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Meinung: 68er-Debatte: Der Mythos schwindet, die Liberalität nimmt zu: Versuch einer Bilanz

Wenn nicht noch Unerhörtes und Ungesehenes über Joschka Fischer ans Licht kommt, dann geht die Debatte über 68 und die Folgen bald, vielleicht zu bald vorüber. Zwei Triebkräfte heizten die Diskussion an: Zum einen die Frage nach der Vergangenheit von Politikern und Publizisten.

Wenn nicht noch Unerhörtes und Ungesehenes über Joschka Fischer ans Licht kommt, dann geht die Debatte über 68 und die Folgen bald, vielleicht zu bald vorüber. Zwei Triebkräfte heizten die Diskussion an: Zum einen die Frage nach der Vergangenheit von Politikern und Publizisten. Zum anderen die Machtfrage: Ist es möglich, mit Bildern und Fronten von gestern eine amtierende Regierung zu stürzen? Diese Kombination von Macht und Moral hat eine spannende Debatte genährt. Erst mit dem Fahndungsplakat der CDU ist das machtpolitische Motiv überdeutlich, abstoßend deutlich geworden. Dadurch ging die Grundspannung verloren. Und allein über Moral lässt sich in der Politik nun mal nicht lange reden. Das wars dann wohl. Aber was war es? Zeit für eine erste Bilanz.

Drei Jahrzehnte lang war die Geschichte von 68 eine Geschichte von Helden und Legenden. Dreißig Jahre lang kreisten die 68er - zu denen je länger, je mehr Menschen zu gehören schienen - um sich selbst, einander bekämpfend und einander in diesem Kampf bestärkend. Erst seit Veröffentlichung der Fischer-Fotos steht eine bis dahin kaum gestellte Frage im Raum. Nicht: Was war damals? Sondern: Was hast Du / was haben Sie in jenen Jahren eigentlich genau gemacht? Dabei geht es dann nicht mehr nur um Geschichten, es geht um persönliche Verantwortung, um Schuld, also um eine Dimension, ohne die jede Gegenwartsgeschichte unvollständig bleibt.

Nun wissen wir mehr darüber, was der deutsche Außenminister auf der Straße getan hat. Es wurde bekannt, was der KBW-Führer und heutige Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, Joscha Schmierer, früher mit seinen untergebenen Genossen anstellte. Es wurde ein Zitat von 1977 wieder gefunden, das man als Heldenkult und Todeskitsch bezeichnen muss und das die Toten von Stammheim bejubelt. Es stammt vom schärfsten Fischer-Kritiker und heutigen "FAZ"-Kommentator Thomas Schmid.

All diese Entdeckungen des Konkreten führen aber gerade nicht dazu, dass eine ganze Generation diskreditiert würde. Joschka Fischer wird ein guter Außenminister bleiben. Joscha Schmierer wird ihn dabei beraten. Und Thomas Schmid wird ihn kritisieren. Nein, diese Debatte endet wohl nicht mit einem Sieg der CDU oder des Springer-Verlages. Sie endet aber auch nicht mit einem Triumph von Rot-Grün, wie einige frischgereute 68er nach der Plakat-Pleite der CDU frohlocken.

Etwas ganz anderes ist geschehen: 68 und die 68er sind auf Normalmaß geschrumpft. Von nahem besehen ist die Revolte des Joschka Fischer dann doch eine Faust im Gesicht eines Polizisten. Und von heute aus lesen sich bestimmte Leitartikel dann doch wie Selbstaustreibungen des Autoren. In Zukunft wird man einem hohen Ton aus 68er Munde kein lautes Nein mehr entgegenwerfen. Man wird leise sagen: Halblang, bitte. Man wird bei den Begründungen für einen nächsten Kosovo-Krieg oder den nächsten Österreich-Boykott höflich anfragen: Haben Sie es nicht ein bisschen kleiner, Herr Außenminister? So erhitzt die Debatte auch war und ist - ihr Ergebnis wird Ernüchterung sein.

Und mehr Liberalität. Denn zum ersten Mal hat die westdeutsche Linke eine Vergangenheitsdebatte geführt, die sich nicht gegen andere richtete - gegen die Nazi-Eltern, gegen die Stasi, gegen die je anderen 68er - sondern gegen jeden selbst. Und, was vielleicht noch mehr wiegt, weil es im Geheimen geschah: Wir Kritiker von allem und jedem merken plötzlich, dass man zur Verteidigung Fischers Argumente vorbrachte, die wir zur Verteidigung Kohls niemals akzeptiert hätten. Oder die man zur Verteidigung von DDR-Biografien keinesfalls hätte durchgehen lassen. Politisch-moralischer Rigorismus dürfte es künftig schwerer haben.

Nicht zuletzt weiß auch die CDU heute mehr, über Fischer - und über sich. Einige in der Partei wollten partout herausfinden, was geschieht, wenn man die Öffentlichkeit in eine extreme Polarisierung treibt. Nun weiß die CDU es: Sie ist dann in der Minderheit.

Man kann über die Motive von Bettina Röhl, der Meinhof-Tochter und Fischer-Jägerin, denken, was man will, aber: Der Stoff, den sie fand, haben uns aufgeklärt. Über uns.

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