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Game over oder nicht? Wenn ein Spiel wie Pac-Man ins Museum wandert, muss das nicht heißen, dass es keine Aktualität mehr besitzt.

© mauritius images/alamy

Videogames im MoMA: Kunstschatz Computerspiel

Das New Yorker Museum of Modern Art sammelt nun auch Videospiele – reduziert sie aber auf ihre Oberfläche. Wichtige Aspekte der Gameskultur, Debatten sowie unabhängige Spielemacher und Computerspielkunst kommen dabei zu kurz.

Die Presseerklärung liest sich wie eine Verteidigungsrede. „Sind Videospiele Kunst?“ Natürlich, sagt das Museum of Modern Art (MoMA), das nach dem Smithsonian American Art Museum in Washington und der Londoner Barbican Art Gallery als dritte große angelsächsische Museumsinstitution nun, wie in der vergangenen Woche angekündigt, eine eigene Videospielsammlung aufzubauen beginnt. Videospiele seien zwar Kunst, schreibt da Paola Antonelli, die leitende Kuratorin für Design und Architektur am MoMA, aber sie seien auch Design, und so habe man die Spiele eher als „herausragende Beispiele für Interaktionsdesign“ ausgesucht. Das klingt, als habe man die Empörung braver Kunsthistoriker vorhergesehen, und so fügt man auch noch schnell ein paar Kriterien dafür an, was ein Spiel museumswürdig macht: „nicht nur die visuelle Qualität und ästhetische Erfahrung, die ein Spiel vermittelt, sondern auch die zahlreichen anderen Aspekte, die zum Interaktionsdesign gehören – von der Eleganz des Code bis zur Gestaltung des Spielerverhaltens.“

Pac-Man und Tetris, die bahnbrechenden Frühwerke des Spieldesigns mit ihren archaischen, von der begrenzten Rechenleistung der Hardware geprägten Pixelsymbolen sollen also nicht als die Picassos und Cézannes des späten 20. Jahrhunderts gelten. Gemeinsam mit den zwölf weiteren bereits in die Sammlung aufgenommenen Spielen und allen, die noch kommen werden, werden sie gesammelt wie das Wedgwood-Geschirr, die Thonet-Stühle, Tiffany-Vasen und all die anderen Designobjekte, die das MoMA schon besitzt. Als Meilensteine der Formgebung nämlich – und vielleicht auch als Konditionierungswerkzeuge unseres Umgangs mit modernen Medien. Wenn Alexey Pajitnovs „Tetris“ als fast „meditative Beschäftigung“ des Spielers geschildert und als „das universalste“ aller Videospiele gepriesen wird, das „Alter, Geschlecht und Geografie“ überschreite, dann wird deutlich, dass hier eine tatsächliche technische Revolution ins Museum heimgeholt werden soll. Nicht mehr und nicht weniger.

Dass die in direkter Linie zu den Apps auf den mobilen Endgeräten von heute führen, ist dabei unbestritten. Von den 130 000 Spielen in Apples App-Store, die sich monatlich um 3 000 weitere Angebote vermehren, ist im MoMA freilich wenig zu sehen. Es will einen Kanon des Guten, Schönen und halbwegs Zeitlosen schaffen. Und doch: Im Museum wird damit auch das gute Gewissen einer Branche zelebriert, in der ein Kampfspiel am ersten Verkaufstag eine halbe Milliarde Dollar Umsatz erzielen kann. Das MoMA schreibt mit seiner Spielsammlung eben nicht nur Design-, sondern auch Wirtschaftsgeschichte. Für die Spieleindustrie, die durch neue Online-Vertriebswege im Umbruch ist, ihre Blockbuster zuletzt nicht mehr so absetzen konnte wie noch vor wenigen Jahren, kommt diese Nobilitierung gerade im rechten Moment.

