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Totes Meer: Im Schwebezustand

Phänomen Totes Meer. Baden in dem extrem salzhaltigen See kann die Gesundheit fördern, birgt jedoch auch Gefahren. Ein Besuch am jordanischen Ufer.

Die Situation ist ein wenig grotesk. Soeben sind wir von Amman kommend hinabgefahren in Richtung Totes Meer, dann das Schild am Straßenrand: „Sea-Level“, Meeresniveau. Dabei sind es noch exakt 18 Kilometer bis zu dem sonderbaren See. Und es wird jetzt schon deutlich, dass wir noch weiter den Berg hinunterfahren müssen, vorbei an einem Militärkontrollpunkt, bis wir bei rund 400 Meter unter dem Meeresspiegel ankommen werden. Ein unwirkliches Gefühl.

Dann endlich liegt es da, das Tote Meer. Blau und recht verlockend leuchtet es in der Sonne, und am gegenüberliegenden Ufer erheben sich die Berge von Samaria. Dort liegt Israel. Die Grenze verläuft irgendwo in der Mitte des abflusslosen Sees mit dem extrem hohen Salzgehalt. Jordanien hat 1994 mit Israel Frieden geschlossen. Man arbeitet zusammen, aber wer sich der Nahtstelle zwischen den beiden Ländern nähert, den erinnern die Militärposten daran, dass es sich hier um eine ganz besondere Grenze handelt.

Nach einem Checkpoint beginnt eine Promenade entlang dem Gewässer, das flächenmäßig fast so groß ist wie Berlin. Hotels reihen sich hier aneinander, darunter das Holiday Inn, Kempinski und das Mövenpick Resort & Spa Dead Sea. Ein Crown Plaza ist im Bau. Dazwischen immer wieder Swimmingpools. Es ist hier heißer und feuchter als in unserem Abfahrtsort Amman, das rund 1000 Meter über dem Meeresniveau liegt. Zehn Grad mehr als in der Hauptstadt sind üblich am Toten Meer, wo das Quecksilber im Sommer auch mal locker auf 40 Grad klettert.

Einen der schönsten Flecken an der jordanischen Küste des Toten Meeres hat sich 1999 das Mövenpick Resort ausgeguckt. Es ist in traditionellem Dorfstil angelegt, mit einem riesigen Garten, wo neben ganz exotischen Gewächsen vor allem Oleander, Wandelröschen und Bougainvillea blühen, wo Palmen willkommenen Schatten spenden. Tagesgäste zahlen 40 Jordanische Dinar (rund 40 Euro) Eintritt für die Hotelanlagen. Das ist zwar auch für Jordanier viel Geld, doch als Gegenwert wartet ein 6000 Quadratmeter großer Wellnessbereich. Und wer ins Meer eintauchen möchte, den kutschieren Elektrowägelchen flink durch die weitläufige Anlage.

„Wer hier Urlaub macht, der kommt allerdings nicht einfach nur zum Baden“, erklärt Aymn Tadros, unser Guide. Denn mit dem Schwimmen im See ist das so eine Sache. Nicht mehr als eine Viertelstunde an einem Stück darf man im Wasser bleiben, sonst entzieht das Salz dem menschlichen Körper zu viel Flüssigkeit. Das kann gefährlich werden. Und sobald der „Schwimmer“ der Salzlake entsteigt, sollte er sich schleunigst mit Süßwasser abduschen.

