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Erleichterung hoch vier.

© dpa

Frauenfußball-WM: Zittern macht Spaß

Die Nationalmannschaft der Frauen freut sich über den 2:1-Sieg gegen Kanada. Und darüber, dass das Publikum die WM-Titelverteidigung jetzt nicht mehr für einen Selbstläufer hält.

Lina Bresonik fühlte sich zunächst überfordert. „Es war eine Reizüberflutung“, sagte die Außenverteidigerin der Fußballnationalmannschaft über den 2:1 (2:0)-Sieg der deutschen Frauen gegen Kanada. Sie könne die Atmosphäre im Berliner Olympiastadion gar nicht in Worte fassen, erklärte die 27-Jährige – und versuchte es dann doch: „Gigantisch, bombastisch, zum Wohlfühlen.“ Das Spiel der deutschen Mannschaft konnte mit der Kulisse von 73 680 Zuschauern nicht ganz mithalten, am Ende geriet der WM-Auftaktsieg gegen die starken Kanadierinnen sogar noch in Gefahr. „Wir hätten heute 2:2 spielen können – oder auch 4:0“, sagte Bundestrainerin Silvia Neid. „Ich bin echt froh, dass wir nicht 4:0 gespielt haben. Denn das würde das Ganze, was heute passiert ist, verfälschen. Dieses 2:1 ist knapp, da weiß jeder, dass da noch einiges zu tun ist.“

Es ist ungewöhnlich, dass sich eine Trainerin darüber freut, dass es ihre Mannschaft nach souveräner Führung noch einmal spannend gemacht hat. Man muss sich nur vorstellen Neids männlicher Counterpart Joachim Löw – Vorsicht, Männervergleich! – hätte sich bei der WM 2010 nach dem 4:0 gegen Argentinien ein knapperes Resultat gewünscht. Bei diesem ersten Auftritt der deutschen Mannschaft bei ihrer Heim-WM aber ging es nun einmal um mehr als das bloße Ergebnis. „Das Spiel war enorm wichtig – für uns als Mannschaft, aber auch für das ganze Turnier“, sagte Doris Fitschen. Die deutsche Team-Managerin freute sich am Tag nach dem geglückten Auftakt nicht nur über die traumhafte Fernseheinschaltquote – in der Spitze verfolgten mehr als 18 Millionen Zuschauer die Partie. „Der Start war gut, weil die Öffentlichkeit sieht, dass es eine spannende WM wird“, sagte Fitschen. „Und wir haben gemerkt, dass es kein Selbstläufer wird.“

Deutschland steht nach dem ersten Spieltag an der Spitze der Gruppe A, allerdings knapper, als viele deutsche Fans erwartet hatten. „In erster Linie sind wir froh, dass wir drei Punkte geholt haben“, sagte Silvia Neid. „Aber dass wir noch nicht das gezeigt haben, was wir noch zeigen müssen, das wissen wir alle.“ Auch den Zuschauern im Stadion und an den Fernsehern wurde durch das Spiel vermittelt, dass das deutsche Team keine Übermannschaft ist, die es ohne Gegentor und ohne Gegenwehr zum Weltmeistertitel schaffen wird. Ein sportlich dominanterer Auftritt gegen Kanada hätte insofern der Stimmung im Land sogar abträglich sein können. „Ich finde es gut, dass die Leute gesehen haben, dass es kein Spaziergang wird, mal eben Weltmeister zu werden“, sagte Linda Bresonik. Am Tag nach der Partie war auch bei den Nationalspielerinnen angekommen, wie viele Menschen ihren Auftritt verfolgt hatten. „Ich war total überrascht“, sagte Bresonik: „Es waren ja schon 70 000 im Stadion – wie können da noch einmal 14 Millionen vor dem Fernseher sitzen?“

Am Montag verabschiedete sich die deutsche Mannschaft aus Berlin und reiste nach Frankfurt am Main, wo sie am Donnerstag im zweiten Gruppenspiel auf Nigeria trifft. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit trauerte derweil der Entscheidung des Deutschen Fußball-Bundes nach, nur ein Spiel in die Hauptstadt vergeben zu haben. „Man hätte sich einfach mehr trauen sollen“, sagte Wowereit dem RBB. Auch Fitschen hätte gerne noch ein paar Nächte mehr in Berlin gebucht. „Wir haben uns hier sehr wohl gefühlt“, sagte die 42-Jährige. „Die WM ist endgültig in Berlin angekommen, leider reisen wir jetzt ab.“

Kerstin Garefrekes, die das erste deutsche Tor selbst erzielt und das zweite vorbereitet hatte, bewertete den Auftakt der Weltmeisterschaft relativ nüchtern. Das entspricht dem Naturell der Mittelfeldspielerin, die auf dem Platz überschwänglich gejubelt hatte, kurz darauf bei ihrer Ehrung zur „Spielerin des Tages“ aber schon wieder sehr bodenständige Sätze von sich gab. „Wir müssen uns im Laufe des Turniers steigern“, sagte Garefrekes. „Und wir werden uns auch steigern.“ Die Frage ist dann nur, ob ein hoher Sieg der deutschen Mannschaft noch mehr Sympathien einbringen würde, oder ob es Neids Mannschaft dem Publikum zuliebe eher bei Zittersiegen belassen sollte.

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