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Medien: Raus aus dem Herrenzimmer

„Cicero“ zieht von Potsdam nach Berlin und holt sich mit Jürgen Busche intellektuelle Verstärkung

„Cicero“ sei etwas, was kein Mensch braucht – „geistiger Luxus“, sagte Verleger Michael Ringier vor einem Jahr im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das war kurz bevor die erste Ausgabe erschien. „Cicero“ wurde damals mit Spannung erwartet. „Ein Magazin für politische Kultur“, wie die Unterzeile verspricht, gab es bislang nicht. Im Wust neuer Pocketformate, Frauen-, Fernsehzeitschriften und Ableger bereits existierender Blätter sollte „Cicero“ als intelligentes Debattenmagazin wohltuend herausragen.

Seither sind zwölf Monate vergangen. Gerade wurden vier der fünf maßgeblichen Neugründungen des vergangenen Jahres von der Lead Academy ausgezeichnet. „Cicero“ fehlte in dem Ranking. Und das, obwohl es genau dem Trend folgt, der sich nach der Ära der oberflächlichen, textarmen Bildermagazine entwickelt hat: „Cicero“ ist eindeutig „inhaltsgetrieben“, wie es die Lead Academy formuliert. Inhaltlich und gestalterisch sei das Blatt aber zu bieder, zu spießig, zu zurückgewandt, befand die Jury. Beim Ringier-Verlag in Zürich, der „Cicero“ herausgibt, nimmt man diese Kommentare nicht ernst. „Cicero“ verweigere sich eben allem modischen Design und diesem ganzen Lifestyle-Getue, sagt Frank A. Meyer, einer der politischen Köpfe und engsten Berater Ringiers.

In Potsdam, direkt hinter der Glienicker Brücke, steht die Villa, in der Verlag und Redaktion von „Cicero“ sitzen. Der Chefredakteur, Wolfram Weimer, hat es nicht weit zur Arbeit von seiner Wohnung in Potsdam. Doch „Cicero“ gehöre mitten ins Leben, und das finde in Berlin statt, sagt Ringier. Schon im Sommer könnte der Umzug nach Berlin stattfinden. Benutzt Weimer den eigenschöpferischen Begriff „berlin-mittig“, um ein Thema zu bewerten, ist das negativ gemeint. Er bevorzugt für „Cicero“ das Bild des „Salons“ – oder der „Geistes-Villa mit Herrenzimmer und Kamin“, wie die „Zeit“ einmal geschrieben hat. Ringier hingegen sagt, in einer Redaktion müsse es zugehen „wie in einem Bienenstock“, und die Bienen flögen halt nicht so gern nach Potsdam, weil das jedesmal eine kleine Reise bedeute. „Cicero“ versteht sich als „politisches Magazin aus der Hauptstadt“, ein Selbstverständnis, das nach dem Umzug gerechtfertigt wäre.

Weimer sagt, „Cicero“ sei ein voller Erfolg. Michael Ringier äußert sich zufrieden, das Ergebnis sei überraschend positiv. Viel habe sich getan in dieser Zeit: „Cicero“ sei internationaler geworden. Noch sei es nicht so, dass man bei jedem Artikel denke, etwas verpasst zu haben, wenn man ihn nicht liest. „Daran arbeiten wir.“ „Cicero“ sei ein „Langzeitprojekt“.

Nachdem Redakteure wie Peter Littger und Wolfgang Glabus die Gründungsmannschaft bereits wieder verlassen haben und auch der Berliner Fotograf Jim Rakete nur noch sporadisch für „Cicero“ arbeitet, bekommt die Redaktion in Kürze prominenten Zuwachs: Ringier freut sich, mit Jürgen Busche einen „intelligenten Kopf“ für das Blatt gewonnen zu haben. Busche, ein ebenso unbequemer wie vielseitig interessierter Publizist, den die „FAZ“ zu seinem 60. Geburtstag im vergangenen Oktober als „belesenen Gedächtnisvirtuosen“ bezeichnete, war zuletzt bis Ende 2001 Chefredakteur der „Badischen Zeitung“ in Freiburg, die er wegen des rigiden Sparkurses des Verlegers verlassen hat. Zuletzt erschien im Sommer sein Buch „Heldenprüfung“. Der in Berlin lebende Busche bestätigt die Gespräche mit „Cicero“, betont aber, er wolle dort „nicht institutionell“ in die Redaktionsarbeit eingebunden werden.

