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Schiefer Turm von Rüsselsheim. Ist Opel noch zu retten?

© Reuters

Autoexperte Bratzel: "Das ist die letzte Chance für Opel"

Stefan Bratzel ist Direktor des Auto-Instituts. Mit dem Tagesspiegel spricht er über das Überleben der Traditionsmarke Opel, das Führungschaos bei General Motors und die Euro-Krise.

Herr Bratzel, was verbinden Sie mit Opel?

Opel ist eine Billigmarke. Die große Geschichte ist unter die Räder gekommen.

Ist von der Traditionsmarke überhaupt nichts mehr übrig?

Wenig. Opel kommt nicht aus den Negativschlagzeilen – und das ruiniert das Image. Die Marke kann für ihre Autos deshalb nicht das gleiche Geld wie Wettbewerber mit vergleichbaren Modellen verlangen.

Der elektrische Ampera ist Auto des Jahres. Gerade hat Opel den Kleinwagen Adam präsentiert. Der Insignia macht dem Passat Konkurrenz. Ist das alles nichts?

Opel setzt immer noch innovative Akzente. Aber die Probleme überlagern das alles. Nehmen Sie den Adam: Das Modell wurde ausgerechnet an dem Tag vorgestellt, als Karl-Friedrich Stracke als Opel-Chef zurücktrat. Dabei hätte man sich tolle Bilder vorstellen können. Das geht seit Jahren so. Die Kommunikation bei Opel ist ein einziges Desaster.

Immerhin hat es das Unternehmen geschafft, als Sponsor von Borussia Dortmund ins Geschäft zu kommen.

Na und? Der Schuss geht daneben, wenn das Engagement nur Geld kostet, aber nichts einbringt. Der BVB ist schon der fünfte Verein, den Opel sponsert. Das Geld verpufft. Man sollte jetzt mehr Energie darauf verwenden, die Probleme zu lösen. Danach macht auch die Imagepflege im Fußballstadion Sinn.

General Motors greift durch: Es gibt einen neuen – wenn auch vorläufigen – Chef, neue Vorstände, hunderte Manager sollen gehen. Wird der Kahlschlag helfen?

Die Personalpolitik von GM war in den vergangenen Jahren alles andere als nachhaltig. Es war das reine Chaos. Wenn man ein Unternehmen wieder profitabel machen will, ist das eine Katastrophe. Es ist GM nicht gelungen, die richtigen Leute an die richtigen Stellen zu setzen. Auch bei Volkswagen wurden kürzlich viele Positionen im Management neu besetzt. Aber bei VW gibt es genug Top-Manager und nachrückende Talente. Opel hat einen Großteil seiner guten Manager im Laufe der Jahre verloren.

GM begründet die Personalentscheidungen mit zu viel Bürokratie. Ist Opel zu bürokratisch geführt worden?

GM hat Opel gar nicht geführt. Mag sein, dass in Rüsselsheim ein bürokratischer Bauch entstanden ist, der nun weg muss. Aber wichtiger ist, die richtigen Leute an den entscheidenden Stellen zu haben – mit Rückendeckung aus Detroit.

Kann sich Opel nicht auf GM verlassen?

Ich habe das Karl-Friedrich Stracke vor zwei Wochen gefragt: Steht Detroit hinter Ihrem Sanierungsplan? Seine Antwort war: ja.

Wenige Tage später war er seinen Job los.

Eben. Es scheint auch im Management von GM Führungsprobleme zu geben.

Versucht man es deshalb bei Opel jetzt mit Härte?

Diesen Eindruck habe ich sehr stark. GM versucht, mit aller Macht auch im mittleren Opel-Management eigene Leute zu installieren, um das Unternehmen schneller auf Kurs zu bringen.

Ein Werk in Antwerpen wurde geschlossen, 8000 Opelaner haben ihren Job verloren, Gewerkschaft und Betriebsrat sind zu Zugeständnissen bereit – geholfen hat es trotzdem nicht. Was muss noch passieren?

Opel hat Überkapazitäten von 30 Prozent. GM selbst spricht von 500 000 zu viel produzierten Autos pro Jahr. Damit kann man bestimmt kein Geld verdienen.

Das heißt, nicht nur Bochum ist in Gefahr?

Das Problem bei GM ist, was ich „nachlaufende Untersteuerung“ nenne: Der Konzern saniert immer nur ein bisschen. So kommt man nie aus dem Schlamassel. Opel braucht einen klaren Schnitt. Die Kapazitäten müssen insgesamt auf ein Maß reduziert werden, mit dem man wieder Geld verdienen kann. Und zwar im Drei-Schicht-Betrieb. Das hatte Stracke vor, und es war völlig richtig. Jetzt versucht es die neue Führung. Zugleich braucht Opel attraktive Produkte. Sonst überlebt die Marke in diesem wahnsinnigen Verdrängungswettbewerb in Europa nicht.

Alle Hersteller in Europa könnten mehr Autos bauen, als sie verkaufen. Wie hoch dürfen die Überkapazitäten denn sein?

15 Prozent sind – je nach Unternehmen – noch gesund. Wer besonders flexibel planen kann, schafft es auch mit 20 oder 22 Prozent. Darüber hinaus wird es schwer. Autohersteller haben hohe Fixkosten und sie verdienen umso mehr Geld, je besser sie ihre Fabriken auslasten.

