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Gesichter der Stadt. Die aktuelle „West: Berlin“-Ausstellung im Ephraim-Palais versammelt auf dieser Collage „das Personal West-Berlins“.

© Michael Setzpfandt, Stiftung Stadtmuseum

Stiftung Stadtmuseum Berlin: „Wir sind die größten Bewahrer der Berliner Geschichte“

Acht Jahre leitete Franziska Nentwig die Stiftung Stadtmuseum. Zum Abschied spricht sie über die Höhepunkte und Hürden in ihrer Amtszeit, über gescheiterte Pläne, die Platznot und die Zukunft der Sammlungen.

Franziska Nentwig, 48, gibt zum Jahresende ihren Posten als Generaldirektorin der Stiftung Stadtmuseum auf. Im März 2015 wird sie Geschäftsführerin des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Die gebürtige Dresdnerin und promovierte Musikwissenschaftlerin, die zuvor u.a das Eisenacher Bachhaus leitete, kam im Februar 2006 nach Berlin; die Stiftung hat 115 Mitarbeiter und besteht aus fünf Häusern: dem Märkischen Museum für die Dauerausstellung, dem Ephraim-Palais für Wechselausstellungen, der Nikolaikirche, dem Knoblauchhaus und dem Museumsdorf Düppel. Für die Bestände des 20. Jahrhunderts wird dringend ein Neues Berlin Museum benötigt.

Frau Nentwig, was haben Sie seit Ihrem Amtsantritt 2005 erreicht, was wird Ihr Nachfolger stemmen müssen?

In der Ausstellungspolitik des Stadtmuseums hat es unter meiner Leitung einen Paradigmenwechsel gegeben. Als ich kam, bestimmten homogene Sammlungspräsentationen das Schauprogramm. Aber das Bedürfnis der Besucher war ein anderes: Sie wollen Themen erleben, Berlin-Themen. Wir haben reagiert, und betrachten seit ein paar Jahren wichtige Kontexte aus dem Stadtleben unter aktuellen Fragestellungen. So entstanden erfolgreiche Ausstellungen wie „Berlins vergessene Mitte“ oder „West: Berlin“, aktuell im Ephraim-Palais. Außerdem machen wir heute dezidiert Angebote an Kinder und Jugendliche: 35 000 Kinder besuchen jährlich unsere Häuser, 10.000 davon in betreuten Angeboten.

Und was war schwierig in Ihrer Zeit?
Seit 2007 musste die Stiftung Stadtmuseum acht Standorte aufgeben. Das Schloss Friedrichsfelde haben wir an den Zoo abgegeben. Die Domäne Dahlem wurde in eine eigenständige Trägerschaft entlassen, auch das Sportmuseum und das Grünauer Wassersportmuseum wechseltens unter ein neues Dach, die Sammlung Kindheit und Jugend in der Wallstraße mussten wir leider ganz schließen. Aber im Märkischen Museum gibt es jetzt ein Kompensationsangebot, unter dem Titel „Frag’ deine Stadt“. Die Bestände der naturwissenschaftlichen Sammlungen, die ebenfalls geschlossen wurden, sind gesichert. Auch das Nicolaihaus und das Galgenhaus mussten wir aufgeben. Eine Direktorenkollegin sagte: „Sie haben in einem Steinbruch für Ordnung gesorgt.“

Was wird denn die dringlichste Aufgabe für Ihren Nachfolger sein?
Vor uns steht die Generalsanierung des Märkischen Museums. In den letzten zwei Jahren haben wir ein Maßnahmenpaket und eine Kostenaufstellung erarbeitet. Zusammen mit der BIM, dem Berliner Immobilienmanagement, ist der Zustand des Gebäudes erfasst worden. Das Ergebnis war alarmierend. Das Haus ist über 100 Jahre alt, es hat den Bombenkrieg überstanden und wurde nie grundlegend renoviert. Wir brauchen 30 Millionen Euro, zehn davon hat uns die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin zugesagt. Natürlich ist noch eine Frage offen: Wie geht es mit dem Neuen Berlin Museum weiter?

2012 sollte das Neue Berlin Museum für die Stadtgeschichte ab 1900 im Marinehaus am Köllnischen Park unterkommen. 38 Millionen Euro waren vom Abgeordnetenhaus für den Umbau bewilligt, das Projekt wurde im letzten Moment gestoppt. Danach wollten Sie in die Landesbibliothek in die Breite Straße umziehen, sobald deren Neubau auf dem Tempelhofer Feld steht – aber das scheiterte am Volksentscheid. War das Ihre größte Niederlage?
Wir hatten uns das Marinehaus geradezu erkämpft, auch dank der Unterstützung des damaligen Kulturstaatssekretärs André Schmitz. Wir legten eine fertige Planung vor, quasi unterschriftsreif. In dem Plan stand, dass wir 5000 Quadratmeter für eine ständige Ausstellung, für Sonderausstellungen und für Mitarbeiter brauchen. Doch dann wurde in einem mehrjährigen Prozess deutlich, dass es bloß 3400 Quadratmeter Nutzfläche gewesen wären. Auch eine zweite Planungsvariante, die dem Haus die drei Funktionen abzutrotzen versuchte, ist gescheitert.