Nicht zu überhören sind bei „Cicero“ Differenzen über die Ausrichtung. Sei es jene zwischen den jungen Traditionalisten des Schlags Weimer, die von „Salon“ und „Elite“ sprechen, und der „Altherrenriege“, wie der publizistische Beirat um die 68-er Klaus Harpprecht und Heiko Gebhardt bezeichnet wird. Weitere Diskussionspunkte: zu wenige Reportagen, zu wenig Recherche, mangelhafte Pflege von Autoren, zu viele Artikel, die in anderen Medien publiziert wurden, bevor „Cicero“ sie zweitverwerte. Auch würden zu oft die üblichen verdächtigen Autoren über ihre immer gleichen Themen wenig Überraschendes schreiben.

Ringier verschweigt die Diskussionen nicht. Der intellektuelle Streit, der Austausch sei notwendig für ein Blatt wie „Cicero“. Daher gebe es inhaltlich eine sehr enge Bindung in seinen Verlag. Jeden Monat trifft er sich mit dem Beirat, um einen Tag lang nur über Inhalte zu reden.

Weimer macht das Blatt für uns in großer Unabhängigkeit, sagt Ringier. Dazu gehört das juristische Konstrukt der Weimer GmbH mit Sitz in Potsdam. Mit dem von Ringier stammenden Budget kann Weimer frei walten, Autoren, Redakteure, Reisen oder Recherche bezahlen. Im Ergebnis muss er pünktlich zum Drucktermin die neue Ausgabe als pdf-Datei abliefern. Anders als kolportiert ist jedoch nicht Weimer, sondern Ringier im Besitz der Titelrechte, betont der Schweizer Verleger.

Weimer sieht sich als unternehmerisch denkender Journalist. Derzeit bewirbt er sich für eine C-4-Professur für Publizistik an der FU Berlin und hat nebenbei das Buch „Das Netzwerk der Vordenker – 50 Jahre Baden-Badener Unternehmergespräche“ mitverfasst. Erschienen ist es im Ch.Goetz-Verlag seiner Frau. Ruft man da an, landet man in der Redaktion „Cicero“.

In einem Monat wird „Cicero“ zum ersten Mal die offizielle, geprüfte Auflage ausweisen. Rund 50 000 Exemplare verkauft das Blatt nach Angaben des Verlagsleiters Martin Paff. 11 000 Exemplare sind Abonnements. Dazu, wie viele tatsächlich am Kiosk für sieben Euro verkauft und wie viele anderweitig unter die Leute gebracht werden, will der Verlag bisher keine Angaben machen.

Die Bedeutung des Magazins fasst Meyer so zusammen: „Cicero“ müsse den „gesellschaftlichen Diskurs auf hohem intellektuellem Niveau führen“, und zwar so, dass es für jeden verständlich ist, der sich aktiv interessiert, um die Gesellschaft kümmert und sich als „Citoyen“ engagiert. Ringier sagt, das journalistische Anliegen von „Cicero“ sei, Geschichten zu veröffentlichen, die wichtig sind, die man gerne liest und die man sonst nicht bekommen würde. Dazu gehöre, die vielen „gescheiten Geschichten“, die täglich irgendwo auf der Welt erscheinen, den deutschsprachigen Lesern zugänglich zu machen. Jenseits aller Zahlen gelte: „Das Allerwichtigste für mich ist das Blatt selbst.“

Im März 2004 erschien die erste Ausgabe von „Cicero“. Verleger

Michael Ringier (oben) setzte das Blatt gegen Widerstände im eigenen Haus durch. Die Chefredaktion vertraute er Wolfram Weimer (u.) an.

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