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Medien: „Schlechter kann es nicht werden“

Auch die Tagung der Zeitschriftenverleger hat nur ein Thema: die Anzeigenkrise

Am Mittwoch meldete „Bild“: „Es gibt ein Leben nach Boris – Patrice kriegt eigene TV- Show“. Der schönen 29-Jährigen reichten 151 Tage an der Seite des Ex-Tennis-Spielers Boris Becker, in der sie Promi-Partys, Klatschspalten und Titelbilder von „Bunte“ und anderen Illustrierten zierte. Jetzt ist sie die Ex von Becker und hat als solche einen Job als Moderatorin bekommen. Vorerst nur beim Kleinstsender Tele 5, aber immerhin, der Anfang ist gemacht. Patrice Farameh ist nur ein Beispiel, wie die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ funktioniert. Hubert Burda, Präsident der bis heute in Berlin tagenden Zeitschriftenverleger, erklärte mit diesem Begriff, warum es manchen Zeitschriften auch mitten in der Krise richtig gut geht.

In wenigen Worten fasste Burda die Kulturgeschichte der Inszenierung zusammen: „Früher konnten sich Könige inszenieren, im 19. Jahrhundert haben sich Künstler inszeniert, in den 20er, 30er und 40er Jahren Verbrecher, in den 50er und 60er Jahren folgten die Filmstars. Jetzt sind es Sportler. Unglaublich, wie viel die letzte ,Bunte’ mit Kahn auf dem Titel verkauft hat.“ Als er, Burda, Chefredakteur der „Bunte“ gewesen sei, hätte er nie einen Oliver Kahn auf den Titel genommen. Aber diese Art von Cover-Boys funktionieren in der People-Presse. Ein anderes Beispiel sei Michael Schumacher, der „mit null Kapital“ Hunderte von Millionen mache, wundert sich der Münchner Verleger. Zeitschriften wie „Instyle“ und „Bunte“ profitierten von diesen „Parametern der gesellschaftlichen Entwicklung“, die Burda die „Ökonomie der Aufmerksamkeit, der Inszenierung und der Ästhetik“ nennt. Den Beweis dafür bekam Burda gerade wieder bei Thomas Gottschalks „Wetten, dass…?“ geliefert. Dort war er kürzlich selbst zu Gast und erlebte den Hype um Dieter Bohlens Erstlingswerk hautnah mit.

Die Gesellschaft neige zur Extroversion, sagt Burda. Wenn RTL eine Serie starte, um „Deutschlands Superstar“ zu suchen, nähmen die Leute an diesem Casting teil, weil sie wie Schumi & Co. hoffen, bei Erfolg mit null Kapital fürs Leben ausgesorgt zu haben. Nur eine Voraussetzung müssten sie mitbringen: die Kunst der Inszenierung. Wie erfolgreich das im Gegenzug auch für das Mediengeschäft ist, zeigen die Quoten: 22,9 Prozent verfolgten die erste Folge der RTL-Casting-Serie mit Jury-Mitglied Dieter Bohlen.

Was den Sendern die Quote, ist den Zeitschriften die Auflage. Titel wie „Instyle“, aber auch monatliche Frauenzeitschriften wie „Joy“ haben binnen Jahresfrist die Auflagen verdoppelt, „Allegra“ und „Marie Claire“ wuchsen zweistellig, während „Bunte“ den Anzeigenumsatz gegen den Markttrend um 15 Prozent steigern konnte.

Entspannte, zufriedene Gesichter sieht man bei der Verlegertagung dennoch nicht. Auch an den Zeitschriftenverlagen ist die Krise nicht vorübergezogen. Während der Gesamtmarkt in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 5,6 Prozent schrumpfte, lagen die Publikumszeitschriften sogar 7,4 Prozent unter dem Vorjahresergebnis. Vor allem die Wirtschaftsmagazine (minus 31,25 Prozent) und die Computerzeitschriften (minus 17,52 Prozent). Die Helden des Boomjahres 2000, leiden unter der Anzeigenflaute, die vor allem aus den drastisch reduzierten Werbeetats der Branchen Telekommunikation, Finanzen und Energieversorgung resultiert. Insgesamt lagen die Brutto-Werbeinvestitionen der Publikumszeitschriften seit Januar mit rund 11,6 Milliarden Euro um 5,6 Prozent oder 692 Millionen Euro unter den Zahlen des Vorjahres. Von Juli bis September hat sich dieser Trend nur wenig verlangsamt. Die Verluste betrugen im dritten Quartal immer noch 4,6 Prozent oder 160 Millionen Euro.

Karl-Dietrich Seikel, Geschäftsführer des Spiegel-Verlages und Vorstandsvorsitzender des Fachverbands Publikumszeitschriften, räumte am Mittwoch ein: „Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich im vergangenen Jahr für 2002 prognostizierte, es werde nicht schlechter werden“. Es wurde schlechter. Auf Dauer könnten auf dieser Basis die Verlage nicht arbeiten, sagte Seikel. Dennoch verbreitete er Zuversicht und prognostizierte, dass es nun 2003 zumindest nicht schlechter würde. Erste positive Ansätze seien in den USA festzustellen. Dort verzeichnet die Branche zweistellige Zuwachsraten. Mit einer gewissen Zeitverzögerung würde diese Trendumkehr auch nach Deutschland kommen. „Im Laufe des Jahres 2003 werden sich die Zahlen umkehren“, prophezeite Seikel. Hoffnungen auf eine kurzfristige Trendumkehr dämpfte er jedoch. Umso höher, sagte Seikel, sei es einzustufen, wenn Verlage in diesen Zeiten neue Titel lancieren und somit die Innovationskraft von Print unter Beweis stellen. Zu nennen ist das Beispiel der Frauenzeitschrift „Woman“, die seit kurzem bei Gruner + Jahr erscheint.

Das täuscht nicht darüber hinweg, dass überall gespart wird, Mitarbeiter entlassen, Titel eingestellt werden. Erstmals verzeichnet die Branche mehr Titeleinstellungen als Neuerscheinungen. Und es geht weiter: „Zeitschriften, die keiner braucht, werden verschwinden“, das gelte vor allem für solche, die keine starke Markenidentität haben, sagte Burda. Es führe kein Weg daran vorbei, dass die Verlage Kosten senken. Burda sieht auch Sparpotenzial: „Nicht jeder Verlag braucht Druckereien oder einen eigenen Vertrieb.“ Und dann sagte Burda einen Satz, mit dem jeder Journalist seinen Verleger am liebsten täglich morgens wecken würde: „In den Redaktionen darf nicht gespart werden. Kreativität ist immer latente Verschwendung.“

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