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Zu PAPIER gebracht: Master of Desaster

Man hat mich wieder einmal eingeladen. Seit einigen Jahren arbeite ich äußerst erfolgreich als Imperfektibilitätsdarsteller und Desasterspezialist.

Man hat mich wieder einmal eingeladen. Seit einigen Jahren arbeite ich äußerst erfolgreich als Imperfektibilitätsdarsteller und Desasterspezialist. Die Kunst des Misslingens wird immer häufiger nachgefragt. Viele Menschen leiden unter ihrer maßlosen Perfektion, leiden an dem steten Gelingen ihres Tuns, leiden an dem reibungslosen Dialog zwischen sich und den Weltmaschinen.

Erst kürzlich dozierte ich vor dem Chaos Computer Club. Die Jungs und Mädels waren derart down, weil ihnen alles, aber auch alles gelang. Es bestand Handlungsbedarf. Kreativität braucht das Scheitern, die Sackgasse. Aber die Computergurus leiden an ihrer extremen Success-Story. Ich gab mein Bestes. Packte meinen Koffer mit allen Unglückszeichen und düsteren Prophetien. Ich servierte Trugschlüsse und gescheitere Hoffnungen. Meine Power-Point-Präsentation schmierte ab, mein Laptop furzte, ich war kaum zu verstehen. Man dankte es mir mit einem tränennassen Honorar, niemand applaudierte. Wenn sich keine Hand rührt, bin ich am Ziel.

Genau deshalb hat mich jetzt Mark Zuckerberg eingeladen. Facebook ist sein nie aufhörender Orgasmus. Seine Konten sind dauererigiert. Ich konnte ihm helfen. Kauf die kleinen Konkurrenten, riet ich ihm, friss sie auf, entferne dich vom freundlichen Image des sozialen Netzwerkes und gib dir stattdessen den Anstrich eines hungrigen Raubtiers. Sei voller Angst und Wahn und Abwehr! Du wirst grandios scheitern! Niemand hat einen Plan, aber der Plan hat sie alle. Die Vokabularien des Erfolgs fressen die alternativen Sprachen, die Gesten der Trauer, der Melancholie, des Verzichts, der Bescheidenheit. Jeder ist sein in Cannes prämierter Werbespot.

Ich lehre das Gegenteil. Ich hab den Stecker gezogen. Ich schreibe Postkarten mit schwer entzifferbarer Handschrift. Ich telefoniere mit dünner Stimme. Die Mehrzahl meiner digitalen Transaktionen schlagen fehl. Meine virtuelle Identität ist die eines verlorenen Verlierers. Worauf kommt es im Leben an? Das zu tun, was man will, oder das zu lösen, was einem über den Weg läuft? Sich selbst zu verwirklichen oder der Wirklichkeit zu sich selbst zu verhelfen? Der Weg zwischen A und B darf keine asphaltierte Autobahn sein!

Derzeit arbeite ich an zwei Projekten: einer Verliermaschine und einem kollektiven Lexikon des Unfugs. Wo alle Alles finden und das Gestern plündern wie ein Buffet, wo die Vergangenheit jeden Tag perfektioniert wird, kann es keine misslingende Gegenwart geben. Man hat mich wieder ausgeladen. Morgen sollte ich vor der Kanzlerin referieren. Sie will, auf der Suche nach sich selbst, ihr Internet-Image destabilisieren. Aber früher oder später werde ich Angelas Trojaner sein. Bald komm’ ich auch zu Dir!

Der Autor ist Schriftsteller und Journalist und lebt in Berlin.

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