet Dedeoglu, Hausfotograf des Jazzclubs „A-Trane“, zeigt im „Knofi“ an der Bergmannstraße 11, wie er die Künstler und die Stimmung einfängt. Marion Schwan behält nur die Füße der Berliner im Sucher, gestiefelt auf Treppen, nackt auf Bänken, highheelig in den Bars – zu sehen unter „feet & street“ im „Turandot“ (Bergmannstraße 93). Dieter Behrendt ist fasziniert von „Berlin im Licht“ (Restaurant Split am Blücherplatz). Edith Siepmann zeigt in ihren „Architektonischen Shortcuts“ auch Häuser, die hören: mit Satellitenschüsseln gespickte Sozialpaläste.

Im „Felix“, dem österreichischen Restaurant am Marheinekeplatz, bestellten die Gäste am Sonnabend Einspänner und Marillenknödel unter Szenen aus Havannas Altstadt. Jazzmusiker und Fotograf Johannes Barthelmes hat sie eingefangen. Auf einem Bild spielen zwei alte Männer vor ihrer Haustür Dame. Am Tisch darunter sitzen meist Stammgäste. „Die finden das Foto prima“, sagt Kellnerin Karin. Es passt zu ihnen. „Sie treffen sich hier zum Schachspielen oder Kreuzworträtseln.“

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