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Meinung: Abriss der Seele

Von Roger Boyes, The Times

Irgendwo zwischen Schlecker und dem Theater Mirakulum, am schlechten Ende der Brunnenstraße, gibt es einen dunklen Eingang, der in einen Innenhof führt. Wenn man hineingeht, wird man plötzlich überrascht: eine versteckte Synagoge, aus bröckelndem Backstein gebaut, mit hohen runden Fenstern, umgeben von einer magischen Helligkeit. Vor einigen Tagen verbrachte ich dort einen Abend mit zwei Dutzend orthodoxen Rabbinern und einer Gruppe von jüdischen Gelehrten aus ganz Europa. Ich nehme an, ich war der einzige Nichtjude im Gebäude und hatte einen geborgten Hut von Gap tief in mein Gesicht gezogen mit der etwas absurden Absicht, mich anzupassen.

Die alte, privat geführte Beth Zion-Synagoge war 66 Jahre lang nicht zum Beten benutzt worden; das Innere ist nur noch eine Hülle, aber ohne Zweifel wieder ein Ort des Gottesdienstes. Im hinteren Teil saßen ältere Frauen in ihren besten Kleidern auf einer Bank, während ein junger Mann mit einer Kippa auf dem Kopf sie regelmäßig mit Clementinen versorgte. Es war ein bisschen so, als hielte man sich im hinteren Teil eines großen, überfüllten Klassenzimmers auf. Vorne redeten Lehrer über die Notwendigkeit, die jüdische Gelehrsamkeit in Mitteleuropa wiederzubeleben; hinten herrschte ein konstantes Klatschgemurmel während jüngere Rabbiner raus- und reingingen, um SMS zu verschicken. Die Synagoge war 1910 von einer Vereinigung orthodoxer Juden aus Polen gegründet worden. Nun wird sie von einem Berliner Philantropen, Doktor Roman Skoblo, wieder aufgebaut. Er und seine Frau verloren Dutzende Verwandte im Holocaust und ihr Ehrgeiz besteht darin, die Brunnenstraße 33 zu einer Jeschiwa zu machen, einer Talmudschule für orthodoxe Juden. Und so wird aus einem Gebäude, das von den Nazis demoliert wurde (allerdings nicht niedergebrannt, weil die nichtjüdischen Nachbarn sich beschwerten, dass die Flammen auch ihre Häuser zerstören würden), und das vom VEB Berlin-Kosmetik als Lagerraum benutzt wurde, wieder ein jüdisches Lehrzentrum, das mithelfen wird, das Judentum in Osteuropa aufzubauen.

Ein wenig Charme ist also in die Brunnenstraße eingezogen, die weiß Gott ein wenig davon gebrauchen kann: ein wenig Charme und Kontinuität. Die Lehre daraus betrifft meiner Ansicht nach nicht nur das Durchhaltevermögen des jüdischen Glaubens, seine Fähigkeit, Katastrophen zu überleben. Auch Berlin braucht Kontinuität – weitaus mehr als konstante, karnevalhafte Neuerfindungen, etwa das Riesenrad oder anderen Quatsch. Ich war geschockt, als ich diese Woche in der Joachimstalerstraße gesehen habe, dass das C&A-Gebäude – ich erinnere mich vage an seinen Bau, als ich Student in den 70ern war – abgerissen wurde und ersetzt wird durch ein weiteres Hotel, direkt gegenüber dem hässlichen Swiss-Hotel, einer Art Kriegsschiff, das auf dem Ku’damm gestrandet ist. Häuser sind inzwischen wie Autos, die entsorgt werden, sobald sie ein wenig müde aussehen. Das sind natürlich gute Nachrichten für unterbeschäftigte Architekten, aber Berlin muss lernen, mit seinen Gebäuden und seiner Geschichte zu leben. Denn sonst verliert die Stadt ihre Seele.

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