Baden im Toten Meer. Trotz der Hitze ist kaum jemand im Wasser. Das hat seinen Grund: Erfrischendes Planschen im Toten Meer darf man vergessen. Baden ist hier eher eine kontemplative Angelegenheit. Man dümpelt. Oder bemüht jemanden, das obligatorische „Foto mit Zeitung“ von einem selbst zu schießen. Ganz ohne ist die Baderei im Toten Meer jedoch nicht: Der glitschigen Steine wegen sind Badelatschen (besser noch: Gummischuhe an den Füßen) angeraten. Und wer eine offene Wunde hat, und sei es nur ein kleiner Kratzer, wird umgehend wieder die Flucht ergreifen. Das Wasser mit einem 32-prozentigen Salzgehalt (Mittelmeer: etwa drei Prozent) lässt gleich sämtliche körperlichen Alarmglocken schrillen. Mit anderen Worten: Es brennt ungemein. Auch neckische Spritzereien verbieten sich. Wasser in den Augen oder gar in der Lunge kann böse Folgen haben. Umsichtige Bademeister in roten Hemden sind allerorten, um den Unfug zu unterbinden und im Notfall gleich Hilfe zu leisten.

All das beiseitegeschoben: Im Wasser ist es herrlich bequem. Schweben in Rückenlage – ein wunderbares Gefühl. Dazu eine meistens angenehme Temperatur (rund 31 Grad im September, 20 im Februar). Kleine Paddelbewegungen mit den Händen manövrieren den Körper wunderbar leicht durch das salzige Nass. Der Versuchung, sich auf den Bauch zu legen, sollte man jedoch besser nicht erliegen. Der Auftrieb ist zu stark, und schließlich muss das Gesicht über Wasser bleiben. Kaum ist die richtige Balance gefunden – schon zeigt der Blick zur großen Uhr am Strand: 15 Minuten sind vorbei, nichts wie raus und duschen. Wer sich damit Zeit lässt oder gar nachlässig zu Werke geht, wird sehen: Schnell bilden sich Salzkristalle auf der Haut, der frisch dem Bad Entstiegene mutiert quasi zu Pökelfleisch.

Nächste Aktion am See: die Schlammpackung. Genüsslich greifen die Gäste mit vollen Händen in den schwarzgrauen, feinen Schlamm, lassen ihn durch die Finger quellen und schmieren sich damit ein, bis auf Augen, Mund und Nase natürlich. Auch bei dieser Packung gilt: 15 Minuten maximal. Der Schlamm enthält zahlreiche „Gesundmacher“ wie Magnesium, Chlorid, Kalzium, Natrium, Kalium und Brom, wissen Experten. Nach kurzer Zeit trocknet die Schlammkruste, es spannt und kitzelt – ach je, was tut der Mensch nicht alles für die Schönheit.

„Viele Deutsche kommen sogar zwei Mal im Jahr für bis zu drei Wochen hierher“, erzählt die Hotelmanagerin. „Patienten mit Arthritis, Rheuma, Schuppenflechte und Akne fühlen sich hier wohl, denn die Anwendungen schaffen schon große Erleichterung.“ Ein ganzer Industriezweig hat sich mittlerweile entwickelt, der Kosmetika mit dem Schlamm und den Mineralien des Toten Meeres entwickelt. Bis in den Flughafenshop verfolgen einen die entsprechenden Produkte.

Die Dusche, die die versammelten Schlammbader vom Grauschleier schließlich befreit, hat was. Es ist nicht nur das Gefühl, wieder sauber zu sein. Baden und Schlammpackung wirken ausgesprochen belebend. Nun, wie neugeboren wäre vielleicht etwas übertrieben, aber so ähnlich ist es schon.

Apropos duschen. Süßwasser ist in dieser Region ein ganz besonderer Saft. Größtmögliche Sparsamkeit ist eigentlich angesagt. Angesichts des üppigen Grüns und der allgegenwärtigen Hotelbaustellen taucht ohnehin die Frage nach der Wasserversorgung auf. Der Grundwasserspiegel sinkt ebenso wie der des Sees selbst. Jahr für Jahr etwa ein Meter soll es sein. Da sowohl Israel als auch Jordanien dem zufließenden Jordan das wertvolle Nass entnehmen, kommt immer weniger Wasser im See an. Andererseits gibt es auf israelischer Seite ein neues Phänomen: Die Dead Sea Works (DSW), eine Tochtergesellschaft von Israel Chemicals, bauen Mineralien im südlichen Bereich des Toten Meeres ab, an dessen Ufer die dortigen Hotelanlagen liegen. Durch einen Kanal wird ständig salzreiches Wasser eingeleitet. Doch mit dem Wasser kommt auch Schlamm, der die Bodenhöhe konstant anhebt – und damit auch den Wasserspiegel. Bislang sind die Hotels noch durch eine künstliche Barriere geschützt, die jedoch weder schön anzusehen noch von ewiger Haltbarkeit ist. Sie kann Schätzungen zufolge nur bis 2013 Schutz garantieren.

