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Obamas Gesundheitsreform: Auf dem Weg der Besserung

Das herausragende innenpolitische Vorhaben des US-Präsidenten ist vom Obersten Gericht gebilligt worden. Welche Bedeutung hat das Urteil?

Die Krankenversicherungsreform ist das herausragende Symbolprojekt der Präsidentschaft Barack Obamas. Die besondere Bedeutung der Reform und das Urteil der Verfassungsrichter lassen sich aber nur im speziellen amerikanischen Kontext verstehen. Im Gesundheitswesen wie auch im Verfassungsrecht folgen die USA anderen Traditionen als Deutsche, Franzosen und andere Kontinentaleuropäer. Schlüsselworte wie Versicherungspflicht, „private“ und „gesetzliche“ Kassen oder Zuzahlung haben eine andere praktische Bedeutung als in Europa.

Zu den signifikanten Unterschieden gehört: Die Krankenversicherung ist nicht an die Person gebunden, sondern an den Arbeitsplatz. In den meisten Firmen schließt der Arbeitgeber sie für die gesamte Belegschaft ab. Bei einem beruflichen Wechsel verliert ein Amerikaner sie – und hofft, mit dem nächsten Vertrag eine neue zu erhalten. Kleinere Betriebe bieten oft keine Versicherung an. Dann muss man sich individuell absichern.

„Gesetzliche Kassen“ nach deutschem Muster gibt es in den USA nicht. Alle amerikanischen Versicherungen würde man in Deutschland als „private“ Kassen bezeichnen. Fast immer muss ein Erkrankter einen Eigenanteil bezahlen, der in der Regel zwischen zehn und 40 Prozent liegt; das ist nach US-Verständnis ein Anreiz, Kosten zu vermeiden.

Vor Obamas Reform waren rund 47 Millionen Bürger unversichert, das entspricht etwa 17 Prozent der Bevölkerung. Ein Teil von ihnen möchte keine Versicherung haben, zum Beispiel, weil die Betroffenen sich für gesund halten und die Prämien lieber sparen, weil sie so finanziell besser fahren. Andere, zum Beispiel chronisch Kranke, haben Mühe, überhaupt eine Versicherung oder jedenfalls eine bezahlbare Police zu finden.

Was ändert sich durch die Reform?

Obamas Reform führt nun eine allgemeine Versicherungspflicht ab 2014 ein. Betriebe ab einer bestimmten Betriebsgröße müssen eine Versicherung für ihre Belegschaft abschließen oder eine Strafe zahlen. Das gilt auch für Personen, die nicht in einem versicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis sind wie Selbstständige und die Beschäftigten kleiner Betriebe. Die Richter erklärten, die Regelung sei verfassungskonform, wenn diese Geldbußen nicht als Strafen, sondern als Steuern eingestuft würden.

Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen tritt Obama gegen Mitt Romney an. Das war der Vorwahlkampf der Republikaner:

Wer wenig verdient, kann staatliche Zuschüsse erhalten. Nach Modellrechnungen würden auch dann nur gut 30 der bisher 47 Millionen Unversicherten eine Police abschließen – und 14 bis 17 Millionen unversichert bleiben, weil sie lieber die Strafe zahlen oder hoffen, nicht erwischt zu werden, oder darauf setzen, weiter kostenlos behandelt zu werden, weil sie kein Eigentum besitzen, das für die Behandlungskosten gepfändet werden könnte.

Die Reform verbietet es Versicherungen, „schlechte Risiken“, zum Beispiel chronisch Kranke“, abzulehnen. Sie beendet auch die Praxis der „preexisting condition“. Mit jedem Jobwechsel oder Wechsel des Wohnorts war bisher ein Versicherungswechsel verbunden; Versicherungen konnten bei Neuabschluss den Gesundheitszustand eines Menschen prüfen und Vorerkrankungen von der Leistungspflicht ausschließen. Die Reform sieht vor, in jedem Staat „Versicherungsbörsen“ einzuführen, in denen Betriebe und Bürger ihre Versicherungsoptionen vergleichen können. Auch dagegen haben republikanisch regierte Staaten geklagt.

Bestimmte Details der Reform sind unpopulär.

Details der Obama-Reform sind populär in den USA, zum Beispiel die Klausel, dass Kinder in Ausbildung oder Studium bis zum Alter von 26 Jahren mit den Eltern versichert bleiben können. Oder das Verbot der „preexisting condition“. Umfragen zeigen aber, dass eine klare Mehrheit der Bürger die Reform als Gesamtpaket ablehnt. Sie fürchten, dass die Kosten des Gesundheitswesens und damit ihre Prämien deutlich steigen, wenn Millionen Unversicherte ins System eingebunden werden und die Versicherungen mehr „schlechte Risiken“ akzeptieren müssen.

Die Verfassungsrichter waren nicht verpflichtet, auf die inneren Zusammenhänge zwischen Teilen der Reform zu achten. Sie hatten zu entscheiden, inwieweit sich einzelne Bestimmungen mit der Verfassung vertragen. Im Mittelpunkt standen zwei Fragen: Darf der Staat, erstens, den Abschluss einer Versicherung vorschreiben oder greift er damit zu weit in die persönliche Entscheidungsfreiheit ein? Zweitens mussten sie entscheiden, ob Bundesregierung und nationales Parlament überhaupt das Recht haben, über diese Fragen zu bestimmen oder ob das in die Kompetenz der einzelnen Bundesstaaten fällt. Daneben sollten sie prüfen, ob die Vorgaben für Versicherungsgesellschaften zu weit in die Vertragsfreiheit in der Privatwirtschaft eingreifen. Nun haben die Richter in allen wesentlichen Punkten grünes Licht für das Projekt gegeben. Nur bei der geplanten Ausweitung der staatlichen Krankenversicherung für Arme muss nachgebessert werden.

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