Franziska Nentwig verlässt zum Jahresende die Stiftung Stadtmuseum.
Franziska Nentwig verlässt zum Jahresende die Stiftung Stadtmuseum.

© Cornelius M. Braun/Stiftung Stadtmuseum

War das alles nicht absehbar?
Nein, weil sich erst in der Planungszeit die statischen Probleme ergaben. Auch ließ die Hochhausbauverordnung die Möglichkeit, nach oben zu erweitern, nicht zu. Damit schrumpfte das Innere des Hauses zusammen, mit einem unglücklichen Verhältnis von Technikfläche zu dem, was ein Museum ausmacht. Daraufhin verhängte das Land Berlin einen Baustopp und prüfte, ob das Stadtmuseum in das wiederaufgebaute Stadtschloss ziehen könnte, auf jene 4000 Quadratmeter, die dann der Zentral- und Landesbibliothek zugesprochen wurden. Das wäre wunderbar gewesen: im Humboldt-Forum, wo die Kulturen der Welt verhandelt werden, auch die Geschichte und Gegenwart Berlins präsentieren zu können.
Woran ist der Plan gescheitert?
An übergeordneten politischen Gründen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es eine großartige Chance gewesen wäre. Was wir dafür tun konnten, haben wir hinter den Kulissen getan.

Und wie haben Sie versucht, aus dem Desaster herauszukommen?
Wir waren auf die Ursprungsidee zurückgeworfen, das Marinehaus. Aber wir wussten ja aus unseren Planungen, dass unser Vorhaben dort nicht vernünftig zu realisieren war, also prüften wir Standortalternativen. Zu diesem Zeitpunkt war der Umzug der ZLB aufs Tempelhofer Feld scheinbar in trockenen Tüchern. Die Idee, dass wir als Nachnutzer an die Breite Straße ziehen, fand Zuspruch bei der Kulturpolitik. Nicht zuletzt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat sie favorisiert, er war kein Fan der Lösung Marienhaus. Das Bibliotheksgebäude befand sich in wesentlich besserem Zustand als das seit 30 Jahre leer stehende Marinehaus. Dass diese Möglichkeit durch den Volksentscheid nicht mehr gegeben war, hatte keiner ahnen können.

Auch Ihr eigener Förderverein hatte den Plan Breite Straße 2012 kritisiert, weil er die Entwicklung des Museums verzögert.
Wir haben 280 Vereinsmitglieder, hoch engagierte Menschen, die sind doch nicht alle einer Meinung! Viele fanden die Breite Straße gut, andere nicht, auch Mitglieder des Vereinsvorstandes gehörten dazu. Der heutige Vereinsvorstand sieht das wieder anders. Museen stehen im Zentrum von vielerlei Ansprüchen, da geht es gar nicht ohne eine offene Diskussion.

Der Volksentscheid kam nicht über Nacht. Hatten Sie keine Alternativlösung in petto?
2012 war von einem Volksentscheid noch kein Rede. Der Umzug der ZLB aus den für sie viel zu kleinen Räumen an der Breiten Straße an einen anderen Standort wird irgendwann stattfinden. Aber das Stadtmuseum kann nicht darauf warten, es braucht eine schnellere Lösung.

Mit welchem Zeitrahmen rechnen Sie?
Ich wünsche mir für das Haus, dass es schnell geht. Aber das öffentliche Bauen dauert. Schon das sanierte Märkische Museum mit einer wirkungsvollen Präsentation der Dauerausstellung wird kaum vor 2024 eröffnet werden. Bei einer Sanierung dieser Größenordnung wird das Museum um eine Schließung nicht herumkommen. Aber keine Sorge: Die Stiftung hat vier weitere Orte, eine Interimsdauerausstellung könnte dann im Ephraim-Palais unterkommen.

4,5 Millionen Objekte: Wie behält man da den Überblick?

Franziska Nentwig verlässt zum Jahresende die Stiftung Stadtmuseum.
Franziska Nentwig verlässt zum Jahresende die Stiftung Stadtmuseum.

