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Die NSA-Affäre enthüllt nicht nur einiges über die USA, sondern auch so manches über Deutschland.

© dpa

NSA-Spionage: Amerika und das kleine, arme Deutschland

Die Linke fühlt sich wieder jung, die deutsche Vergangenheit wird relativiert, Europa schließt sich zusammen: Was die Enthüllungen über die NSA-Spionage sonst noch über Deutschland enthüllen.

Angela Merkel – aufgepasst! Bis jetzt war der Bundestagswahlkampf ja ziemlich langweilig. Aber mit der Enthüllung der massiven amerikanischen Spionage in Deutschland könnte die Kanzlerin am Ende, wie Grüne und Sozialdemokraten es der Öffentlichkeit einhämmern, als Lakai Amerikas dastehen. Sie wäre dann eine, die ihr eigenes Land verraten hat, weil sie es unterließ, gegen ein zunehmend imperialistisches Amerika aufzustehen, gegen ein Reich des Bösen, das versucht, seine Herrschaft mithilfe der neuesten und gefährlichsten Mittel der internationalen Diplomatie auszudehnen, der Cyber-Welt.

Lasst uns ehrlich sein, was die Obama-Administration bislang nicht war: Spionage ist ein altes Geschäft. Deutschland hat sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg mehrere Geheimdienstangriffe auf Amerika ausgeführt. Und hätten die heute vereinten Deutschen das Geld, die Fähigkeit und den Willen, würden sie wahrscheinlich dieselbe Art von Spionage gegen die USA betreiben, wie es andersherum geschieht. Die deutschen Geheimdienstler müssen grün vor Neid sein auf die Möglichkeiten und Privilegien ihrer amerikanischen Kollegen.

Es war Amerika, das die deutschen Geheimdienste nach dem Zweiten Weltkrieg aufbaute, auch mit solchen Schattenfiguren wie Reinhard Gehlen. Während des Kalten Krieges stand Deutschland im Zentrum der Geschichte. Nirgends war der Konflikt zwischen Ost und West so lebendig und geheimnisvoll wie an der Berliner Mauer. Kein Wunder, dass Schriftsteller wie John le Carré ihre schönsten und aufregendsten Werke in Berlin spielen ließen.

Edward Snowden ist in der Tat der Spion, der aus der Kälte kommen will. Er hatte bereits die amerikanische Spionage gegen China enthüllt. Jetzt hat er das Ausmaß der amerikanischen Spionage in Deutschland offenbart, woraufhin viele fordern, er möge Asyl in der Europäischen Union gewährt bekommen. Was Snowden ans Licht brachte, ist freilich nicht nur die deutsche Besorgnis über die bürgerlichen Freiheiten, sondern auch die grundsätzliche Feindseligkeit vieler Deutschen gegenüber Amerika. Schon beim letzten Besuch von Präsident Barack Obama wurde deutlich, dass diese Animosität stärker wird. Sehnsucht nach dem Kalten Krieg gibt es offenbar nicht nur in Amerika. Sondern sie blüht auch in Deutschland, besonders auf der linken Seite, wo Sozialdemokraten und Grüne den amerikanischen Größenwahn anprangern. Aber wenn Amerika selbst unter Obama nicht mehr vertraut werden kann, wie angespannt wäre das Verhältnis erst unter einem republikanischen Präsidenten? Sprache und Gefühle der deutschen Amerikakritiker unterscheiden sich jedenfalls kaum von jenen aus den letzten Jahrzehnten des Kalten Krieges. Damals wurden so ziemlich alle amerikanischen Präsidenten, mit Ronald Reagan als Höhepunkt, für die Inkarnation des Bösen gehalten. Sie schienen wild entschlossen, ihre geballte Waffenmacht – von der Neutronenbombe bis zur Pershing 2 – auf dem Boden des armen, kleinen Deutschlands zu stationieren, um sie gegen den Kreml und Warschauer Pakt einsetzen zu können.

So jagt ein Déjà-vu das nächste. Die Linke fühlt sich durch ihre Anprangerei Amerikas mal wieder jung. Außerdem bietet die Snowden-Affäre noch einen weiteren, unerwarteten Bonus: Sie gibt den Deutschen die Chance, ihre eigene Vergangenheit zu relativieren. Vielleicht waren die totalitären Methoden von Gestapo und Stasi ja gar nicht so einzigartig. Immerhin hat doch Amerika, das sich sonst so gerne als Vorkämpfer der Demokratie aufspielt, einen nationalen Sicherheitsmoloch geschaffen, der ebenso wirkungslos wie allgegenwärtig ist.

Und zuletzt: Es könnte eine kleine Ironie der Geschichte sein, wenn dieselben geheimdienstlichen Methoden, mit denen die Obama-Regierung Amerikas Macht und Einfluss zu erhöhen versucht, am Ende dazu führen, dass sich die Europäer enger und enger zusammenschließen – gegen Amerika.

Der Autor ist Senior Editor beim „National Interest“.

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