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Guido Westerwelle: Will er das überhaupt, Außenminister sein?

Als er ins Amt kam, rätselten viele: Kann der das überhaupt? Neun Monate später ist die Frage, ob Guido Westerwelle nicht lieber im Oppositionsgestus die Innenpolitik aufmischen will. Auf seiner Reise durch Zentralasien vermittelt der Außenminister die Ahnung einer Antwort.

Von Hans Monath

Es ist überall heiß, laut und hektisch auf der Marktstraße des Stadtviertels Alymbek-Datka, aber vor allem da, wo Außenminister Guido Westerwelle und sein französischer Kollege Bernard Kouchner sind. Sie werden belagert, umzingelt von schreienden Frauen in bunten Kleidern, von kirgisischen Soldaten im Kampfanzug und übereifrigen Offiziellen. „Kann nicht für Sicherheit garantieren“, schreit ein genervter deutscher Sicherheitsbeamter in sein Funkgerät.

Westerwelle und Kouchner, die sich über die Zerstörung der Stadt Osch im Süden Kirgistans informieren, haben soeben beschlossen, sich dem offiziellen Protokoll zu widersetzen. Unter riesigem Getöse biegen sie mit ihrem Gefolge nun in eine staubige Nebenstraße ein, in der sich bereits weitere Dutzende von Neugierigen drängen. Ausgebrannte Stahlträger recken sich in den Himmel, in den Fenstern der geplünderten Geschäfte stecken Glassplitter. Die beiden Politiker aus Europa ducken sich durch eine Toreinfahrt hindurch in das Anwesen von Abduli Ibrahim hinein, einem Usbeken, einem aus der Minderheit hier in der Stadt. Der halbe Tross schiebt sich hinterher, trampelt über Schutthaufen und die Blechstreifen des ehemaligen Dachs. Wo früher Aprikosenbäume den Garten schmückten, ragen verkohlte Baumstämme empor. In den ausgebrannten Zimmern steht kein einziges Möbelstück mehr.

Vor vier Wochen eskalierten die Spannungen in der multiethnischen Stadt: Kirgisen gingen auf Usbeken los, Usbeken auf Kirgisen. Nach unterschiedlichen Angaben starben bis zu 2000 Menschen damals, Zehntausende wurden vertrieben. Starke Indizien deuten darauf hin, dass der zuvor aus dem Amt gejagte Präsident Kurmanbek Bakijew hinter den Gräueltaten steckt, denen vor allem Usbeken zum Opfer fielen.

Das wissen auch die beiden europäischen Außenminister, die in Zentralasien ihre erste gemeinsame Reise unternehmen. Zwei Männer aus verschiedenen Welten und Zeen, die sich doch verstehen, gut verstehen, „Guiiidoooo! Guiiiidooo!“, ruft Kouchner, 70, der Humanist, Mitbegründer der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, begeistert, als er mit dem 22 Jahre jüngeren Westerwelle am Freitagvormittag auf dem Flughafen zusammentrifft.

Kouchner war einer der ersten Amtskollegen, die Westerwelle nach seiner Ernennung am 28. Oktober 2009 besuchte. Damals stand der Deutsche im Uhrensaal des Quai d’Orsay, des französischen Außenministeriums, und pries den barocken Prunk. Damals begann auch seine Zeit des Lernens. Viele rätselten: Kann der das überhaupt? Neun Monate später ist die Frage eine andere. Sie lautet: Will der das überhaupt, Außenminister sein? Will der nicht lieber im Oppositionsgestus die Innenpolitik aufmischen, statt sich zurückzunehmen und diplomatische Arbeit zu machen, die Diskretion verlangt?

Es ist nicht lange her, dass ein Unionsminister mit kalter Häme meinte, Westerwelle müsse sich entscheiden, ob er Staatsmann werden wolle oder die Haiderisierung der deutschen Politik anstrebe. Viel anders denkt auch das deutsche Volk nicht. Diesem Außenminister verweigert es jedenfalls bislang den Respekt.

Das ist hier anders: Für die Gastgeber auf dieser Reise ist Westerwelle ein geschätzter Vertreter eines reichen Landes, das helfen soll und auch geholfen hat.

