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Berlins Alte Nationalgalerie: Ein Königreich für die Kunst

Wie alles begann: An diesem Dienstag feiert die Berliner Nationalgalerie ihren 150. Geburtstag - mit einer Jubiläums-Ausstellung.

Was kann man einem König schenken? Geld hatte Wilhelm I. genug und Macht sowieso. Der wohlhabende Bankier Joachim Heinrich Wagner hatte 1859 folglich anderes im Sinn: Er vermachte dem Kronprinzen Kultur und Bildung in Gestalt von 262 Bildern. Verknüpft war die Schenkung mit einer einzigen untertänigen Bitte: Der spätere König von Preußen möge die Sammlung „allen Künstlern und Kunstfreunden stets zugänglich“ machen. Eine Art „nationale Gallerie“ schwebte dem Berliner Kaufmann vor.

Solche Erwartungen vermag nur ein selbstbewusstes Bürgertum zu formulieren, einer wie Wagener, der aus kunstsinnigem Elternhaus stammte, Autografen von Goethe und Schiller sammelte, Gemälde in Auftrag gab und mit Künstlern korrespondierte. Nicht voraussehen konnte er allerdings, was Berlin seinem Vermächtnis verdankt: Er legte den Grundstein der Berliner Nationalgalerie, die an diesem Dienstag 150 Jahre alt wird.

Auf sechs Häuser verteilt sich inzwischen der Bestand einer Institution, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für die jeweilige Gegenwart zuständig ist. Den Fokus auf deutscher Kunst gibt es längst nicht mehr. An seine Stelle ist das Sammeln von weltweit wichtigen Protagonisten gerückt: Picasso, Munch, Klee, Kirchner, Warhol. „Die Internationalisierung der Sammlung war eine Folge politischer Veränderungen und der Vernetzung der Künstler“, sagt Udo Kittelmann, seit 2008 Direktor aller sechs Häuser. „So gesehen hat sich die Nationalgalerie zum Globalen hin entwickelt.“ In der Alten Nationalgalerie besinnt man sich zum Jubiläum nun dennoch auf die Wurzeln und präsentiert „Die Sammlung des Bankiers Wagener“ in einer großzügigen Umschau mit 140 Gemälden. Dazu zählen Motive wie Caspar David Friedrichs „Mondaufgang am Meer“ oder „Der einsame Baum“ von 1822, die ohnehin dauerhaft im Saal der deutschen Romantiker installiert sind. Die umliegenden Räume gehören Wageners Privatkollektion und zeichnen das Bild eines Sammlers, der mit wachsender Kenntnis erst in Berlin und später überall in Europa diverse Genres und ganze Schulen sammelte.

Den Auftakt macht Karl Friedrich Schinkels großartige „Gotische Kirche auf einem Felsen am Meer“ aus dem Jahr 1815. Eine erhaben romantische Architekturlandschaft, die Wagener sich mit „mühsam ersparten Gelde erkaufte“. Da war der Bankier gerade 33 Jahre alt – und Schinkel längst etabliert.

Immer wieder gelangen dem Sammler solche Coups: So entdeckte er Künstler wie Johann Adam Klein, der 1830 auf einem wimmelnden Kleinformat exotische Tierbändiger vor einem Wirtshaus in der Provinz auftreten ließ, ein ganzes Jahrzehnt vor Bayerns König Ludwig I. Dabei wurde diese feine Attitüde biedermeierlicher Malerei besonders vom Münchner Kunstverein – und damit quasi vor Ludwigs Schlosstür – gefördert und per Lotterie unter den Mitgliedern verlost. Wagener hatte früh ein Auge für diese Veranschaulichungen einer aufstrebenden Gesellschaft, die sich ihrer nationalen Geschichte vergewisserte und dies in narrativen Gemälden zum Ausdruck brachte. Gotische Kirchen und historische Szenerien gehörten als Sinnbilder kultureller Großprojekte zu den frühen Sujets seiner Sammlung, die er bevorzugt von Schinkel-Schülern erwarb.

Als Folge der reaktionären Karlsbader Beschlüsse von 1819 dehnte der Bankier in den zwanziger Jahren seine Interessen wie auch die Ankäufe bis nach Düsseldorf aus – wohin man den Berliner Wilhelm Schadow als Akademiedirektor berufen hatte. Maler wie Johann Peter Hasenclever oder Theodor Hildebrandt wurden nun zu Favoriten. Und Wilhelm Jospeh Heine, dessen großes Bild „Gottesdienst in der Zuchthauskirche“ von 1838 keine Halunken zeigt, sondern lesende Bildungsbürger, die sich einzig für ihr liberales Denken verantworten müssen.

Mit jedem Kabinett der Ausstellung verschiebt sich Wageners Schwerpunkt ein bisschen. Seine Sympathien für Peter von Hess, der mit gleich fünf Exponaten in jenem Raum vertreten ist, in dem Künstler für die polnischen und griechischen Freiheitsbewegungen um 1830 eintreten, währten nur kurz. Noch im selben Jahr konzentriert er sich anschließend auf die Staatsgründung Belgiens, es folgen Ankäufe pseudohistorischer Gemälde etwa von Èdouard de Bièfve, der den „Kompromiss des niederländischen Adels 1566“ meterhoch und in leuchtenden Farben festhält. Weshalb der Sammler sich vorher für kleinformatige Stillleben begeistert, etwa für die – zweifellos delikat gemalten – „Erdbeeren“ von Adam Schlesinger (1820), bevor er in den 1830er Jahren dann ein Dutzend Kinderbilder kauft, kann auch Kuratorin Angelika Wesenberg nicht exakt nachvollziehen. Es bleibt bei der höchst subjektiven Auswahl eines Privatiers, der sich zu gleichen Teilen als Mäzen wie auch der Öffentlichkeit verpflichtet sieht. Seine Sammlung spiegelt eine Zeit der Umstürze und restaurativen Tendenzen. Der raffinierten Kommentierung durch die Künstler, die sich genrehafter Szenen bedienten, um Kritik an den politischen Realitäten zu üben. Und sie spiegelt den Zeitgeschmack.

Das mag erklären, weshalb die Bilder im wachsenden Bestand der Nationalgalerie, die 1865 auf der Museumsinsel unterkam, bald an den Rand rückten. Obgleich Wilhelm I. das großzügige Geschenk nicht bloß annahm, sondern auch innerhalb weniger Wochen pünktlich zu seinem Geburtstag am 22. März 1861 die Eröffnung der ersten „Wagnerschen und National-Galerie“ Unter den Linden verfügte, flaute das Interesse an den Sujets allmählich ab. Andere Sammlungen oder Ankäufe rückten nach, und spätestens mit dem Antritt Hugo von Tschudis als Direktor der Nationalgalerie 1896 wehte ein neuer, impressionistischer Wind. Knapp ein Viertel der Wagenerschen Kollektion ging im Krieg verloren; die repräsentative Auswahl aus dem, was erhalten blieb, schließt nicht immer zur Qualität dessen auf, was man aus der Alten Nationalgalerie kennt. Dennoch ist es eine große Schau: Weil sie das Vergangene zur Bedingung der Gegenwart macht und Geschichte höchst anschaulich erzählt.

Alte Nationalgalerie, 23.3.-8.1.2012, Di/Mi & Fr-So 10-18 Uhr, Do 10-22 Uhr

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