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Passanten laufen an dem Gedenkstein vorbei, der an die zerstörte Synagoge in der Berliner Fasanenstraße erinnert. Sie wurde in der Pogromnacht am 9. November 1938 in Brand gesteckt.

© dpa

9. November: Antisemitismus bekämpfen: Das Gebot der Gegenwart

Antisemitismus ist eine menschenverachtende Grenzüberschreitung. Wer in Deutschland lebt, muss diesen gesellschaftlichen Grundkonsens akzeptieren. Tut er es nicht, dürfen wir, müssen wir ihn einfordern. Auch von den hier lebenden Muslimen, unter denen Ressentiments gegenüber Juden verbreitet sind.

Manchmal darf es einen beruhigen, wenn ein freudiges Ereignis, eines sogar von welthistorischer Bedeutung, kaum noch ein Nachdenken wert ist. Der Mauerfall am 9. November 1989 gehört wohl inzwischen in diese Kategorie. Deutschland durfte damals über seine wiedererlangte Einheit jubeln und tat dies zu Recht ausgiebig. Heute, 23 Jahre später, ist das Ende der DDR und der Beginn der neuen Bundesrepublik eine Selbstverständlichkeit. Warum auch nicht?

Das Deutschland der Gegenwart ist ein moderner Staat. Einer, der seinen Platz in Europa und der Welt gefunden hat; einer, der respektiert und als krisenresistent bewundert wird. Das Einwanderungsland, das im Fremden keine Bedrohung mehr sieht. Und in dem ein Bundespräsident anlässlich der Einheitsfeiern sagen konnte: Der Islam gehört inzwischen zu Deutschland.

Ein großer Fortschritt, zumal bei dieser Vergangenheit. Denn auch das ist der 9. November: Der Tag, an dem 1938 Synagogen brannten, „fremdrassige“ Menschen verschleppt und erschlagen wurden. Das Fanal für einen bis dahin als unvorstellbar geltenden antisemitischen Wahn, der bis zum mörderischen Ende ausgelebt wurde. Der Holocaust – aus ihm leitet sich eine bleibende Verantwortung ab, das ist Staatsräson.

Nun wird man jedoch nicht behaupten können, die Bundesrepublik sei sich dieser Verantwortung stets bewusst und handle dementsprechend. So konnte ein rechtsextremes Terrortrio jahrelang unbemerkt und unbehelligt eine mörderische Spur durch Deutschland ziehen. Und es war eine zutiefst deutsche Debatte, in der die religiös motivierte Beschneidung nur als barbarisches, Kinder verstümmelndes Ritual diffamiert wurde. Eine Diskussion, die teilweise mit kaum verhülltem antisemitischem, antiislamischem, antireligiösem Furor einherging und die hier lebenden Juden verständlicherweise daran zweifeln ließ, ob sie sich noch dazugehörig fühlen können.

Verbietet es sich deshalb, als Deutscher anderen deutlich zu machen, dass Judenfeindschaft und Judenhass verdammenswert sind? Im Gegenteil. Es ist geradezu unsere Pflicht, die sich folgerichtig aus der Nazi-Vergangenheit ableitet. Und aus der Gegenwart eines selbstbewussten Staats. Also gilt für jeden: Antisemitismus ist eine Grenzüberschreitung. Wer hier lebt, muss diesen gesellschaftlichen Grundkonsens akzeptieren. Tut er es nicht, dürfen wir, müssen wir ihn einfordern.

Deshalb darf man auch von den hier lebenden Muslimen erwarten, dass sie mehr als bisher den aggressiven Antisemitismus in den eigenen Reihen bekämpfen. Denn Ressentiments gegenüber Juden sind unter Muslimen weit verbreitet. Doch dieser Missstand wird zu häufig – und auch von offizieller Seite – vernachlässigt, verdrängt, bagatellisiert statt gerade jungen Muslimen klarzumachen, dass keine noch so gut gemeinte Solidarität mit den Palästinensern Anlass zu antisemitischen Verhalten geben darf.

Stattdessen ist oft von bedauernswertem Frust sozial Ausgegrenzter, von nachvollziehbarer Wut auf weit entfernte Politik, von kulturellen Eigenheiten die Rede. So, als müsse man auf derartige Befindlichkeiten Rücksicht nehmen. Aber diese Abwehrhaltung ist unangemessen und unangebracht, auch wenn sie vergangenheitspolitisch korrekt klingt, weil multikulturell geschult.

Der 9. November ist ein passender Tag, sich auch diesen neuen Herausforderungen zu stellen.

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