Eine sehr bedächtige Auswahl

Von dem Unterhaltungsmarkt im Hintergrund ist indes keine Rede im Museumsblog. Es geht ja – anders als etwa im Berliner Computerspielemuseum, das schon 1997 die weltweit erste ständige Ausstellung zum Thema eröffnete – nur um Design. Gewalt- und Suchtdebatten bleiben da ausgespart, der Fokus auf die Games unabhängiger Entwickler und deren Modifikationen industrieller Spiele sowie viele andere Bereiche, die eher die Spielekultur als ihre Oberfläche betreffen, fehlt. Sehr bedächtig lässt sich so die Auswahl der gerade entstehenden Sammlung nennen, in der die Städtebausimulation SimCity von 1994 (eine Schenkung des Herstellers) oder das noch heute erfolgreich gehandelte EVE Online, ein Multiplayer-Online-Spiel von 2003, prominente Rollen einnehmen. Seltsam scheint, dass auch das künstlerische Alter Ego der Industrie-Spiele, die Computerspielkunst ignoriert wird, als habe es Pionierausstellungen wie das Dortmunder „Games“-Projekt von 2003 nie gegeben. Dort waren immerhin auch Modifikationen erfolgreicher Kommerz-Spiele zu sehen – womit man einer Underground-Szene die Ehre erwies, die den Industrieprodukten durch Eingriffe in den Code subkulturell ein Schnippchen schlagen wollte. Und wie schon 1997 bei der zehnten Documenta wurde Künstlern wie Joan Hemskeerk und Dirk Paesman damals breiter Raum gegeben, die unsere tägliche Onlinewelt dekonstruieren wollten: mit aufsässigen Interfaces, implodierenden Webseiten oder irrlaufenden Curserzeilen. Doch der ungleiche Kampf der medienphilosophisch geprägten Netzkünstler gegen die Manpower der Spielkonzerne scheint – zumindest im MoMA – erst einmal vergessen.

Dort paart man die schöne neue Welt der Games lieber mit museologischer Ernsthaftigkeit. Man sucht die ideale Hardware, man zeigt Spiele, die für eine große Spielergemeinschaft ausgelegt sind und sich so im Museum nicht erleben lassen, in Simulationen und Dokumentationen, man erfindet die historisch-kritische Aufführungspraxis für leicht verderbliche Computerprodukte, die nun denkmalpflegerisch konserviert werden sollen, wie sie einmal gewesen sind. Ein mediengeschichtlich wichtiges und doch leicht absurdes Unterfangen. Denn was wird so entstehen? Ein Museumsdorf der digitalen Kultur in Gestalt ihrer schönsten Produkte? Eine reinliche Sammlung mit von Designern und Spielkundigen entwickelten „Guided Tours“ durch die verschworene Welt der kollaborativen Online-Spiele, in denen sich einmal hunderttausende Spieler verloren haben? War „Gaming“ nicht auch eine Gegenkultur, die nur noch aufscheint, wenn Kritiker wie Jonathan Jones im „Guardian“ reflexhaft verkünden, „Videospiele sind keine Kunst“, während doch die interessante Frage wäre, wo der schmale Grat verläuft, der aus einem Spiel Kunst machen könnte. Eine Bildkritik der virtuellen Spielarchitekturen wäre zweckmäßiger als einfach nur „Igitt“ zu rufen oder – auf der anderen Seite – die Spielestandards vergangener Tage zu zeigen. Man könnte indes auch an die Künstler erinnern, die bis heute mit dem Mut des Don Quixote handfest praktisch ihre eigenen Gegenspiele entwerfen.

Doch kein Grund zur Aufregung. Vielleicht holt das MoMA all diese Randbereiche, Untergrundwelten und autonomen Zonen bald in sein Designreich. Gut, dass sie 2012 in New York überhaupt bemerken, dass vor mehr als 20 Jahren eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Bedauerlich, dass es keine Abteilung Digitales Leben gibt, in der Besucher erleben könnten, wie zwischen Gestaltung, Kunst, Philosophie und purem Kommerz die Grenzen heillos verfließen. Die Rückeroberung des Digitalen durch das Museum auf großer Bühne hat in New York noch nicht stattgefunden. Das Videospiel entdeckt zu haben, kann aber ein Anfang sein.

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