Ressourcen überhaupt sind kostbar in Jordanien. Tourismusministerin Maha Khatib macht denn auch keinen Hehl daraus, dass Jordanien kein billiges Reiseland sein könne. Also müsse sichergestellt sein, dass mit dem Wasser, das dem Tourismus zur Verfügung stehe, durch ein entsprechendes hochwertiges Angebot gute Erträge erzielt werden.

Am „Amman-Beach“ des Sees baden die Jordanier übrigens für zehn Dinar Eintritt. „Freitags ist der Strand gut besucht“, erzählt Aymn. „Die Eltern gehen mit den Kindern zwar ans Wasser, doch die Eltern baden eigentlich nie. Sie beschränken sich darauf, auf ihre Kinder aufzupassen.“

Vom Resortgebiet aus lassen sich auch interessante Tagesausflüge unternehmen. Etwa nach „Bethanien jenseits des Jordan“, wie es in der Bibel genannt wird. Hier hat Johannes der Täufer gewirkt und Jesus getauft. Seit dem Friedensvertrag mit Israel konnten in dem einstigen militärischen Sperrgebiet auch Ausgrabungen stattfinden, die, so sagt uns Aymn, die Taufstelle Jesu auch archäologisch belegen.

Auf der Fahrt nach Bethanien passiert man wieder einen Kontrollpunkt des Militärs und gelangt schließlich an einen Hügel, auf dem ein großes Kreuz steht. Ungewöhnlich in einem muslimischen Land. Genau an dieser Stelle stand Papst Johannes Paul II., der im Jahr 2000 das Heilige Land besucht hatte. Zu Füßen des Hügels drehen sich Kräne, die katholische und die evangelische Kirche wetteifern im Errichten schöner Gotteshäuser. Die Griechen haben ihr Kloster schon gebaut, die russisch-orthodoxe Kirche ist dabei, ein großes Kloster mit Pilgerzentrum zu errichten. Christlicher Bauboom am Jordan. Durch ein Schatten spendendes Tamariskendickicht windet sich ein angelegter Pfad zu der Ausgrabung der Taufstelle Jesu.

Ein in Stein gefasstes Becken mit etwas brackigem Wasser bietet keinen spektakulären Anblick, allein, es ist dieses Gefühl, an biblischem Ort zu stehen. Grundmauern und einige Mosaike byzantinischer Kirchen belegen die christliche Tradition des Ortes. Fast noch beeindruckender ist die neue Taufstelle am Jordan. Nirgends kommt man näher an den Fluss, der einst 200 Meter breit war. Jetzt passiert man einen jordanischen Soldaten, der die Terrasse bewacht, und steht nach wenigen Metern am grünlichen Wasser des Jordans, Schilf an beiden Ufern, und in etwa fünf Metern Entfernung beginnt die Westbank. Auf israelischer Seite hat die griechisch-orthodoxe Kirche eine mächtige Taufstelle aus Sandstein errichtet. Nebenan weht die israelische Fahne, doch niemand ist zu sehen. So nah und doch so fern. Fast hat man ein Gefühl wie einst an der Berliner Mauer. Aber hier: keine Sperranlagen. Friedlich rinnt der Jordan hier vorbei oder das, was von dem gebeutelten Fluss noch übrig geblieben ist. „Wir hoffen auf viele Pilger“, sagt Aymn. „Die sollen nicht nur Jerusalem besuchen, sondern auch hierher kommen, darauf bauen wir unsere Zukunft.“

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