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Jan George: Poesie im Mittelformat

Seit der Kindheit hat Jan George, älterer Sohn von Heinrich George und Berta Drews, fotografiert Zu seinem 80. Geburtstag wird sein Leben mit der Kamera in einer Ausstellung in Wannsee gewürdigt

„Meine Frau ist schuld.“ Jan George lacht. Ohne sie hätte er das „Selbstporträt mit Berta Drews“ nie für die Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag ausgewählt. 1955 war die Aufnahme entstanden, und dafür, dass er sie damals keiner Vergrößerung für wert befand, erinnert er sich an ihre Entstehung doch sehr genau: Das war in Amsterdam, wo seine Mutter unter Wolfgang Staudte „Ciske“ drehte. Jan George und seine damalige Freundin hatten sie im VW hingebracht, waren selbst noch geblieben, und an einem Abend beschlossen die drei, indonesisch essen zu gehen. Die Rolleiflex hatte er damals immer dabei, beobachtete seine Mutter im Spiegel beim Schminken, im Hintergrund die Freundin, drückte ab. Aber der Kontaktabzug verschwand in einer Kiste, wurde erst jetzt von seiner Frau entdeckt, bekam durch den nachgeholten Abzug „plötzlich einen Wupp“, und nun findet auch George das Foto „irgendwie gut“, seine Mutter sehe so schön aus, „wie ein Hollywood-Vamp“. Als Fotograf komme er eben „aus einer ganz anderen Schule“, erklärt er sich den früheren Irrtum.

Das Foto hängt gleich am Eingang zur Ausstellung in der Galerie Mutter Fourage in Wannsee, aber den Anfang macht doch ein Bild Heinrich Georges aus dem Jahr 1941. Wieder und wieder wurde in der Schauspielerfamilie fotografiert, und so bekam auch der kleine Jan ab und zu die Exakta der Mutter in die Hand gedrückt: „Hier, mach’ du mal.“ Die Aufnahme sei natürlich amateurhaft, ein Profi hätte den Vater gebeten, den Kopf etwas zu heben, damit die Augen nicht im Schatten der Hutkrempe verborgen blieben, gibt Jan George zu. Sein Bruder finde das nicht schlimm, genau so habe man doch immer die Helden in Italowestern gefilmt.

Von Götz hängt ein Kindheitsbild von 1946 ganz in der Nähe, fotografisch noch so ein Anfängerfehler, weiß Jan George heute: die aus der Lederhose guckenden Beine ohne Not abgeschnitten, wo ein kleiner Kameraschwenk genügt hätte, um den sieben Jahre jüngeren Bruder komplett ins Bild zu rücken. Ohnehin zeigen die frühen Aufnahmen manche technischen Mängel, er war ja Autodidakt, aber der sichere Blick für Stimmungen und Situationen deutet sich schon an. Und ohne sie wäre das Porträt eines halben Jahrhunderts Berlin, das Jan George, Galerist Wolfgang Immenhausen und Kurator Janos Frecot in rund 80 Fotos entwarfen, nicht komplett.

Mit der Kamera hat George für sich die Stadt entdeckt, die zertrümmerten Straßen in ihrer Mitte, die Ruinen von Anhalter und Lehrter Bahnhof, eine Welt, die der zumindest baulich halbwegs intakt gebliebenen Wannsee-Idylle der Kindheit so nah und doch so fern war. Typisches und Typen fand er aber auch dort, Harry, den Flüchtlingsjungen, der sehnsüchtig durch das Gitter der George-Villa starrt, oder die Amerikaner, die das Haus der Eltern in der Bismarckstraße beschlagnahmt hatten und der Mutter mit ihren Söhnen nur den Keller ließen, während der Vater in Hohenschönhausen und Sachsenhausen in sowjetischer Haft saß, wo er 1946 starb.

Vieles, das Jan George – meist in Schwarz-Weiß, Mittelformat 6 x 6 – festhielt, ist längst verschwunden, die Kreuzberger Boheme um den Maler Kurt Mühlenhaupt etwa oder das Kino im U-Bahnhof Onkel-Tom-Straße. Anderes strahlt heute im alten Glanz wie der Neptunbrunnen, auf den Fotos Georges ein Gewirr von Torsi und Gliedmaßen unter den Kolonnaden am Neuen Museum. Dort hatte man den Brunnen nach der Sprengung des Schlosses 1950 zwischengelagert.

