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Sturmduos - ein Nachruf: Zusammen ist man weniger allein

Neuerdings spielen die meisten Mannschaften nur noch mit einer Spitze. Das Sturmduo ist durch diese Modeerscheinung vom Aussterben bedroht – Grund genug, sich noch einmal an den schönsten Angriffspaaren des Fußballs zu erfreuen

Jahrzehntelang war das Angriffsspiel ein Fall für Zwei. Stürmer galten als eine Spezies, die im Strafraum, ihrem natürlichen Habitat, gewöhnlich in Pärchen auftrat. So selbstverständlich wie Sonny mit Cher. Sie bildeten unvergessene Duette und teuflische Schicksalsgemeinschaften, in denen zwei Spieler zu einem Begriff verschmolzen. Zu einem vierbeinigen Ungetüm, das im Idealfall mit einer Stimme sprach, sich einen Gedankenstrom teilte: Mancini und Vialli in Genua, Völler und Klinsmann 1990 oder Toni Polster und Bruno Labbadia beim 1. FC Köln.

Symbiotische Beziehungen wie diese gibt es heute allerdings immer seltener. Die Teammanager haben die zweite Spitze zugunsten eines weiteren Mittelfeldspielers geopfert, um die Mannschaftsstatik zu verbessern. Das 4-3-2-1-System ist eine Modeerscheinung des modernen Fußballs, in dem Mannschaften wie Maschinen funktionieren müssen und Niederlagen nicht selten Millionenverluste nach sich ziehen können, die das Sturmduo mit einer anachronistischen überzogen hat. Es ist vom Aussterben bedroht. Grund genug, um dem Vergangenen zu huldigen, in dem wir an dieser Stelle noch einmal einen Blick auf fünf große Sturmduos werfen, die für die Schönheit der Zweisamkeit stehen.

Dwight Yorke und Andy Cole, Manchester United 1998/99

Wie ein Tornado fegten sie durch die Stadien Europas, verwüsteten das Camp Nou in Barcelona, das Delle Alpi in Turin und auch in England gab es kaum eine Defensive, die dem Angriffswirbel von Andy Cole und Dwight Yorke standhalten konnte. In ihrer ersten Saison hatten die beiden ein nahezu übernatürliches Gespür für die Gegenwart und die Laufwege des anderen entwickelt. Ihre Doppelpässe, oftmals mit nur einem Ballkontakt vorgetragen, liefen wie an dünnen Fäden gezogen und ließen Abwehrspieler so ungelenk wirken wie Figuren aus der Augsburger Puppenkiste.

Doch fast hätte eines der aufregendste Sturmduos in der Geschichte der Premier League gar nicht zusammen gefunden. Denn Sir Alex Ferguson wollte eigentlich Patrick Kluivert oder Gabriel Batistuta ins Theater der Träume nach Old Trafford holen, entschied sich allerdings in letzter Sekunde für Dwight Yorke, den er schon länger beobachtet hatte. Der Mann aus Trinidad und Tobago kostete die damalige Rekordsumme von zwölf Millionen Pfund.

Anfänglich begegneten ihm die kritischen Fans Uniteds mit Achselzucken oder offener Ablehnung, Doch Yorke, den sie in England "The Smiling Assassin" tauften, weil er sein Dauergrinsen wie eine Karnevalsmaske trug und vor dem Tor die Kaltblütigkeit eines russischen Auftragskillers besaß, ließ die kritischen Stimmen schnell verstummen. Es war, als wäre er das Teil gewesen, das dem Offensivpuzzle Fergusons zur Vollendung gefehlt hatte. Insbesondere Andy Cole hatte endlich seinen Seelenpartner gefunden, mit dem er eine geradezu telepathische Verbindung einging. 53 Tore gingen aus dieser Verbindung hervor, Dwight Yorke wurde mit 18 Treffern Torschützenkönig der Premier League und kam wettbewerbsübergreifend auf 30 Tore und 24 Assists.

Mit ihrer Synchronakrobatik führten sie Manchester nicht nur zu Meisterschaft und dem Sieg im FA-Cup, sondern auch ins Finale der Champions-League. Deshalb entbehrt es auch nicht einer gewissen Ironie, dass die Engländer dieses Endspiel gegen die Bayern nur gewinnen konnten,  weil Ferguson das Sturmduo zehn Minuten vor dem Ende auseinander riss. Als Mehmet Scholl wie leblos am Pfosten lehnte und Ole Gunnar Solskjaer als bayerisches Trauma mit Babyface über den Platz tollte, stand Andy Cole nicht mehr auf dem Platz. Er war zwölf Minuten vorher ausgewechselt worden. Gegen Solskjaer. Coles Auswechslung war auch das Ende einer Saison wie im Rausch. Denn obwohl Yorke und Cole auch in der Folgesaison noch 46 Tore erzielten, hatte ihr Zauber schon in der Nacht von Barcelona zu verblassen begonnen. Nacheinander verließen sie Manchester und gingen nach Blackburn, wo sie ihre Beziehung zu retten versuchten. Ihre einst telepathische Verbindung aber war gekappt. So gut wie in der Triple-Saison wurden die beiden nie wieder.

