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Die Porno-Website Redtube.

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Porno-Stream: Der Trick mit "Redtube" und "Retdube"

Die Affäre mit angeblich illegalen Abrufen der Pornoseite "Redtube" wird immer dubioser: Die Abmahn-Anwälte sollen sich einer URL-Täuschung bedient haben, um bei Nutzern IP-Adressen abzufischen. Jetzt wollen sie auch andere Pornoseiten ins Visier nehmen.

Nach den Massenabmahnungen wegen des Abrufs von Sexvideos im Internet bekommen womöglich auch Nutzer weiterer Streamingdienste demnächst Post vom Anwalt. „Redtube war eher ein Testballon. Wir haben auch in anderen Portalen bereits ermittelt, deswegen rechne ich damit, in den kommenden Monaten auch Nutzer der anderen Portale anzuschreiben“, ließ Rechtsanwalt Thomas Urmann von der Kanzlei U+C am Wochenende mitteilen. Der Jurist setze auf Streaming als neues Betätigungsfeld, da sich die Abmahnung von Tauschbörsen-Nutzern nicht mehr lohne. Das ist erstaunlich forsch formuliert, wenn man bedenkt, dass die Umstände dieser Ermittlungen immer mehr in der Kritik stehen. Auf welchem Wege kommt die Kanzlei überhaupt an die IP-Adressen der Nutzer? Inzwischen gibt es Indizien, die auf Tricksereien am Rande der Legalität und ein dubioses Firmen-Geflecht hindeuten.

Das zeigen aktuelle Recherchen der Computerzeitschrift „Chip“. So sei es sehr wahrscheinlich, dass das Unternehmen, das die Rechte an den angemahnten Pornofilmen besitzt, und die Firma, deren Software die angeblichen Urheberrechtsverletzer aufgespürt haben soll, zusammengehören. Ein weiterer Punkt betrifft eben jene Frage, wie man an die Zugriffsdaten, also die IP-Adresse zur Identifizierung der Nutzer, gelangte. In Netz-Foren finden sich diverse technisch einwandfrei nachvollziehbare Erklärungen für die Herkunft der Zugriffsdaten.

Wer retdube statt redtube eintippte, wurde abgefischt

Demnach haben die betroffenen Nutzer gar nicht die Seite redtube.com aufgerufen, sondern die ähnlich klingende und geschriebene Domain retdube.net – welche erst am 21. Juli 2013 registriert wurde. Von da aus wurden sie auf einen der urheberrechtlich geschützten Filme bei Redtube umgeleitet. Bei dieser „Zwischenstation“ auf retdube.net wiederum kann der Inhaber der Domain problemlos die IP-Adressen aller Zugriffe mitprotokollieren. Erst so ist eine Identifizierung und somit eine Abmahnung möglich. Wem die in Panama registrierte Domain retdube.net gehört, ist unklar, da bei der Registrierung unpersönliche Daten angegeben wurden. Inzwischen sind diese Weiterleitungen offline genommen worden. Der Verlauf der Zugriffszahlen auf die betroffenen Redtube-Videos lässt aber darauf schließen, dass User in einer groß angelegten Aktion gezielt und möglicherweise gegen ihren Willen auf die Redtube-Seite gelockt wurden, um anschließend abgemahnt zu werden.

Zusammengefasst: Jemand hat sich also mit der URL-Eingabe leicht vertippt (womit immer zu rechnen ist) und erhielt daraufhin gezielt eine Abmahnung. Dass sich die Streaming-Abmahnwelle am Rande der Legalität befindet, und in diesem Zusammenhang auch populäre Videostream-Portale wie Youtube sowie das Urheberrecht generell unter Verdacht geraten, ist offenkundig. Ein neues lukratives Betätigungsfeld für Anwälte? Ein Fall für den Gesetzgeber, für Heiko Maas? Muss nicht der neue Minister für Justiz und Verbraucherschutz User vor solchen undurchsichtigen Abmahnungen schützen?

Der Gesetzgeber sieht keinen Handlungsbedarf: Urheberrechtsverstöße liegen nicht vor

Nein, sagt Michael Terhaag und verweist auch auf § 44a Urheberrecht: Vorübergehende Vervielfältigungshandlungen. Darin steht sinngemäß: Zulässig sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist, eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.

Das erfasse den Fall des inkriminierten Streamings ganz gut, so Terhaag. „Insofern spricht alles dafür, dass kein Urheberrechtsverstoß vorliegt.“ Aber das festzustellen und solchen Sachen Einhalt zu gebieten, sei Sache der Gerichte und nicht zwingend des Gesetzgebers. „Realistisch finde ich, dass in einem der Fälle, bei denen Kollegen gegen die angeblichen Ansprüche klagen, ein Gericht sagt, dass keine Ansprüche bestehen. Dann bricht diese Masche, diese Abmahnwelle wie ein Kartenhaus zusammen.“

Es könnte sein, dass das erst in späteren Instanzen geschieht. Bis dahin dürften zig Abmahnschreiben versandt werden. Sollte die Sammlung von IP-Adressen tatsächlich auf beschriebene Weise zustande gekommen sein, ständen all die Abmahnungen auf extrem wackeligen Beinen. Den Adressaten ist zu raten, was schon nach der ersten Abmahnwelle von Anwälten empfohlen wurde. Es sollte ausreichen, wenn der abmahnenden Kanzlei diese Rechtsauffassung mitgeteilt und sämtliche Zahlungen verweigert werden. Das kann man entweder selbst oder über einen Anwalt machen. Und vertippen sollte man sich vielleicht auch nicht mehr bei der URL-Adressen-Eingabe.

Indes hat die Berliner Rechtsanwaltskanzlei Werdermann | von Rüden am  Montagnachmittag aus Justizkreisen erfahren, dass die Staatsanwaltschaft Köln von Amts wegen gegen Verantwortliche in der Redtube-Affäre ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Köln war offenbar nach den Medienberichten der vergangenen Woche auf den Fall aufmerksam geworden und hatte die Ermittlungen eingeleitet. Das Landgericht Köln hatte in über 60 Auskunftsbeschlüssen auf Antrag des Berliner Rechtsanwalts Daniel Sebastian die persönlichen Daten von tausenden Anschlussinhabern herausgegeben. Rechtsanwalt Johannes von Rüden zeigten sich erfreut: „Wenn die Staatsanwaltschaften nun auch ohne Anzeigen ermitteln, bedeutet dies, dass hier offenkundig der Verdacht von Straftaten im Raum steht. Damit kann der Frage nachgegangen werden, wie itGuards die IP-Adressen tausender unbescholtener Bürger ermitteln konnte.“
Daneben hat die Berliner Rechtsanwaltskanzlei, die das Portal „abmahnhelfer.de“ betreibt, Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt, sich in einem Beschwerdeverfahren wegen der Herausgabe ihrer IP-Adresse durch die Telekom zur Wehr zu setzen und sich entsprechend anwaltlich vertreten zu lassen. Fragen und Antworten sowie das entsprechende Auftragsformular finden Adressaten der U+C-Abmahnung auf der Seite der Berliner Kanzlei.

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