Indem sie auch, wie VW, Daimler und BMW in boomende Märkte exportieren.

Das stimmt. Aber es muss kein Patentrezept für Opel sein. Wer in der Welt will die Marke überhaupt kaufen? Auf vielen Märkten ist Opel unbekannt. Und selbst wenn in größerer Stückzahl exportiert würde, müssten auch Produktion und Wertschöpfung verlagert werden.

Was halten Sie von der Überlegung, Bochum zu einem Komponentenwerk zu machen, das aus dem GM-Verbund gelöst würde, um auch für andere Hersteller zu produzieren?

Das ist eine unrealistische Option. Alle Hersteller versuchen, ihre eigenen, immer flexibleren Werke selbst auszulasten. Opel müsste es trotzdem prüfen. Magna und Nedcar zeigen, das es funktionieren kann. Ich bin aber skeptisch, ob Bochum so langfristig überleben würde.

Was VW besser macht als GM

General Motors hofft, dass die Beteiligung an PSA Peugeot Citroën Früchte trägt. Aber PSA ist selbst in der Krise.

Beide stehen heute mit dem Rücken zur Wand. In vier bis fünf Jahren kann sich die Kooperation aber durchaus auszahlen, wenn gemeinsam Modelle entwickelt und produziert werden. Die aktuellen Probleme von PSA haben eine ähnliche Größenordnung wie die von Opel. Die müssen die Franzosen erst einmal selber lösen. Auf die Frage, wie man zu vernünftigen Kosten Autos bauen kann, haben beide noch keine Antwort.

Ist GM nicht groß genug, um im Konzern selbst Synergieeffekte zu erzielen?

Der Konzern hat das verschlafen und nichts aus seiner Größe gemacht – so wie Volkswagen mit seinen Baukästen und Plattformen.

Und das GM-Management versteht nichts vom europäischen Autogeschäft?

Ja. GM versteht Europa nicht. Man hat sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren in Europa wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Die GM-Führung hat den europäischen Markt völlig falsch eingeschätzt. Die Strategie, Opel als Billigmarke zu positionieren, war ein Fehler. Ein Billigprodukt wird auf einem Hochkosten-Markt keinen Erfolg haben.

Die Opel-Händlerorganisation schätzt, dass das Unternehmen in drei bis fünf Jahren wieder profitabel arbeitet.

Das setzt voraus, dass GM die richtigen Entscheidungen trifft. Das ist die letzte Chance für Opel.

Der europäische Automarkt schrumpft seit fünf Jahren, jetzt bewegen wir uns Richtung Rezession. Stehen wir vor der nächsten großen Autokrise?

Die Pleiten, Übernahmen und Kooperationen der letzten Jahre zeigen, dass es auf dem Automarkt Europa eng wird. Die Anpassungen während der ersten Finanzkrise waren nicht konsequent genug. Stattdessen wurde die Krise mit Abwrackprämien abgefedert. Die Folgen sind jetzt zu spüren. Vor allem in Frankreich hätten damals mehr Autofabriken geschlossen werden müssen.

Erwarten Sie weitere Notbündnisse?

Kleinere Hersteller, die alleine stehen, werden es schwer haben angesichts der riesigen Investitionen, etwa in neue hybride oder elektrische Antriebe. Nicht nur in Europa. Ich denke da auch an Mazda, Suzuki und Mitsubshi. Wer jetzt nicht investiert, ist künftig gefährdet.

Wen zählen Sie in Europa dazu?

Auch Fiat schiebt große Investitionen in die Zukunft, weil das Geld fehlt. Die Italiener profitieren aktuell nur von Chrysler und dem starken US-Markt.

VW, Daimler und BMW scheinen im Gegensatz dazu alles richtig zu machen.

Die Deutschen sind nicht immun. Die Krise in Europa wird auch sie belasten. VW kann es sich momentan noch erlauben, seine Klein- und Kompaktwagen zulasten der Franzosen und Italiener mit Rabatt zu verkaufen – auch, wenn damit nicht mehr viel verdient wird. Das geht aber nicht ewig so.

Und ewig wird auch China nicht wachsen.

Das Potenzial ist noch groß. Selbst ein Wachstum von fünf Prozent macht den deutschen Autoherstellern Freude.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

„General Motors hat, anders als VW, nichts aus seiner Größe gemacht“, sagt Stefan Bratzel.

© promo

DER AUTOMANN

Stefan Bratzel (45) leitet das 2004 von ihm gegründete Center of Automotive Management (CAM) an der privaten Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Bergisch Gladbach. Nach dem Studium der Politikwissenschaften an der FU Berlin war er unter anderem bei Smart, der Mobilfunkfirma Quam und beim Softwarehaus PTV als Leiter der Geschäftsentwicklung Automotive tätig.

DAS INSTITUT

Das CAM versteht sich als unabhängiges Institut für empirische Automobil- und Mobilitätsforschung sowie für strategische Beratung. Regelmäßig veröffentlichen die Experten zum Beispiel Studien zur Innovationsstärke internationaler Autohersteller, zu Zielgruppen und Marktentwicklungen.

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