Wo die Gewalt herkam, will der deutsche Außenminister jetzt von Abduli Ibrahim wissen. Ibrahim, ein kleiner Mann mit sonnengegerbter Haut, sieht die vielen kirgisischen Sicherheitskräfte an, die sich inzwischen um ihn scharen. Dann antwortet er. „Er war nicht da, er weiß es nicht“, übersetzt die Dolmetscherin. Hinten schreien Frauen, die örtlichen Sicherheitskräfte schreien noch lauter, um sie zur Ruhe zu bringen. Westerwelle hakt nach, will eine Antwort, aber er kommt nicht weiter. Der Usbeke hat Angst.

Es ist nicht leicht, in diesem Chaos auszumachen, wer Mitte Juni für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich war. Als eine Frau auf einen Journalisten zustürzt und laut weinend ihr Schicksal als Usbekin beklagt, kommen zwei Soldaten und ein Polizist gerannt und zerren sie weg. Nun läuft die Nachbarin, eine Kirgisin, heran und ruft, die Usbekin solle still sein. Ihr Schicksal sei viel schlimmer.

Beide Ethnien machen sich gegenseitig für die Morde und Plünderungen verantwortlich, was die derzeitige Ruhe brüchig macht. Deshalb sucht Westerwelle gemeinsam mit Russland sowie den Ländern Usbekistan, Kirgistan und Kasachstan nach Mechanismen, die neue Gewaltausbrüche verhindern helfen. Auf dem Weg nach Zentralasien hat der deutsche Außenminister auch bei den deutsch-russischen Konsultationen in Jekaterinburg Station gemacht und lange mit Außenminister Sergej Lawrow beraten.

Die Opposition in Berlin hat schon moniert, der Besuch Westerwelles komme zu spät. Und doch es ist richtig, auch am Ort alle Möglichkeiten zur Befriedung einer Krise auszuloten, die eine ganze Region destabilisieren könnte und deshalb auch die Europäer betrifft.

In seiner Anfangszeit hatte sich Westerwelle vorgenommen, in wenigen Wochen das diplomatische Geschäft und die wichtigsten Partner darin kennenzulernen, um dann im Januar mit Macht in die Innenpolitik zurückzukehren. Damals war seine Anspannung unübersehbar. Bevor er im Flugzeug ein paar Worte an die Journalisten richtete, streckte er den Rücken kerzengerade durch und schloss mit zackigen Bewegungen den obersten Knopf seines dunklen Jacketts. Zum Journalistenbriefing im Regierungs-Airbus erscheint der erkältete Politiker über den Weiten Russlands auf dieser Reise nicht mehr zugeknöpft im schwarzen Anzug, sondern ganz locker in einer weißen Fleecejacke mit Bündchen („Tradicion Polo de Argentina“), deren Stickereien dem Edelreitsport gewidmet sind.

Lawrow, der um die Pferdebegeisterung des Gastes weiß, gab am ersten Abend des Russlandbesuchs am Mittwoch für ihn nahe Jekaterinburg im Pferdesportkomplex „Belaja Loschad“ („Weißes Pferd“) ein Essen und führte ihn vorher persönlich an den Boxen mit den schönsten Tieren vorbei.

So selbstverständlich viele Partner im Ausland Westerwelle akzeptieren, so ungebrochen ist das Unverständnis über ihn im Inland. Auch im Auswärtigen Amt (AA), im Bundestag und in der außenpolitischen Community schütteln viele den Kopf. Der Außenminister vermittelte den Eindruck, als ob ihm die Außenpolitik gar nicht ans Herz gewachsen sei.

Die Distanz hat Gründe. „Wir sind ein besonderes Haus“, sagt ein Diplomat: „Der Minister sollte für das Auswärtige Amt sprechen. Parteipolitik wird woanders gemacht.“ Gegen diese Regel aber hat Westerwelle verstoßen, als er Anfang des Jahres beschloss, in der Sozialstaatsdebatte („spätrömische Dekadenz“) aufzutrumpfen. Das AA lud damals unter der Überschrift „Iran und andere aktuelle Themen“ ins Pressefoyer. Die Außenpolitik aber war nur Maskerade, Westerwelles Sätze zum iranischen Atomprogramm Plattitüden. Tatsächlich forderte ein AA-Mitarbeiter Journalisten auf, „wirklich zu Hartz IV“ zu fragen.

