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Analyse: Unsere erste echte Dreier-Koalition

FDP, CSU, CDU: In dieser Reihenfolge geben sie gerade den Ton an. Und keine der Parteien ist noch, was sie einmal war.

Sozialliberal hießen die von den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt geführten Bundesregierungen, und Helmut Kohls Koalition nannte man christlich-liberal. Seit einigen Wochen bemühen sich Angela Merkel und Guido Westerwelle um die Wiedergewinnung dieses Begriffs, ziemlich verkrampft und mit wenig Erfolg. Von der „bürgerlichen“ Koalition mag angesichts der rauen Sitten und schlechten Manieren niemand mehr reden. Das Etikett für diese Bundesregierung heißt: Schwarz-Gelb.

Unbemerkt, aber nachhaltig sind wir dazu übergegangen, politische Konstellationen zu kennzeichnen, indem wir in Farbtöpfe greifen, und nicht mehr zum klassischen politischen Vokabular, das immer auch eine Richtung angezeigt hat. Das erste „Farbenbündnis“ machte den Mangel an klarer Richtung wett durch den Rückgriff auf kulturelle Dominanz; Rot-Grün galt als „Projekt“. Das erste Schwarz-Gelb, das 2005 regieren wollte, war wirklich eines: Der Glaubenssatz von mehr Freiheit durch weniger Staat entsprach nicht nur den Erwartungen seiner Anhänger, sondern stand auch in den Wahlprogrammen von Union und FDP. Dafür allerdings gab es keine Mehrheit bei der Bundestagswahl 2005, und 2009 war es nicht mehr das gemeinsame Konzept von Union und FDP.

Der Übergang zur Farbenlehre begleitet eine tektonische Verschiebung im Gefüge des Landes – die von der Dreiparteienlandschaft zu einem System, in dem vier, fünf, sechs Parteien in Parlamenten sitzen und Regierungen bilden können. Über diese Veränderung ist in den letzten Jahren lebhaft diskutiert worden, die öffentliche Debatte hat der neuen Konstellation einigen Reiz abgewinnen können: mehr Beweglichkeit, Pragmatismus und politische Dynamik durch neue Bündnisse. Es galt als ausgemacht, dass früher oder später Dreier-Koalitionen auf Bundesebene die gewohnte Konstellation – Volkspartei plus FDP oder Grüne – ablösen würden und auch, dass damit das Regieren etwas schwieriger werden würde.

Merkwürdig, wie beinahe unbemerkt blieb, als es dann wirklich passiert ist. Das Drunter und Drüber der ersten hundert Tage Schwarz-Gelb war so heftig, dass ganz übersehen wurde, dass Angela Merkel die erste Kanzlerin ist, die eine echte Dreier-Koalition im Bund führt. Genauer gesagt: ihr vorsitzt. Es regieren nicht Union und FDP, sondern CDU, FDP und CSU. Macht man nicht den Wählereinfluss, sondern die politische Dynamik zum Maßstab, heißt die Reihenfolge: FDP, CSU und CDU. Und alle drei Parteien sind nicht mehr das, was sie einmal waren.

Die Einheit der Union, um die Helmut Kohl noch einen gewaltigen Kampf geführt hat, ist von den Vorsitzenden der beiden C-Parteien sang- und klanglos aufgeben worden. Die „Union“ existiert auf dem Papier, auf dem die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag fixiert ist. Politisch und geistig trennt die von Parteichefin Angela Merkel kalt modernisierte CDU von Horst Seehofers CSU so viel, dass bei Steuern, Gesundheit, Familie der Alltagskonflikt zum Normalfall geworden ist: Eigenheimzulage, Kopfprämie, Betreuungsgeld. Als seien sie mental aus zwei Welten, kämpfen die Schwesterparteien der Union ums Überleben als Volkspartei. Während die Seehofer-CSU bei 40-plus-Wahlergebnissen ihre Volksverankerung schwinden sieht und sich verzweifelt wehrt, hat sich die Merkel-CDU längst darauf eingestellt, dass Kanzlerschaften mit unter 40-Prozent-Ergebnissen plus hart kalkulierter Koalitionstaktik herbeigeführt werden müssen.

Der Zerfall der Union in CDU und CSU zeigt im Regierungslager, was die SPD bei der letzten Bundestagswahl erlebt hat. Das bundesdeutsche „Modell Volkspartei“ hat ausgedient. Das muss nicht identisch sein mit dem Ende der Volksparteien selbst: CDU, CSU und SPD (selbst der Linken in einigen ostdeutschen Ländern) sind Wahlergebnisse von 30, 35 Prozent immer noch zuzutrauen. Doch der politische Magnet, an dessen Polen sich alle anderen Parteien, Verbände, Gewerkschaften und nicht zuletzt die Stammtische (also: das Volk) wie Eisenspäne ausrichten, ein solcher Magnet sind Union und SPD nicht mehr.

