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Meinung: Absender ungeklärt

Warum ein Entsendegesetz für die Bundeswehr nötig ist – und doch keine Lösung

Von Robert Birnbaum

Gerhard Schröder kann heilfroh sein, dass er inzwischen Bundeskanzler ist und nicht mehr Göttinger Jurastudent. Sein Staatsrechtslehrer, der nachmalige Verfassungsrichter Hans Hugo Klein, hätte ihm die Leviten gelesen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Awacs-Urteil der Bundesregierung mitnichten die Absolution erteilt. Es hat mit Rücksicht auf außenpolitischen Schaden eine Eilentscheidung gegen die Regierung abgelehnt. Die Richter finden gleichwohl die Fragen sehr berechtigt, die die FDP bewogen haben, das Parlamentsrecht auf Zustimmung oder Ablehnung des Nato-Einsatzes über der Türkei einzuklagen. Wo liegt die Grenze zwischen Kriegspartei und unbeteiligtem Nachbarn? Wie scharf ist die Trennlinie, die die Bundesregierung aus Gründen ihrer Glaubwürdigkeit so dick malt, in der Wirklichkeit am Radarschirm?

Das klingt alles nach Futter für Theoretiker, Staatsexamensfragen eben. Tatsächlich sind es Staatsfragen. Für die Soldaten da oben am Radarschirm über der Türkei sind es im Grenzfall Gewissensfragen. Der Grenzfall mag nicht sehr wahrscheinlich sein. Aber das Verfassungsgericht hat ihn in seiner jetzigen Entscheidung beschrieben: ein „schleichender“ Eintritt der Türkei in den Krieg würde den Nato-Routineeinsatz verändern, ja das Gericht mag nicht einmal ausschließen, dass schon die Luftraumüberwachung in einem Kriegs-Nachbarstaat vom Bundestag genehmigt werden müsste.

Das ist keine juristische Haarspalterei. Solche Fragen zu stellen ist auch in Kriegszeiten alles andere als staatspolitisch unverantwortlich, wie es der Kanzler der Opposition meint vorhalten zu können. Dass die FDP bei ihrer Verfassungsklage nicht nur lautere Motive hatte – geschenkt. Aber das macht das Anliegen nicht falsch. Soldaten, die in rechtlichen Grauzonen handeln müssen, handeln unsicher. Wer den Staatsbürger in Uniform zum Leitbild erhebt, schuldet ihm rechtsstaatlich äußerste Klarheit und maximale formale Rückendeckung. Dass die Bundesregierung das nicht will, liegt daran, dass sie die politische Grauzone scheut. Was auch nur entfernt so aussehen könnte wie eine Mitwirkung am Krieg, ist tabu.

Wie kommt man aus dem Dilemma? Die FDP selbst hat das Stichwort „Entsendegesetz“ in die Debatte geworfen. Ein solches Gesetz hat das Bundesverfassungsgericht schon 1994 gefordert. Seither hat sich ein festes Ritual herausgebildet: Die jeweilige Opposition verlangt dringend nach dem Entsendegesetz, das sie, kaum Regierung geworden, nicht mehr gar so wichtig findet.

Der Grund ist simpel: Der gesetz-, wenn auch nicht rechtlose Zustand bietet der Regierung gewisse Freiräume. Die Karlsruher Richter haben die Rechte des Parlaments abstrakt definiert. Der Bundestag muss alle „bewaffneten Einsätze“ der Bundeswehr billigen, möglichst vorher, notfalls nachher. Das gilt sogar, wenn deutsche Soldaten einen Angriff auf einen Bündnispartner abwehren helfen. Der Bundestag hat zudem das Recht, einen Einsatz abzubrechen. Aber wie das alles konkret ablaufen soll, ist völlig ungeklärt und in hohem Maße in die Hand der Regierungsmehrheit gelegt, die ja das Verfahren auch im Bundestag dominiert. Schlicht gesagt: Wenn eine Regierung verhindern will, dass das Parlament über eine ihr unangenehme Frage abstimmt, kann sie das in der Regel.

Ob ein Entsendegesetz das Problem löst, ist so sicher nicht. Je detaillierter es Pflichten, Rechte und Verfahren regelt, je mehr Fesseln es der Regierung anlegt, desto mehr wird das Parlament zum Feldherrn. Dazu taugt die Volksvertretung aber nicht. Die Union zum Beispiel bevorzugt darum ein Modell des bewussten Verzichts: Der Bundestag beschließt nur noch grundsätzlich darüber, dass die Bundeswehr in einen Einsatz gehen darf, die Details bleiben der Regierung überlassen – dafür wird aber das Kontroll- und Rückholrecht des Parlaments stärker formalisiert. Das könnte ein vernünftiger Weg sein, die Balance zwischen den Ebenen der Verantwortung zu wahren: Hier der Feldherr, dort der Parlamentarier als Kontrolleur.

Nur eines soll man von so einem Gesetz nicht erhoffen: dass dann der Streit aufhört. Wenn, wie jetzt im Falle Awacs, die Bundesregierung eine Parlamentsentscheidung für überflüssig erklärt und die eigenen Fraktionen dieser Ansicht folgen, kann die Opposition nicht im Bundestag das Gegenteil durchsetzen. Der Parlamentsvorbehalt ist kein Minderheitenrecht. Es bleibt nur der Weg nach Karlsruhe. Die FDP übrigens sollte ihn zu Ende gehen. Denn die Fragen, die sie gestellt hat, verdienen eine Klärung.

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