Dazu kommt: Nicht nur in Deutschland ist Außenpolitik immer weniger eine Sache von Ministern als von Kanzlern und Präsidenten. Wo Westerwelle hinkommt, war Angela Merkel meist schon da. Nach dem Treffen in Jekaterinburg verbreiten Westerwelles Pressereferenten einige für die Öffentlichkeit bestimmte Sätze aus dessen Gespräch mit Lawrow. Merkel aber tritt gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew vor die Kameras, um das Resümee zu ziehen und die wichtigen Botschaften zu verkünden. Der Kanzlerin, so heißt es denn auch süffisant aus ihren eigenen Reihen, sei es gar nicht so unrecht, wenn Westerwelle zu Hause nicht als glänzender Diplomat wahrgenommen werde.

Und dann ist da noch der Schatten des Vorgängers Frank-Walter Steinmeier (SPD), den sie im Auswärtigen Amt so geschätzt haben, weil er die Diplomaten forderte. Auch in Zentralasien bewegt sich Westerwelle im Schatten Steinmeiers. Der hatte für die EU im Jahr 2007 eine Zentralasienstrategie entwickelt, die noch heute Grundlage für die Zusammenarbeit mit den Staaten ist und jetzt in der Krise gute Hilfe leistet.

Ein guter Außenminister muss auch einige große Linien ziehen. Die Abrüstung und die Verbesserung der Beziehungen zu den kleinen Ländern in der EU hat Westerwelle immer wieder als seine Schwerpunkte genannt. Doch vielen in Berlin reicht das nicht. „Sein Problem ist, dass er kein eigenes Thema hat“, urteilt ein Außenpolitiker der Koalition. Dabei ist es schon schwere Arbeit, ein vermeintlich kleines Ziel wie die Einbindung der Kleinen in der EU in die Tat umzusetzen. Der neue Außenminister jedenfalls ist stolz darauf, dass alle EU-Mitglieder die Fortschritte im Verhältnis zu Russland mittragen und nicht aus historisch verständlichen Ressentiments torpedieren.

Auch im russischen Jekaterinburg, im usbekischen Taschkent, im kirgisischen Bischkek und im kasachischen Almaty kämpft Westerwelle mit Plan und Energie um kleine Fortschritte. Es ist so ein kleiner Fortschritt, dass der usbekische Präsident Islam Kamirow dafür ist, die Polizeimission der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Kirgistan auszuweiten. Und nach dem Besuch in Osch baut Westerwelle sich vor den Mikrofonen auf und erklärt, ganz Europa habe geholfen und werde weiter helfen. Dann verlangt er eine unabhängige internationale Untersuchung der Gewalttaten. Denn längst haben die Sicherheitskräfte in der Region Osch angefangen, allein den Usbeken die Schuld in die Schuhe zu schieben. Die informelle Außenministerkonferenz der OSZE in Almaty, der letzten Station seiner Zentralasienreise, soll dazu am Samstag eine Entscheidung treffen.

Westerwelles Botschaft lautet: „Es geht um das Signal an die gesamte Region, dass wir in Europa nicht wegsehen, sondern hinsehen.“

Diese Reise zeigt einen anderen Westerwelle als jenen, den die Öffentlichkeit in Deutschland kennt. Er polemisiert nicht, kennt auch die Details der Probleme, verlässt wie in Osch die vorgeschriebenen Routen, wenn er etwas erfahren will, und zeigt so etwas wie Leidenschaft für das kleine diplomatische Geschäft, wo hart um Erfolge gerungen werden muss, ohne dass eine Öffentlichkeit Hurra schreit.

Übrigens: Als Lawrow in der Reithalle bei Jekaterinburg den Gast an den Pferden vorbeiführt, bleibt der an der Box eines Schimmels stehen. Als der Dolmetscher den russischen Namen mit „Sorglos“ übersetzt, lacht Westerwelle laut heraus. Zwei Boxen weiter bleibt die Gruppe wieder stehen. Diese Stute hört ausgerechnet auf den Namen „Polemika“. Eigentlich müsste ein Politiker vom Schlage Westerwelles auf das Reizwort anspringen. Fällt ihm nichts ein? Will er nicht? Einen Moment könnte man meinen, er denke über den Gegensatz von Polemiker und Staatsmann nach. Doch der Minister zeigt keine Reaktion.

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