© Cornelius M. Braun/Stiftung Stadtmuseum

Sie hatten 2013 in allen Häusern zusammen 180 000 Besucher ...
... und 206 000 in diesem Jahr! 2013 hatten wir uns am Themenjahr „Zerstörte Vielfalt“ beteiligt. Das hieß, nicht nur die Sonnenseiten von Berlins Geschichte zu zeigen, sondern auch die dunklen, schmerzlichen Seiten. Mit Ausstellungen wie „Geraubte Mitte“ oder „Verfolgt, verfemt, vergessen“, die eine sehr gute Resonanz in den Medien und der Politik hatten. Aber es zog nicht ganz so viel Publikum an. Wie spricht man eine breite Stadtgesellschaft mit Geschichtsthemen an? Eine Frage auch für die Zukunft.

200 000 Besucher an fünf Standorten, ist das nicht etwas wenig? Münchens Stadtmuseum hatte im Vorjahr 195 000 Besucher, Hamburg kommt auf etwa 150 000.
In Berlin buhlen 180 Museen um die Aufmerksamkeit der Bewohner und der Gäste der Stadt. Die Städte, die Sie nennen, haben sanierte Häuser. Bei uns verteilen sich Dauer- und Wechselausstellungen auf verschiedene Standorte, die Mitarbeiter sind wieder woanders, das macht die Besuchergewinnung nicht gerade leichter. Trotzdem ist es uns gelungen, dieses Jahr 26 000 Besucher mehr zu erreichen.

Mit 4,5 Millionen Sammlungsobjekten hat Berlin das größte Stadtmuseum Europas. Sehen Sie sich auf einer Höhe mit London oder Paris?
Was die Sammlung betrifft, können wir uns in der Tat sehen lassen. Wir sind der größte Bewahrer von Zeugnissen Berliner Geschichte. Es ist eine ehrgeizige Aufgabe, mit der ganzen Welt zu konkurrieren, wir stellen uns ihr.

4,5 Millionen: Wie behält man da den Überblick?
Museen sind immer große Fundkammern. Die Bürger schenken uns ihre Dinge, wunderbares Spielzeug zum Beispiel. Oder ein altes Haushaltsbuch, in dem eine Berlinerin am 8. Mai 1945 notiert: „In dieser Woche keine besonderen Ausgaben.“ Oder die fotografischen Nachlässe, die uns überantwortet werden, es dauert oft, bis die aufgearbeitet werden können. Etwa Cecil Newman, ein britischer Fotograf, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg in Berlin war und nach dem Krieg die Stadt in Trümmern fotografierte. In Farbe! Man übergab uns den Nachlass mit den Worten „I want to bring them home“. Inventarisierung, auch Digitalisierung sind wichtige Themen für uns. Immerhin sind 25 Prozent in der Datenbank digital erfasst. Wenn die Stiftung Stadtmuseum alles en détail auflisten wollte, bräuchten wir 200 Jahre. Deshalb ventilieren wir bestimmte Themen, bieten auch Online-Thementouren an.

Gesichter der Stadt. Die aktuelle „West: Berlin“-Ausstellung im Ephraim-Palais versammelt auf dieser Collage „das Personal West-Berlins“.
Gesichter der Stadt. Die aktuelle „West: Berlin“-Ausstellung im Ephraim-Palais versammelt auf dieser Collage „das Personal West-Berlins“.

© Michael Setzpfandt, Stiftung Stadtmuseum

Stadtmuseen sind einem hartnäckigen Vorurteil zufolge verstaubt, vollgestopft und von Schulklassen bevölkert. Welche Aufgaben sollte ein Stadtmuseum im 21. Jahrhundert wahrnehmen?
Das ist eine große museumsphilosophische Frage. Keine andere Museumssparte stellt sich die Frage nach der eigenen Relevanz so häufig wie die Stadtmuseen. Wie materialisiert sich Geschichte heute: immer noch in Bildern, Briefen und schönen Objekten der Alltagskultur? Es stellen sich neue Fragen an unsere Sammlung, auch die Frage, welche Rolle die Stiftung Stadtmuseum als Dienstleister der Stadtgesellschaft einnimmt, auch außerhalb unserer Mauern.

Welche neuen Fragen meinen Sie?
Gemeinsam mit Schülern erarbeiten wir Themen wie „Die Welt des Arbeitens“ früher und heute. Oder nehmen Sie Berlin als Zuwanderungsstadt, die durch ständigen Bevölkerungsaustausch geprägt ist. Wie schafft man da Identität und macht Stadtgeschichte auch für jene attraktiv, die nur vorübergehend hier sind?

Das Stadtmuseum in zehn Jahren?
Ich hoffe, dass der Leidensdruck bezüglich des Neuen Berlin Museums so groß ist, dass sich kulturpolitisch bald etwas tut. Der Stiftung Stadtmuseum wünsche ich, dass es ihr gelingt, sich weiterzuentwickeln und ihre Seele dabei zu behalten.

Das Gespräch führten Christiane Peitz und Christian Schröder.

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