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Meinung: Alle Wege führen in den Kiez

Die Bundesspitze leidet an der Berliner CDU

Von Robert Birnbaum

Um CDU-Bundespolitiker einmal ratlos zu sehen, muss man sie bloß in eine stille Ecke ziehen und mit harmlosen Gesicht fragen, was ihnen zu Berlin einfällt. Die Standard-Antwort lautet: „Dazu fällt mir gar nichts mehr ein.“ Und das stimmt sogar. Als am vorigen Montag der Rückzug von Christoph Stölzl in der Luft lag, hat ihm im CDU-Bundesvorstand keiner dazu auch nur eine Frage gestellt. Sie wollen es gar nicht mehr wissen. Es ist ohnehin schlimm genug. Es ist ja auch nicht zu ändern. Die Neigung der Bundesspitze, sich mit Rat, gar mit Tat in die Belange des chronisch intriganten Hauptstadt-Verbandes einzumischen, ist nach dem Scheitern des von der Bundesvorsitzenden Angela Merkel weidlich geförderten Stölzl auf dem Nullpunkt.

Das Elend hat eine konkrete und eine eher abstrakte, dafür aber um so wichtigere Seite. Konkret hat sich nach allgemeiner Einschätzung erwiesen, dass die hiesige Kiez-Kabale sich nur in der folkloristischen Darstellung vom kölschen Klüngel, der Münchner Mafia oder der Bremer Brüderschaft unterscheidet. Großstadt-Parteipolitik tut gern weltläufig, wird tatsächlich aber von den Inhabern von Klein- und Kleinstinteressen dominiert, deren Weitblick exakt bis zum Stadtrand reicht. Daran ist zunächst nichts Verwerfliches, weil es auch in einer Stadt, die sich als Bundesland gebärdet und Hauptstadt heißt, oft um Alltägliches geht: Müllabfuhr, Kitas, Kriminalität, auch – ja, auch Kultur.

Damit kommen wir nun aber schon zur wichtigen, nämlich der symbolischen Seite. Wenn in Öttingen an der Wörnitz oder in Wickede/Ruhr die lokalen Immobilienbarsche, Bauluchse und Teppichhändler den Ton angeben, ist das für das Erscheinungsbild der Gesamtpartei egal, möglicherweise sogar nützlich, weil es Erdverbundenheit zeigt. Die Repräsentanten der Hauptstadt-CDU stehen für etwas anderes: Eben für Hauptstadt, Großstadt, Moderne. Das mag, soziologisch betrachtet, eine falsche Erwartungshaltung sein; Berlin ist mehr Provinz als die Provinz sich das je träumen lässt, die den Potsdamer Platz für das Ganze nimmt. Aber die Erwartung besteht, nicht nur in der Provinz, sondern auch bei Teilen des städtischen Publikums selbst. Dass die CDU in Großstädten bei Wahlen systematisch auf keinen grünen Zweig kommt, hängt längst nicht nur, aber eben auch mit dem Mangel an Großstadt-Typen in ihren eigenen Reihen zusammen.

Abhilfe tut unstreitig not. Doch niemand weiß einen Weg. Dass Protektion „von außen“ die Abwehrmechanismen des Kiezes mobilisiert statt sie zu schwächen, zeigt der Fall Stölzl nur ein weiteres Mal. Da mag in Berlin der spezifische Trotz einer lokalen Elite hinzu kommen, die mit ansehen muss, wie sie zugunsten der neuen Elite aus dem Umfeld der Bundespolitik in den Gesellschaftsnachrichten eine Stufe nach unten gerutscht ist. Aber das Problem besteht auch anderswo: Parteipolitik präsentiert sich dem neuen, meist nicht ortsgebundenen und auch sonst mobilen Bildungsbürgertum als Hort des kleinteiligen Traditionalismus, in dem Fuss zu fassen, gar Einfluss zu gewinnen unendlich viel Zeit und Nerven kostet. Also lässt man es. Also bleiben die Kiez-Fürsten unter sich. Also wirken Großstadt-Parteien – nicht nur die CDU – noch provinzieller als ihre Gegenstücke in der Provinz.

In Berlin gab es, darauf ist unlängst in der Städte-Kommission der CDU aufmerksam gemacht worden, vor Zeiten ein interessantes Alternativmodell. Es waren dies die Zeiten, in denen Heinrich „fürs Grobe“ Lummer dem Volk nach dem Maul redete und einer wie Richard von Weizsäcker das Bildungsbürgertum charmierte. Aber zu derlei Rollenspiel ist die Berliner CDU ganz offenkundig auch nicht mehr fähig. Er habe sich, war von Frank Steffel zu hören, mit Stölzl nie gestritten. Sie haben also beharrlich aneinander vorbeigeredet. Ein aussichtsloser Fall von Anfang an.

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