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Vitali Klitschko wurde bei Krawallen in Kiew mit einem Feuerlöscher besprüht.

© dpa

Ukraine: Straßenschlachten in Kiew - auch Klitschko attackiert

Trotz eines Verbots ist es in der ukrainischen Hauptstadt Kiew erneut zu Massenprotesten gekommen - und anschließend zu heftigen Straßenschlachten. Oppositionsführer Vitali Klitschko wollte die Demonstranten beruhigen und wurde dabei selbst angegriffen.

Friedliche Straßenproteste der Opposition haben sich am Sonntagabend in stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei verwandelt. Sie waren ausgebrochen, als Hunderte vermummter mit Schlagstöcken bewaffnete Demonstranten am Europa-Platz unweit des Majdan versuchten, den Polizeikordon zum Regierungssitz und Parlament zu durchbrechen. Dabei ging mindestens ein Polizeibus in Flammen auf. Die für ihre Brutalität gefürchtete Sonderpolizei „Berkut“ (Steinadler) setzte Tränengas, Blendbomben und Wasserwerfer ein. Laut Polizeiangaben kam es auf Seiten der Sicherheitskräfte zu 30 Verletzten.

Den mehrheitlich jungen, radikalisierten Demonstranten versuchte sich der informelle Oppositionsführer Vitali Klitschko entgegen zu stellen. „Hört auf! Wir wollen einen friedlichen Protest!“, rief er durch ein Megaphon, wurde jedoch mit dem weißen Schaum eines Feuerlöschers besprüht. Am Abend drohte das Innenministerium mit bis zu 15 Jahren Haft für die Rädelsführer der Aktion. Bis zum späten Abend nahm die Polizei vier Demonstranten und einen Sonderpolizisten fest.

„Unter den Demonstranten waren bestimmt Provokateure des Regimes“, sagte Andrej Sannikau am Sonntagabend während einer Solidaritätsveranstaltung in der polnischen Hauptstadt Warschau. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch sei ein guter Schüler Putins, warnte der weißrussische Oppositionspolitiker im Exil. „Die anti-demokratische Eurasische Union rückt immer näher – leider“, sagte Sannikau im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Klitschko warnt vor einem "Krieg gegen die Bürger der Ukraine"

Klitschko rief derweil auf der Bühne des Majdan Janukowitsch dazu auf, die „Berlut“-Einheiten aus Kiew abzuziehen. „Gehen Sie nicht denselben Weg wie Ceausescu und Ghaddafi“, warnte er den ukrainischen Präsidenten, „stoppen Sie den Krieg gegen die Bürger der Ukraine“. Danach begab er sich der Boxweltmeister zur Präsidentenresidenz etwas außerhalb von Kiew. Dort traf er sich mit Janukowitsch zu einem Gespräch. Anschließend gab Klitschko bekannt, Janukowitsch werde zur Überwindung der politischen Krise einen Vermittlungsausschuss einsetzen. Die Kommission, die am Montagmorgen gegründet werden soll, werde aus Vertretern des Präsidialamtes, der Regierung und der Opposition bestehen, sagte Klitschko. Gemeinsam sollten die Teilnehmer einen „Weg aus der aktuellen Krise“ finden.

Noch am Sonntagmittag war Klitschko auf dem Kiewer Majdan ausgebuht worden. „Wir wollen einen gemeinsamen Anführer“, forderten die Demonstranten. Die Opposition tritt indes meist als Triumvirat bestehend aus Klitschko, Jatsenjuk von Julia Timoschenkos Partei „Batkiwtschina“ (Vaterland) und dem Nationalisten Tjanibok auf.

Trotz Demonstrationsverbots hatten am Sonntag etwa 100 000 aufgebrachte Bürger gegen die Regierung und Janukowitsch demonstriert. Ein Kiewer Stadtgericht hatte am Freitag sämtliche Massendemonstrationen in der Innenstadt bis Anfang März verboten. Jatsenjuk forderte die Bildung eines oppositionellen Gegenparlaments, die Ausarbeitung einer neue freiheitlichen Verfassung sowie vorgezogene Präsidentenwahlen. Alle drei Forderungen sind nach dem letzten Schachzug Janukowitschs wenig realistisch.

Knebel-Gesetze sollen die Opposition bändigen

Der ukrainische Staatspräsident hatte am Freitagabend trotz internationalen Protesten eine Reihe von Gesetzen unterschrieben, die ab sofort die Bürgerrechte in der Ukraine empfindlich einschränken. Nach dem Vorbild Weißrusslands und Russlands soll unter anderem künftig das Internet überwacht werden sowie Barrikaden und Zeltstädte auf öffentlichen Plätzen verboten werden. Allein für die Blockade von Regierungsgebäuden drohen seit dem Wochenende fünf Jahre Haft. Auch werden aus dem Ausland mit finanzierte NGOs künftig wie in Russland dazu gezwungen, sich als „ausländische Agenten“ zu registrieren.

Das ukrainische Einkammerparlament, in dem die Janukowisch-Anhänger eine komfortable Mehrheit innehaben, hatte das gute Dutzend Knebel-Gesetze am Donnerstag ohne Diskussion in 20 Minuten durch gewunken. Der informelle Oppositionsführer, Boxweltmeister Witali Klitschko, schrieb am Samstag, er fühle sich „an Nordkorea und seine Diktatur erinnert“. Die neuen Gesetze seien „ein ernster Schlag gegen die grundlegenden Freiheiten“, kritisierte Julia Gorbunowa, die Ukraine-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Auch Brüssel und Washington äußerten ihr Befremden und ihre tiefe Besorgnis über das Gesetzespaket, das die Ukraine weiter vom EU-Kurs entfernen wird.

Auf der Seite des Rechts fühlt sich indessen die noch vor sechs Wochen auf dem Höhepunkt der Bürgerproteste gegen Janukowitschs Abkehr vom EU-Integrationskurs angeschlagene Regierung. Gestärkt durch eine strategische Partnerschaft mit dem Kreml und die neuen Gesetze will sie den Massenprotesten nun offenbar mit einer Gewaltlösung Herr werden.

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