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Zaun des Anstoßes: Absperrung gegen Obdachlose in Hamburg abgebaut

Im Hamburger Stadtteil St. Pauli sollte ein Zaun Obdachlose von ihrem bevorzugten Schlafplatz fernhalten. Nun musste der sozialdemokratische Leiter der Ordnungsbehörde erfahren, dass dies wohl nicht die klügste Idee war.

Der skurrile Zaunstreit in Hamburg hat ein vorläufiges Ende gefunden: Der vom Bezirksamt Mitte in St. Pauli errichtete 20 Meter lange und 2,80 Meter hohe 18 000-Euro-Zaun unter der Kersten-Miles-Brücke im Stadtteil St. Pauli ist Freitagnachmittag nach tagelangem Streit abgebaut worden. Bezirksamtschef Markus Schreiber (SPD) gestand selbstkritisch ein, dass der Zaun ein falsches Symbol und nicht hilfreich gewesen sei, um der Obdachlosensituation an der Stelle zu begegnen.

Zehn Tage hat der Zaun des Anstoßes alle anderen Themen in der Hansestadt in den Schatten gestellt und sogar eine Aktuelle Stunde in der Bürgerschaft zur Folge gehabt, in der sich alle Fraktionen gegen ihn aussprachen – die einen mehr, die anderen weniger. Die lokale Ordnungsbehörde reagierte mit der Stahlkonstruktion auf Beschwerden von Anwohnern und der Polizei, auf der anderen Seite gab es eine breite Solidarisierung mit den dort seit Jahren nächtigenden „Tippelbrüdern“.

Im Straßenbild von Großstädten sind Obdachlose allgegenwärtig. Immer größer wird der Anteil derjenigen, die „auf Platte“ leben, die an den Eingängen von Kaufhäusern, in Parks oder unter Brücken Isomatte und Schlafsack ausbreiten. Hamburg ist zuletzt besonders Anziehungspunkt von Osteuropäern geworden, deren Hoffnungen auf eine Arbeit meist zerplatzen und die sich dann ohne feste Bleibe durchschlagen, häufig auch „open air“ stranden. Unter den Wohnungslosen wächst zudem die Zahl Jugendlicher und junger Erwachsener.

Wohl selten wird dieser Personengruppe solch eine Aufmerksamkeit zuteil wie momentan in der Hansestadt – und eigentlich schon gar nicht bei warmen 20 bis 26 Grad Tagestemperatur. Blogs und Foren wurden im Internet vollgeschrieben, Journalisten berichteten weit über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus. Der Zaun an der Helgoländer Allee, die als Verbindung zwischen Reeperbahn und Landungsbrücken auch eine viel genutzte Touristikroute ist, sollte ein Areal absperren, auf dem zuletzt bis zu 40 Obdachlose regelmäßig Quartier bezogen hatten. Unbequemes Kopfsteinpflaster, viele mittelgroße Findlinge und ein künstlicher Bachlauf sollten es den an dieser Stelle Obhutsuchenden so unbequem wie möglich machen. Doch diese ließen sich nicht abschrecken. Durch die Vertreibung von Obdachlosen auf dem nahe liegenden Spielbudenplatz war der Zulauf nur noch größer geworden.

Nach dem vergangenen Fußballheimspiel des FC St. Pauli zog eine 1500-köpfige Demonstration protestierend vor den Zaun, wo die Polizei tapfer 20 Metallmeter mit über 900 Beamten und einem Wasserwerfer verteidigte. Bilder, Kerzen, Transparente, Schilder, Kränze und Blumen wurden im Anschluss dort von denjenigen hinterlassen, die Hamburg als eine weltoffene Stadt sehen. Doch Amtsleiter Schreiber ließ alle Zeichen des Unmuts entfernen und den Protest von der Straßenreinigung säubern. Nun hat er einen Tag vor der nächsten angemeldeten Demonstration eingelenkt.

Weil der 18 000 Euro teure Zaun längst zu einem Symbol mit Sprengkraft geworden war, hat die allein regierende SPD im Hamburger Rathaus seelsorgerischen Sachverstand bestellt. Hans-Peter Strenge, Präsident der Synode der Nordelbischen Kirche, sollte vermitteln. An einem runden Tisch sollte unter anderem das Obdachlosenprojekt Hinz & Kunzt sitzen. Dieses fand jetzt Gehör, dass vor Gesprächen der Zaun fallen müsse. Darauf bestand schließlich auch Strenge vor der Eröffnung eines Dialogs nächsten Mittwoch über das Thema Obdachlosigkeit.

Die Sozialbehörde und Bezirksämter verweisen unterdessen auf zusätzliche Wohnheimplätze, doch dort haben viele „Clochards“ Hausverbot, weil keine Hunde zugelassen werden. Mit ausländischem Pass stempelt man sie zudem als Touristen ab. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) ärgert sich, dass es bei der Schaffung von Unterbringungsplätzen immer wieder Widerstand aus der Nachbarschaft gibt. Am 1. November soll das sogenannte Winternotprogramm starten. Bisher stehen dafür nur 257 Plätze in Notunterkünften zur Verfügung – viel zu wenig, sagen Sozialverbände. Diese wollen nun den runden Tisch nutzen, hier eine Verbesserung zu erzielen.

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