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Für Strategen: In der Schöneberger Ludothek hält Jürgen Kerber (Mitte) 2000 Spiele bereit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Spielewerkstatt in Berlin-Schöneberg: Die Ludothek ist nicht nur was für Zocker

Ein Laden voller Kartons, in jedem eine kleine Welt: In einer Berliner „Ludothek“ können 2000 Brettspiele ausprobiert werden. Der Zehlendorfer Jürgen Kerber betreibt sie im Schöneberger Exil. Ein Besuch.

Mit höchster Konzentration reihen die vier Leute am Tisch bunte Klötzchen vor sich auf. Dabei erklärt einer von ihnen, was sie in den kommenden Stunden zu tun haben. „Die werden nicht viel zu lachen haben“, sagt Jürgen Kerber – und grinst. „Das ist ein hochkomplexes Spiel. Da wird jeder am Anfang fünf bis zehn Minuten für jeden Spielzug überlegen.“

Der 57-Jährige aus Zehlendorf ist der Gastgeber der Runde. In seiner „Kaffee Spielewerkstatt“ in Schöneberg trifft sich jeden Dienstagabend die „Schöneberger Brettspielgruppe“. Gemeinsam schlüpfen die Spieler in die Rollen mittelalterlicher Kaufleute, wie etwa bei „Hansa Teutonica“, für das sich die Runde mit den Klötzchen entschieden hat. Oder sie entwickeln als Architekten neue Stadtteile der Zukunft, verhandeln als Diplomaten Bündnisse zwischen Weltmächten.

Aus rund 2000 Spielen können die Besucher der Spielewerkstatt wählen. Bis unter die Decke reichen die Regale, vollgestellt mit den flachen Kartons, die alle eine kleine Welt in sich bergen. In der Spielewerkstatt kann man die Spiele nicht nur kaufen, sondern zum Preis von drei Euro auch leihen oder gleich vor Ort spielen. „Es gibt für jeden das passende Spiel“, sagt Jürgen Kerber.

Ums Gewinnen geht es ihm nicht – überhaupt hat er in rund 20 Jahren als Ludothekar, also Spieleverleiher, und freiberuflicher Spielpädagoge keine Erinnerung an schlechte Verlierer. „Das Tolle am Spielen ist, dass man jede Situation des gesellschaftlichen Lebens simulieren kann“, sagt er, „aber ohne Gefahr.“ Zudem sei es auch eine super Methode, andere Menschen kennenzulernen. Silvester hatte er 20 Leute da, die sich alle nicht kannten. Um vier Uhr früh seien die Letzten gegangen. „Die wollten sich gar nicht mehr voneinander trennen“, sagt Kerber.

"Wenn ich irgendwo warte, lese ich Spielregeln"

Vor seiner Ladentür leuchten selbst gebastelte Ortsausgangsschilder – durchgestrichen die Orte, an denen Jürgen Kerber sich nicht so gerne aufhält: Monotonie, Langeweile, Allein zu Hause. Die Besucher der Schöneberger Brettspielgruppe treffen ein. Es bilden sich erste Gruppen, die Teilnehmer handeln aus, was sie heute spielen. Joran, 25, und Konstanze, 26, aus Steglitz wollen Suburbia ausprobieren – dafür brauchen sie aber nur vier Mitspieler, jetzt sind sie zu sechst. Es wird diskutiert.

Am Nachbartisch sind die vier Spieler von Hansa Teutonica weiter in das Regelwerk vertieft. Bernd Gebauer erklärt: „Ich bin Taxifahrer. Wenn ich irgendwo warte, vertreibe ich mir die Zeit, indem ich Spielregeln lese.“ Auch der 53-jährige Micha aus Schöneberg spielt mit. Er ist der Gründer der Brettspielgruppe. Als er vor drei Jahren nach Berlin zog, suchte er Mitspieler übers Internet. Anfangs trafen sie sich in Cafés und Restaurants. „Bei Kerzenlicht die Spielkarten zu lesen, war aber manchmal etwas mühsam“, sagt Mitspielerin Marie Krüger. Sie ist die Lebensgefährtin von Jürgen Kerber und verlegte das Treffen kurzerhand in die Ludothek.

Pro Woche bekommt Kerber drei bis vier neue Spiele

In Schöneberg hat Kerber seinen Laden seit 2013. Dass er irgendwann seine erste Spielewerkstatt eröffnete, war für ihn keine Frage des Ob, sondern des Wann. 1996 war es dann so weit; seither betreibt er die Spieleläden an wechselnden Orten. Pro Woche bekommt Kerber drei bis vier neue Spiele – häufig von Leuten, die ihre alten Spiele bei ihm abliefern. „Bei uns geht keines der Spiele in den Verleih, ohne dass wir es probegespielt haben“, sagt Kerber. Sonnabends gibt es oft Geburtstage in seinem Laden, montags trifft sich die Pokerrunde. Donnerstag und Freitag sind offene Spielerunden.

Blick in die Runde. Keine 15 Minuten, nachdem alle gekommen sind, sind sie ins Spielen versunken. Joran und Konstanze sind doch bei Suburbia gelandet – sie haben sich Tom, 59, aus Charlottenburg mit ins Boot geholt, der heute zum dritten Mal dabei ist. Ab jetzt wird den Abend über wild gehandelt, spekuliert, es schießen moderne Vorstädte aus dem Boden, während die Spieler am Nachbartisch antike Städte erbauen. Übrig bleibt hier jedenfalls keiner.

Kaffee Spielewerkstatt, Martin-Luther-Str. 84, Schöneberg. Geöffnet Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag, 18 bis 23 Uhr, und Sonnabend, 15 bis 23 Uhr. Alle Gruppentreffen im Internet unter www.kaffee-spielewerkstatt.de.

Der Text erscheint auf dem Tagesspiegel-Zehlendorf, dem digitalen Stadtteil- und Debattenportal aus dem Berliner Südwesten.

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