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Meinung: Alle sind gleich alt

Der Berliner Senat hat die teuren Folgen des Antidiskriminierungsgesetzes nicht bedacht

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es ist verflixt schwierig, die praktischen Folgen eines neuen Gesetzes richtig einzuschätzen. Manchmal geht der Schuss nach hinten los – wie beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das seit zwei Jahren der Diskriminierung von Menschen bundesweit Einhalt gebieten soll. Rasse und Ethnie, Geschlecht und Alter, Religion und Alter, sexuelle Identität und Behinderung dürfen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaftsleben zu keiner Benachteiligung mehr führen.

Grundlage des Gesetzes sind, wie sollte es anders sein, strenge Richtlinien der Europäischen Union. Die private Wirtschaft lief von Anfang an Sturm gegen das neue Regelwerk. Die Unternehmen befürchteten massenhafte Klagen und kostspielige Veränderungen in der betrieblichen Arbeitswelt, damit es am Ende allen Arbeitnehmern gleichermaßen gut geht. Die Klagewelle ist seit 2006 ausgeblieben, die Kammern und Verbände vermelden bisher nur moderate Kostenbelastungen. Stattdessen hat es jetzt den öffentlichen Arbeitgeber erwischt, also den Urheber des Antidiskriminierungsgesetzes. Das ist nur gerecht, aber es könnte teuer werden für die Steuerzahler, auch in Berlin.

Denn die Hauptstadt hat zu lange weggeschaut. Während die meisten Bundesländer ihre Tarifverträge für den öffentlichen Dienst auf juristische Unverträglichkeiten mit dem Gleichbehandlungsrecht abgeklopft haben, blieb der rot-rote Senat bisher stur. Obwohl sich seit langem abgezeichnet hat, dass die Staffelung der Gehälter nach dem Lebensalter im Bundesangestelltentarif (BAT) anfällig ist für Diskriminierungsklagen. Das Landesarbeitsgericht Berlin hat nun bestätigt, dass jüngere Arbeitnehmer nicht einkommensmäßig benachteiligt werden dürfen. Ein Urteil gegen den Trend des demografischen Wandels, der die Probleme der Alten in den Mittelpunkt stellt. Trotzdem bemerkenswert logisch – und finanziell folgenschwer.

Sollte das Bundesarbeitsgericht die vom Berliner Senat angekündigte Revision verwerfen, hätte jeder vierte Angestellte im Landesdienst künftig Anspruch auf eine bessere Bezahlung. Also auf ein Gehalt, das der höchsten Altersstufe entspricht. Das würde den – immer noch labilen – Landeshaushalt mit zusätzlichen Personalausgaben in dreistelliger Millionenhöhe belasten. Und der Senat müsste den harten Kurs gegenüber den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wohl verlassen.

Denn bisher hieß es: Mehr Geld für die Landesbediensteten, die seit 2003 einen vertraglich fixierten Lohnverzicht üben, gibt es erst ab 2010. Der ausschließlich für Berlin geltende Anwendungstarifvertrag, auch Solidarpakt genannt, wird vorher nicht angetastet, von den kürzlich beschlossenen Einmalzahlungen von jeweils 300 Euro für 2008/09 abgesehen. Bisher widerstanden SPD und Linke der Versuchung, von dieser vernünftigen Linie abzuweichen. Nun könnte das Gleichbehandlungsgesetz der Forderung nach raschen Gehaltsaufbesserungen Vorschub leisten, die sich Berlin derzeit überhaupt nicht leisten kann.

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