Viele Motive zeigen ein fast menschenleeres Berlin, verlassene Ruinen, eine Ziegelwand, deren Monotonie nur durch ein Schild „Fremdenzimmer“ und drei Fenster aufgelockert wird, ein Ensemble von Schildern, die im Lehrter Bahnhof Züge ankündigen, die nie mehr dort ankommen oder abfahren werden. „Verglichen mit heute waren die Straßen in den ersten Nachkriegsjahren wirklich leer“, sagt George, verweist aber zugleich auf „das grafische Element“, das ihn an solchen Motiven gereizt habe. Nach den Anfängen im Stil der Pressefotografie habe er in den fünfziger Jahren eine ganz andere Art für sich entdeckt, die „Subjektive Fotografie“, die das Medium als Kunst begreift. Fotografen wie Brassaï wurden seine Vorbilder, deren Arbeiten beeinflussten auch Georges Blick auf Berlin, gingen über das Reportagenhafte hinaus, sensibilisierten ihn für das Poetische des Alltags, wie es selbst einem Stillleben aus Klapptisch, Flasche und Soldatenstiefel in einer Kiesgrube innewohnen kann. Was das blitzhafte Erkennen des Charakteristisch-Situativen nicht ausschließt, etwa auf der Demonstration zum 1. Mai 1959 in Ost-Berlin: Eine ältere Dame verfolgt den Aufzug hochkonzentriert, ganz auf Klassenkampf eingestellt, den Anstecker mit raketenzertrümmerndem Hammer am Mantel, wozu ihr Opernglas, der geziert abgespreizte kleine Finger nicht passen wollen – für Jan George „Die rote Lady“.

Seine erste Kamera? Nach der obligatorischen Agfa Box eine Contax. Eigentlich war es nicht seine, gehörte dem Tenor Helge Rosvaenge, der von den Russen deportiert worden war und einige Sachen bei den Georges zurückgelassen hatte. Nutzen konnte der junge Fotograf sie erst, als ein mit der Familie befreundeter Regisseur mit Filmen ausgeholfen hatte: fürs Kino bestimmtes Material, das nun zerschnitten und in Kleinbildfilmspulen eingefädelt wurde. Not macht erfinderisch.

Seither spielten Fotoapparate in Georges Leben mal eine größere, mal eine kleinere Rolle – oder auch gar keine. Während der Jahre der Studentenproteste interessierte er sich mehr fürs Filmen. Kontakt hatte er schon früh gefunden, lernte Filmtechnik, arbeitete mit Ufa-Regisseuren wie Wolfgang Liebeneiner und R.A. Stemmle. Ab 1954 war er als Regieassistent bei Filmprojekten für SFB und den Süddeutschen Rundfunk dabei, drehte in den Sechzigern Schauspielerporträts fürs ZDF – und wurde in den Siebzigern nach einem Auftritt in einem Apo-Filmchen von Rainer Werner Fassbinder entdeckt. In dessen „Götter der Pest“ musste er als Polizist einen am Boden liegenden Gangster erschießen, kniff beim Abdrücken die Augen zu – Fassbinder hat ihn sofort ermahnt: Ein trainierter Schütze blinzle nicht. Die Gage blieb der Regisseur ihm dann schuldig, auch für „Der amerikanische Soldat“. Erst mit „Berlin Alexanderplatz“ hat er das wiedergutgemacht: 10 000 Mark mit zwei bis drei Drehtagen, die Minirolle sei das nicht wert gewesen, erinnert sich George. „Und eigentlich hat ja die Produktionsgesellschaft Bavaria damit Fassbinders alte Schulden beglichen.“

Jan George: „Fotografie“. Galerie Mutter Fourage, Chausseestr. 15a in Wannsee (Tel. 805 2311, www.mutter-fourage.de). Nach der Vernissage an diesem Sonntag ist die Ausstellung vom 21. August bis 2. Oktober zu sehen, Fr 14-18 Uhr, Sa/So 12-17 Uhr.

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