Gerd Müller und Uli Hoeneß, FC Bayern München,  1971/72

Versucht man die Begriffe München und Tore miteinander zu verbinden, entsteht unweigerlich das Bild eines untersetzen Mannes mit den Beinen eines Gewichthebers.

Doch Gerd Müller war trotz seiner Ewigkeitsbombardierung der Nation kein Solo-Künstler.  "Kleine Dickes" bildete gemeinsam mit Uli Hoeneß, dem heutige Präsidenten des FC Bayern München, das deutsche Rekordduo. Anfang der 70er Jahre, als die schwarze Bestie aus München langsam ihre Gefräßigkeit, diesen unbändigen Appetit auf Titel entwickelte, trafen Hoeneß und Müller gleich in zwei aufeinander folgenden Jahren 53 Mal.

Ihre Bedeutung für den Verein aber geht weit über das eines normalen Sturmduos hinaus. Ohne diese beiden gäbe es den FC Bayern wie Deutschland ihn heute kennt kaum. Es gäbe keinen van Gaal und kein rot leuchtendes Gummiboot in der Fröttmaninger Heide.

Denn Hoeneß und Müller sind, jeder auf seine Art, dafür verantwortlich, dass der FC Bayern die Bundesliga bis heute dominiert. Während Müllers Tore das Fundament bildeten, auf dem der deutsche Branchenprimus thront, ist Hoeneß der Architekt des bajuwarischen Selbstverständnisses. Nachdem er mit 27 seine Karriere beenden musste, übernahm er das Management des Vereins, machte den FC Bayern zur Marke und wurde der mächtigste Mann des deutschen Fußballs.

Als Mutti des FC Bayern stellte er sich zudem an die Seite Müllers, als beide längst nicht mehr das Trikot des FC Bayern trugen. Nachdem Müller aus seinem selbst gewählten Exil in Florida als zerrüttete Existenz zurückkehrte, ein Alkoholiker, der den Ruhm vergangener Tage wie einen wertlosen Orden mit sich herum schleppte, nahm Hoeneß seinen alten Freund wieder auf. Er überredete Müller zu einer Entziehungskur und besuchte ihn fast täglich in der Klinik. Später gab er ihm einen Job als Jugendtrainer und begradigte so dessen Lebensweg. "Allein hätte ich das nicht geschafft", sagt Müller heute noch.

Romario und Bebeto, Brasilien, WM 1994

Es ist eines jener Bilder, die sich in das Kollektiv-Gedächtnis des Fußballs eingebrannt haben. Nachdem Bebeto im Viertelfinale der WM 1994 das 2:0 gegen die Niederlande getroffen hat, lässt er die Arme im Jubeltaumel vor der Brust schaukeln, als wiege er einen unsichtbaren Säugling, ein Gruß an seinen neugeborenen Sohn Mattheus. An der Seitenlinie übernimmt erst Mazinho und schließlich auch sein exzentrischer Sturmpartner Romario die Vaterschaftspantomime. Es ist eine fließende Bewegung im Takt des Taumels. So natürlich aufeinander abgestimmt wie ihr gesamtes Duett bei diesem Turnier. Wenige Tage später wurden die beiden mit Brasilien Weltmeister, nachdem sie auch die Italiener schlafen gelegt hatten. Acht Tore hatten die beiden gemeinsam erzielt. Es war ohne Zweifel ihr Turnier.

Obwohl Bebeto und Romario ein eher ungleiches Doppel waren. "Wir sind verschiedene Typen", hat Romario einmal gesagt. "Bebeto ist ein Familienmensch. Ich bin ein Straßenkater." Zudem pflegten die beiden eine erbitterte Rivalität. Denn in der spanischen Primera Division kämpften sie als Stürmer bei Barcelona und Deportivo La Coruna Jahr für Jahr um die gegeneinander um die Krone des Torschützenkönigs. Und schaukelten sich so gegenseitig zu immer neuen Höchstleistungen.

Während der WM ließen sie ihre natürliche Antipathie jedoch, zumindest auf dem Platz, ruhen. Der gedrungene Derwisch und sein filigraner Partner verstanden sich ohne große Worte und wurden am Ende, mit der Trophäe in den Händen, doch so etwas wie Freunde, die nicht zuletzt die Sucht nach Toren und der Respekt für die Fähigkeiten des jeweils anderen verbindet. Nun aber steht diese Freundschaft vor einer erneuten Zerreißprobe. Erst kürzlich entließ Romario, heute Klubmanager beim Amerika FC in Rio de Janeiro, den Trainer Bebeto.

