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Berlinale: Das Kino-Ikea

Möbel, Lampen, Stoffe – der FTA-Fundus in Neukölln bestückt Filmkulissen. Auch die von Andres Veiels Wettbewerbsfilm auf der Berlinale.

Quietsch, quietsch, quietsch. In Andres Veiels Berlinale-Beitrag „Wer, wenn nicht wir“ beobachtet die junge Gudrun Ensslin durch den Türspalt, wie ihr Freund Bernward Vesper sie mit einer anderen betrügt. Das karierte 20er- Jahre-Sofa, das hierbei strapaziert wird, stammt – wie auch ein Beistelltisch, eine Lampe und andere Requisiten in der nachgebauten Studentenbude – aus einem der größten Fundi der Kinorepublik Deutschland, der FTA-Film- und Theaterausstattung in Neukölln.

Die 1948 in Berlin gegründete Firma hat weitere Niederlassungen in Hamburg, Köln, München und Leipzig, seit 1969 gehört sie zur Bavaria-Film. „Wer, wenn nicht wir“-Szenenbildner Christian Goldbeck ist 37 Jahre alt, seit zwölf Jahren im Geschäft, und genauso lange Stammkunde bei der FTA. Es gibt allein in Berlin mehrere weitere Lager, die Möbel und Kostüme verleihen, „Delikatessen“ etwa, die Kostümausstattung Theaterkunst oder den Fundus Adlershof des früheren Deutschen Fernsehfunks. Doch Goldbeck sagt: „Egal, wo man in Deutschland dreht, an der FTA kommt man nicht vorbei“.

Vor seiner Zusammenarbeit mit Andres Veiel schuf Goldbeck unter anderem die Filmräume von „Die fetten Jahre sind vorbei“, „Alles auf Zucker“, „Requiem“ und „Krabat“. Wie sucht sich ein Szenenbildner seine Requisiten aus? Vor dem Gang in den Fundus, erklärt Goldbeck, steht immer zuerst die Recherche. Auf dieser Grundlage macht der Szenenbildner, der so etwas wie der Abteilungsleiter für die Gestaltung der Filmwelten ist, Entwürfe für jeden Raum. Nach Abnahme durch Regie und Kamera machen sich bestimmte Mitarbeiter – Ausstatter oder set decorators genannt – auf Flohmärkten, bei Wohnungsauflösungen oder eben in Fundi auf die Suche.

Bei der FTA in Neukölln kann das viele Stunden dauern, die 5000-Quadratmeter-Halle ist vollgestellt mit Tischen, Stühlen, Sesseln und Sofas, alles säuberlich geordnet, nummeriert und mit Barcode versehen. Die FTA könne Räume „von 1880 bis zur Gegenwart“ ausstatten, sagt Filialleiterin Susan Voß, 34, bei einem Rundgang. Ausstatterinnen mit Notizblöcken laufen durch die Gänge, legen Fundstücke auf Rollwagen ab. Die Berliner Filiale ist spezialisiert auf Möbel, dazu kommen Stoffe, Lampen und Kleinrequisiten, vom ausgestopften Tiger bis zum Lenin-Bild. Insgesamt sind es hunderttausende Teile, ein Großteil ist mit Foto und Verleihnummer in einer Onlinedatenbank aufgeführt – das hilft den Produktionen bei der Vorarbeit.

Der Trend gehe dahin, dass Produktionen fertige Ensembles anmieten, also nicht nur eine Sitzgruppe, sondern auch Kissen, Tisch und Geschirr, sagt Voß. Ihr Fundus kommt dem entgegen und präsentiert auf eigenen Flächen beispielhafte Arrangements, ein bisschen so, wie es ein Möbelhaus auch tun würde: hier das Arbeitszimmer, dort die Jugendbude. Natürlich füge jeder Szenenbildner später noch eigene Ideen zum Set hinzu, aber eine Arbeitserleichterung für die Ausstatter sei diese Art der Präsentation schon. Und wenn sie nur die Fantasie anregt.

Das Prunkstück der Berliner Niederlassung aber ist ein Solitär: eine echte Bank aus dem alten Deutschen Reichstag, ein schweres Möbel, 160 000 Euro wert, entleihbar für 480 Euro Tagesmiete. Die Bank sei in den vergangenen zwölf Jahren aber nur zwei Mal rausgegangen, sagt Voß. Einmal für Dani Levys Hitler-Komödie „Mein Führer“. Und einmal für „Bibi Blocksberg“.

Auf ihren ersten Streifzügen durch das Kino-Ikea machen die Ausstatter meist lediglich Fotos von infrage kommenden Gegenständen. Anhand dieser Bilder trifft dann ihr Chef, also beispielsweise Christian Goldbeck, eine Auswahl, die in die Szenenentwürfe eingebaut, bestellt und disponiert wird. Erst wenn die Räume für die Szenen „tapeziert und patiniert“ sind, werden die Requisiten angeliefert und auf Position gebracht, 24 Stunden vor Drehbeginn ist Endabnahme durch die Regie. Und dann geht es los.

Für die Sexszene in „Wer, wenn nicht wir“ habe man eigens ein Sofa mit breiter Sitzfläche und niedriger Lehne gewählt, erklärt Goldbeck, sonst hätte die spähende Gudrun Ensslin gar nichts Kompromittierendes erkennen können. Wichtig für die Auswahl sei auch gewesen, dass das Möbel alt und abgenutzt ist. Die beiden waren schließlich arme Studenten, damals, 1964, sie konnten sich keine aktuellen Möbel leisten, sondern richteten sich mit Trödelware ein. Es sei entscheidend, all dies zu bedenken, sagt Goldbeck, gerade bei einem historischen Film wie „Wer, wenn nicht wir“. Schließlich dürfe der Zuschauer nicht stutzen: „Das Wichtigste ist, dass unsere Arbeit nicht auffällt.“ Szenenbildner und Ausstatter seien „die Heinzelmännchen im Hintergrund“.

Im Film ist das Wohnzimmer mit dem Sofa insgesamt drei Minuten lang zu sehen – dafür haben 35 Personen sechs Tage lang gearbeitet: vier Tage Aufbau, ein Drehtag, ein Abbautag. Christian Goldbeck sagt, man müsse sich die Arbeit seiner Abteilung vorstellen, als würde man innerhalb von vier Monaten 30 Mal von einer Wohnung in die nächste umziehen – inklusive Renovierung. Und immer wieder neuer Trips ins Kino-Möbelhaus.

Bernward Vesper betrügt seine Freundin Gudrun Ensslin – auf dem Sofa aus Neukölln.

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