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Meinung: „Aaaaaaaaa-aaaaahhh“

Wenn kein Wunder geschieht, geschieht an diesem Sonnabend ein Wunder. Amerikas Demokratische Partei, nach den Tories in Großbritannien die zweitälteste Partei der Welt, wählt einen neuen Vorsitzenden, den fast alle im Land für eine Katastrophe halten.

Wenn kein Wunder geschieht, geschieht an diesem Sonnabend ein Wunder. Amerikas Demokratische Partei, nach den Tories in Großbritannien die zweitälteste Partei der Welt, wählt einen neuen Vorsitzenden, den fast alle im Land für eine Katastrophe halten. Hohn und Spott ergießen sich bereits kübelweise über ihn. Die „New York Daily News“ nennt ihn den „Totengräber“ der Partei. Die „Los Angeles Times“ geißelt seine Ernennung als „Selbstmord“. Die „New York Times“ witzelt, dass dank seiner nur die linke Hochburg Berkeley fest in demokratischer Hand bleiben wird.

Wieder einmal erhitzt Howard Dean die Gemüter. Von brennendem politischen Ehrgeiz beseelt, will es der 56-jährige Arzt, der als Präsidentschaftskandidat grandios scheiterte, noch einmal wissen. Terry McAuliffe, der bisherige Parteichef, war nach dem Debakel vom 2. November zurückgetreten. Nun steht Dean als dessen Nachfolger quasi fest. Hartnäckig hatte der Ex-Gouverneur aus Vermont unter den 447 Mitgliedern der Parteiversammlung um eine Mehrheit gebuhlt. Seine Gegenkandidaten warfen das Handtuch, einer nach dem anderen. Obwohl ihn nur 27 Prozent der Wähler der Demokraten mögen und ihn 38 Prozent aller Amerikaner schlicht für verrückt halten, soll dieser Temperamentsbolzen die Partei nun endlich das Siegen lehren.

Leidenschaftlich, unkontrolliert, impulsiv: So hat Amerika Dean im Gedächtnis. Sein lang anhaltender Schrei bei den Vorwahlen in Iowa ist zum Symbol für wütenden Übermut geworden. Exemplarisch spiegelt sich in ihm die Zerrissenheit der Partei zwischen elitärem Intellektualismus und proletarischer Gleichheitssehnsucht. Er selbst stammt aus wohlhabendem Haus, Vater Bankier, Studium in Yale, präsentiert sich aber als Mann von ganz unten, der gegen das Establishment antritt. Das verschafft ihm Fans vor allem im privilegierten studentischen Milieu. Zwei Verdienste freilich muss man Dean anrechnen. Er hat, erstens, das Internet als zentrale Wahlkampfhilfe entdeckt. Und er hat, zweitens, die Gegnerschaft zum Irakkrieg gesellschaftsfähig gemacht.

Ist er deshalb das beste Sprachrohr der Opposition? In sozialen Fragen steht Dean dezidiert links, er ist säkular und auf dem Gebiet der äußeren Sicherheit angreifbar. Diese Kombination war, in moderaterer Form, bereits John Kerry zum Verhängnis geworden. Amerikas Mehrheit tickt anders. Überdies beruht Deans Charme darauf, seine Ansichten floskelfrei vorzutragen. Als Parteichef aber muss er brav die Propagandaformeln aufsagen. Doch all solche Einwände wiegen womöglich zu leicht. Dean schillert. Er kann das Blut in Wallung bringen. Mit ihm – und allein das zählt offenbar – sind die Demokraten zumindest wieder eins: interessant.

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