Emile Mpenza und Ebbe Sand, Schalke 04, 2000/01

Sammy Kuffour hatte sich wieder einmal den Kaiserzorn Franz Beckenbauers zugezogen. "Das waren drei individuelle Fehler eines Mannes", donnerte der Fernsehpräsident des FC Bayern nachdem seine Mannschaft im April 2001 zuhause mit 1:3 von Schalke 04 zerlegt worden war. Dabei übersah er, dass Kuffour einfach machtlos war gegen ein Schalker Tandem, das sich im Vergleich mit der Bayern-Defensive wie in Warp-Geschwindigkeit zu bewegen schien. Drei Mal hatte Ebbe Sand im Olympiastadion getroffen, drei Mal hatte Emile Mpenza leichtfüßig serviert. Es war eine Gala, doch nicht die erste in dieser Saison, in der die beiden einfach nicht zu greifen waren, den gegnerischen Verteidigern aus den Händen rutschten, als hätte Huub Stevens sie vor jedem Spiel eigenhändig eingeölt. Am Ende kam Sand auf 22 Tore und gewann die Torjägerkanone, Mpenza erzielte 13 Tore und glänzte, wie in München, als umsichtiger Assistent.

Es war eine Fabelsaison des Duos, das eine in dieser Form seltene Symbiose einging. Der junge Belgier, der mittlerweile in Aserbaidschan gestrandet ist und der erfahrene Däne, der erst zwei Jahre zuvor den Hodenkrebs besiegt hatte, waren jeder für sich gute Stürmer. Doch ähnlich wie bei Mentos und Cola sorgte erst die Zusammenführung der beiden für die Sprengkraft, mit der sie die Abwehrreihen der Bundesliga reihenweise zerfasern ließen. "Sie haben sich einfach wunderbar ergänzt, weil sie so unterschiedlich waren", erinnert sich Olaf Thon. Sand war ein typischer Strafraumspieler. Während der antrittsstarke Mpenza immer wieder auf die Flügel ausweichen konnte.

Abseits des Rasens allerdings hatten sie allerdings weniger Berührungspunkte, redeten wenig miteinander. Für Klaus Fischer waren die beiden trotzdem das beste Sturmduo in der Geschichte der Königsblauen. Auch wenn es am Ende nur zur Meisterschaft der Herzen reichte. Hinter dem FC Bayern und Sammy Kuffour.

Grafite und Edin Dzeko, VfL Wolfsburg, 2008/2009

Auf Schalke muss Felix Magath derzeit erkennen, wie sehr Erfolg und Misserfolg auch von einem glücklichen Händchen bei der Personalwahl abhängen. In Wolfsburg hatte sich der Supermanager gleich zwei Mal auf eine überaus fruchtbare Affäre mit Fortuna eingelassen, die ihm nacheinander die Stürmer Grafite und Edin Dzeko schenkte, die bis dahin nicht einmal Magath selbst kannte. Weder von dem einen noch von dem anderen hatte er zuvor etwas gehört, den Namen des Brasilianers konnte er nicht einmal aussprechen. Magath aber traute seinem Instinkt und holte erste Grafite und später Dzeko in die Bundesliga. Damit kaufte er letztendlich auch den Meistertitel des VfL Wolfsburg ein.

Denn Grafite und Dzeko entwickelten sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten zu einem Sturmduo, das in der Historie der Bundesliga seines Gleichen sucht. In der Wolfsburger Meistersaison lösten sie mit 54 Toren Gerd Müller und Uli Hoeneß als Rekordduo ab. Grafite wurde Torschützenkönig, Dzeko einer der aufregendsten Angreifer des Kontinents. Unvergessen bleibt ihre Gala gegen die Bayern, als sie in zweiten Halbzeit jeweils doppelt trafen und Grafite die Münchner Selbstbewusstsein mit seinem Hackentreffer in mundgerechte Häppchen teilte. In Magaths Kontertaktik zermalmten sie nahezu jede Defensivreihe, weil sich Körperlichkeit mit technischer Überlegenheit paarte, zwei Wandspieler, die jeden Gegner an die Wand spielten.

Doch mit dem Weggang Magaths zerbröselte auch diese Verbindung, weil erst Armin Veh und dann auch sein Nachfolger Steve McClaren mit der Mode gingen und auf nur einen Stürmer umstellten. Grafite sollte auf den Flügel weichen, Dzeko den Alleinunterhalter spielen. Durch dieses Einschmelzen der Doppelklinge beraubten sich die Wolfsburger jedoch ihrer stärksten Waffe.

Ein Fehler, den sich McClaren mittlerweile eingestanden hat. In der vergangenen Woche startete er das System neu, kehrte zu Magaths System mit Raute und zwei Stürmern zurück. Grafite und Dzeko dankten es auf ihre Weise. Sie erzielten vier Tore und die wieder gewonnene Spielfreude spiegelte sich in ihren Gesichtern. Zusammen ist man eben weniger allein.

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