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Medien: Chaostage beim „Spiegel“

Ressortleiter missbilligen Franziska Augsteins Kritik / Auch von Gruner + Jahr erhält Aust Rückendeckung

Wer hoffte, Stefan Aust könne mit den Debatten und Aktionen der letzten Tage vom Stuhl des Chefredakteurs gekippt werden, wird wohl enttäuscht. Aust dürfte darin fester sitzen denn je.

Der „Spiegel“ habe seine Funktion als Leitmedium verloren und verletze Qualitätsstandards, hatte Franziska Augstein am Donnerstag in Berlin gesagt. Er sei ein „geschwätziges Blatt“, vernachlässige die Politik und berichte zu wirtschaftsorientiert, das waren weitere Kritikpunkte. Die Rede schlug hohe Wogen. Die Reaktionen auf diesen Rundumschlag, die Telefonate, Beratungen und Versammlungen am Tag danach zeugten von Hektik.

Am Abend folgten reihenweise Erklärungen. Der Konflikt schwelt weiter. Er wird am Mittwoch Thema der Gesellschafterversammlung sein.

Am deutlichsten wurden die Ressortleiter des „Spiegel“. Sie fordern Franziska Augstein auf, „das Ansehen des Blattes nicht weiter zu beschädigen“. An die Gesellschafter appellieren sie, „sich zum geschäftsschädigenden Verhalten der Miterbin zu äußern“. Gemeint ist offenkundig die Mitarbeiter KG, insbesondere ihr Sprecher, Thomas Darnstädt, bestätigte Cordt Schnibben, der Initiator des Schreibens. Franziska Augstein wird von den Ressortleitern hart angegangen: „Ihre Hauptargumente zeigen, dass sie wenig versteht von dem, wie ein Nachrichtenmagazin im Allgemeinen und der ,Spiegel’ im Besonderen zu berichten hat.“ Als Rudolf Augstein verfügte, die Erben müssten nach seinem Tod ein Prozent ihrer Anteile abgeben, wodurch sie faktisch Mitbestimmungsrecht verloren haben, hätte er die Absicht gezeigt, „seinen Kindern keine publizistische Macht über den ,Spiegel’ zu vererben.“ Weiter schreiben die namentlich genannten Ressortleiter: „Dass Franziska Augstein diese Enttäuschung nun zu einem Rundumschlag gegen diejenigen treibt, die seit Jahrzehnten durch ihre Qualitätsarbeit den ,Spiegel’ zu dem gemacht haben, was er ist, und so allen Gesellschaftern kontinuierlich üppige Millionengewinne sichern, lässt uns an ihrer Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern dieses Hauses zweifeln.“ Eigentum verpflichte, „auch wenn man es geerbt hat“.

Kurz vor dieser Stellungnahme äußerte sich erstmals auch der mit 25,5 Prozent beteiligte Minderheitsgesellschafter Gruner + Jahr zum „Spiegel“. Am späten Nachmittag, nach einem Treffen mit Aust und Spiegel-Geschäftsführer Karl Dietrich Seikel, erklärte der Verlag: „Die Statements von Mitgesellschaftern stoßen auf unser Unverständnis. Wir halten sie für unbegründet. Diskussionen, wenn sie denn nötig sein sollten, gehören ausschließlich in den Gesellschafterkreis. Wir sind uns unserer Verantwortung als Gesellschafter bewusst und werden diese konstruktiv wahrnehmen. Stefan Aust besitzt unverändert unser Vertrauen.“

Damit kann sich der Chefredakteur erst einmal zurücklehnen. Dem Tagesspiegel sagte Aust, er erwarte von den Gesellschaftern, dass sie sich „so verhalten, wie es in der Satzung des ,Spiegel’ steht“, und er erwarte, „dass sie Schaden vom ,Spiegel’ fern halten“. Die gesamte Debatte bezeichnet er als „sehr schädlich“. Der „Spiegel“ sei „ein kontroverses Magazin“, das früher wie heute Politiker, Parteien und Unternehmen kritisch beleuchtet habe und dafür auch umgekehrt immer wieder kritisiert worden sei. „Pauschale Anwürfe, noch dazu aus dem Kreis der Gesellschafter, hat es allerdings zuvor nie gegeben. Sie entbehren jeder vernünftigen und sachlichen Grundlage. Es ist der erkennbare Versuch, von außen Einfluss auf die Redaktion zu nehmen.“ Er fügte hinzu: „Unter meiner Verantwortung wird es keine Eingriffe von außen, auch von Seiten einzelner Gesellschafter, in die redaktionelle Unabhängigkeit des ,Spiegel’ geben. Das entspricht der Satzung des ,Spiegel’, dem journalistischen Erbe des Gründers und Herausgebers Rudolf Augstein, der mich vor fast elf Jahren, gegen erhebliche Widerstände, zum Chefredakteur berufen hat.“

Über Jakob Augstein, den Sprecher der Erbengemeinschaft, heißt es, er sehe zwar ebenfalls vieles beim „Spiegel“ mit sehr kritischen Augen. Die Äußerungen seiner Schwester Franziska teile er jedoch nicht unbedingt.

Das Problem ist offenkundig: Die Gegner verfolgen weder eine gemeinsame Linie noch erscheinen sie standhaft. Insofern verwundert nicht, dass die Mitarbeiter KG gestern Abend erklärte, sie distanziere sich „von der unverständlichen Kritik Franziska Augsteins an der ,Spiegel’-Berichterstattung“. Der Mitarbeiter KG sei „daran gelegen, Konflikte im Gesellschafterkreis konstruktiv zu lösen. Sie wird alles tun, das Ansehen der Redaktion und ihres Chefredakteurs zu schützen“.

Ist also alles wieder gut? Mit Sicherheit nicht. Die Bekenntnisse zur Loyalität sind trügerisch, sie sollen eine offene Eskalation und dauerhafte „Spiegel“-Krise abwenden. Vor allem zeigt es, dass diejenigen, die Aust und seine Art, den „Spiegel“ zu machen, kritisieren, keine andere, keine konstruktive Lösung haben.

Aust hat die Aussicht auf einen hohen Posten im künftigen Fernsehbereich der Axel Springer AG. Ein Posten, der ihm ein Mehrfaches seines heutigen Gehalts bietet. Seine Zukunft ist gesichert, zumal die Gesellschafter erst kürzlich seinen Vertrag verlängerten – wenn auch halbherzig. Einen anderen Kandidaten, den alle Gesellschafter akzeptieren würden, gibt es nicht. Es gibt auch keine klaren Vorstellungen, wie Austs Allmacht beschnitten werden könnte. Viele bedauern, dass es seit Rudolf Augsteins Tod keinen Herausgeber und somit keine Instanz mehr über dem Chefredakteur gibt. Aber wer soll es machen? Die Mitarbeiter KG wehrt ab. Jakob Augstein bleibt lieber Journalist, Franziska Augstein hat gerade die Rolle der Buhfrau übernommen, einer von außen soll es schon gar nicht werden.

Der Konflikt brodelt weiter.

Jakob Augstein ist Sprecher der Erbengemeinschaft, die 24 Prozent der Verlagsanteile hält.

Thomas Darnstädt ist Sprecher der Mitarbeiter KG, mit 50,5 Prozent größter Gesellschafter nach Gruner + Jahr (25,5 Prozent)

Stefan Aust ist seit elf Jahren Chefredakteur. Der „Spiegel“ verkauft 1,1 Millionen Hefte.

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