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Gallery Weekend: Die amerikanischen Freunde

51 Galerien laden an diesem Wochenende gleichzeitig zur Vernissage - so viele wie nie. Am stärksten sind: US-Künstler wie Julian Schnabel, Jenny Holzer und Robert Longo.

Es beginnt mit einem Paukenschlag. Rechtzeitig zum Gallery Weekend hat sich Contemporary Fine Arts wieder einen internationalen Star gesichert: Julian Schnabel, der seit seiner großen Retrospektive in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle 2004 nicht mehr so umfassend präsentiert wurde wie aktuell in den großzügigen Räumen der Galerie. Schnabel, der sich längst auch als Regisseur („Basquiat“, „Schmetterling und Taucherglocke“) einen Namen gemacht hat, wird auf synthetischen Malgründen Schnappschüsse von indischen Gottheiten oder historischen Gemälden zeigen, die er selbst aufgenommen hat. Solche „Fragmente der Welt“ dienen dem Künstler als Ausgangspunkt für neue, eigenwillige, häufig widerstrebende Kombinationen, in denen die Malerei selten mit dem zugrunde liegenden Motiv zusammengeht.

Schnabel liebt solche Zergliederungen. Schon Anfang der achtziger Jahre arbeitete er so, zerschlug Teller auf der Bildoberfläche. Mit seinen überdimensionierten Gemälden ging er dann allerdings nach Köln und stellte unter anderem in der Galerie von Max Hetzler aus.

Hetzler ist längst nach Berlin gezogen, aber die alten biografischen Eckdaten erzählen viel von der historischen Achse Rheinland – New York. Ende der Neunziger hat das Museum Ludwig sie in der Schau „I love New York“ noch einmal beschwören wollen und Kritik für diese kecke Form der Aneignung geerntet. Wenn man sich nun zum Auftakt des Gallery Weekend, das am Freitagabend mit 51 gemeinsamen Eröffnungen startet, die Liste der teilnehmenden Künstler anschaut, kommt einem diese Idee: Berlin ist der neue Fixpunkt für den kommunikativen Austausch zwischen den Metropolen.

Die großen Namen und Anstrengungen hinter all diesen Eröffnungen spiegeln jedoch noch mehr. Seit 2005 hat das Gallery Weekend kontinuierlich an Renommee gewonnen. Mit den Wegfall der jährlichen Herbstmesse Art Forum ist es endgültig unentbehrlich geworden. Der Akzent liegt nun auf dem Frühjahr, entsprechend gewichten die Berliner Galeristen diesen konzentrierten Termin. Die zahlreichen individuellen Dinner sprechen ebenso davon wie das gemeinsame Abendessen, zu dem das Weekend über 1000 Gäste lädt.

Auch die Künstler schicken Neues, Ungewohntes. Von Jenny Holzer kennt man zwar jene hypnotischen LED-Skulpturen, wie sie in der Galerie Sprüth Magers steht. In schneller Folge präsentiert „Monument“ (2008) immer neue Versatzstücke aus den Protokollen amerikanischer Geheimdienste. Verhört wurden vermeintliche Attentäter aus dem Nahen Osten. Zusätzlich zeigt die Konzeptkünstlerin allerdings eine Serie von Bildern, die ein Novum sind: Holzer gibt „Top Secret“-Akten übergroß wieder und übermalt all jene Stellen, die vor der Veröffentlichung geschwärzt worden sind, noch einmal mit fließenden Farbverläufen. Das Ergebnis sind delikate Abstraktionen, deren Schönheit nur für einen Moment die Brutalität der Dokumente überstrahlt. Sobald man „Waterboard“ liest oder entziffert, dass 180 Tage Schlafentzug ein probates Mittel für ein Geständnis sind, kippt jede Ästhetik. Das ist ganz in Holzers Sinn.

Kulturelle Verknüpfungen zwischen Europa und den USA werden sichtbar

Ähnlich drastisch nähert sich eine weitere Ausstellung den politischen Verwerfungen der USA. Robert Longo inszeniert in der Galerie Capitain Petzel seine ebenfalls erste Einzelausstellung mit dem Titel „Stand“. Longos Interesse gilt nationalistischen Tendenzen, seine schwarz-weißen Zeichnungen im XXL-Format sind doppelbödig: so realistisch überspitzt, dass man sie nur als Ironie lesen kann.

So ist auch die amerikanische Flagge als Motiv gemeint, hinter der das Gebäude der Galerie zu verschwinden droht. Im Inneren zitiert der Künstler die Occupy-Bewegung mit einer Menschenmenge aus dem Zeichenstift, die sich zur Demonstration an der Wall Street zusammenfindet. Im Zentrum der Ausstellung steht jedoch eine Installation, die auf Hans Haacke verweist, der sich mit seiner Arbeit wiederum auf den belgischen Künstler Marcel Broodthaers bezog.

Solche Bezüge machen die kulturellen wie historischen Verknüpfungen sichtbar. Europa und die USA verbindet mehr als der bloße Transfer von Kunst, wie er sich in den sechziger Jahren mit der Pop Art ankündigte. Wie tief die Dialoge reichen, versucht die Galerie Crone mit einer Gegenüberstellung des zeichnerischen Frühwerks von Andy Warhol mit dem plastischen Spätwerk Hans Arps. Wie beide die Linie zum Primat ihrer Kunst erheben, soll in dieser Zusammenschau deutlich werden. Fotografische Arbeiten, wie sie die Galerie Kicken mit den schonungslosen Porträts von Diane Arbus zeigt, kommen ebenso wie William Egglestons verblassende Amerika-Impressionen ohne europäisches Pendant aus. Man versteht den melancholischen Grundton der Sujets, ihre latente Verletzlichkeit auch so.

Nicht bloß mit internationalen Positionen an den genannten Adressen wird geklotzt. Dazu mischen mehr und mehr Kunstakteure mit, und auch hat das Weekend mit über 50 Galerien seine kritische Masse erreicht. Mehr geht nicht und übersteigt jede Chance zur Wahrnehmung – auch wenn die Organisatoren die Kritik vergangener Jahre beherzigen und jüngere Kollegen zum reduzierten Preis teilnehmen lassen. Sicher gäbe es im Reigen der hiesigen rund 500 Galerien weitere Kandidaten, die hervorragend zum Gallery Weekend passen würden. Sollte es bei diesem einen zentralen Termin bleiben, weil der Kunstherbst nicht wieder zu alter Stärke findet, wären erste Guerilla-Projekte denkbar. Der Kunstfrühling Berlin muss wachsen und gedeihen. Das Weekend selbst ist groß genug.

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