Diese Tatsache unterstreicht in der Bundesregierung jeden Tag aufs Neue die FDP. Die dienstälteste Regierungspartei Deutschlands – 1949, 1969 und 1982 unentbehrlich für die Richtungsentscheidungen der Republik – hat ihren Funktionsverlust als Zünglein an der Waage nach elf Jahren Opposition mit dem Wahltriumph 2009 wettgemacht: 14,6 Prozent! Doch wer ist diese FDP? Die Schubladen klemmen schnell, wenn Guido Westerwelles lautstarke Truppe senkrecht nach unten rutscht, die Umfragewerte aber wieder nach oben zeigen, weil die Hartz IV-Debatte seine Fahnen im Gegenwind der öffentlichen Meinung kräftig flattern lässt.

Klientelpartei? Das war die FDP immer, wie sie die Partei der Besserverdienenden und Durchsetzungsstärkeren war und bleiben wird. Die neue Führungsgeneration wird sich die Geschmeidigkeit ihrer Vorgänger noch aneignen, den üblichen Klientelismus mit höheren Werten zu überdecken. Doch die alte Verbindung aus Bürgerrechts- und Wirtschaftsliberalismus, elastisch genug, um je nach Zeitgeist und Machtbedingungen eher das eine oder das andere zu betonen, ist in der nicht enden wollenden Kohl-Koalition völlig verschlissen worden.

Der Nachwuchspolitiker Westerwelle folgte damals den Empfehlungen nicht, das verlorene Profil nationalliberal aufzupolieren, obwohl das seinerzeit durchaus eine Option war. Als Generalsekretär setzte Westerwelle eine akzentuiert wirtschaftsliberale Erneuerung seiner Partei in Gang. Als junger Parteichef widerstand er nach ersten Erfolgen seiner Politik den Versuchungen einer populistischen „Haiderisierung“ durch den Widersacher Jürgen Möllemann nicht ganz, entkam ihr aber durch dessen Selbstüberhebung und Tod. Mit einer latent fremdenfeindlichen Aufladung, lautete die Lehre, ist in Deutschland kein „Projekt 18“ zu machen.

Mit fast 15 Prozent hat der in seiner innerparteilichen Macht gefestigte FDP-Chef Westerwelle seine Partei ohne fragwürdige Untertöne solcher Art in die Zonen dieses Traums gebracht. Doch auf Ressentiment geladene Stimmungen stützt sich dieser Erfolg durchaus. Seine FDP ist nicht mehr die kleine Funktionspartei, die einem der beiden „sozialdemokratischen“ Tankern an der Seite steht, die Union und SPD nach seinem Verständnis sind, sondern eine politische Kraft „aus eigenem Recht“. So lautete die Formulierung des frischgebackenen Vizekanzlers in seinen ersten Amtswochen. Tatsächlich ist die FDP mehr als die alte Klientel- und Besserverdienendenpartei, und in den 14,6 Prozent steckt mehr als die Abwanderung enttäuschter CDU-Anhänger, die vor allem die große Koalition beenden wollten.

Diese FDP ist ein Zerfallsprodukt, nicht anders als die geschwächte SPD oder die still sich entzweiende christliche Union. Allerdings ein erfolgreiches: Die liberale Partei lädt sich an den Energien auf, die der Niedergang der anderen freisetzt. In der überforderten Integrationskraft der „großen Parteien“ spiegelt sich die veränderte soziale Landschaft des Landes. Die ist sehr viel komplexer als das gängige Bild, das ein Land mit wachsender Kluft zwischen Arm und Reich zeigt, in dem eine schrumpfende Mittelschicht alle Lasten trägt. Tatsächlich werden die Zwischenschichten zwischen Arm und Reich immer differenzierter und interessenungleicher: erfolgreiche Besitzstandswahrer, überforderte Doppelverdienerfamilien, bindungslose Schnellaufsteiger, Unternehmer, Arbeiter und Angestellte niedergehender Branchen, Freiberufler, Solo-Selbständige und prekär Beschäftigte aufsteigender Wirtschaftszweige.

Und jede individuelle Biografie durchläuft diese Parallelgesellschaften mit wechselhaften sozialen Zugehörigkeiten und Identifikationen. Da wählt der abgestürzte Solo-Selbständige aus Trotz schon mal die Linke, und der eben noch unbezahlte Praktikant ärgert sich beim ersten opulenten Job über den Steuerstaat.

Keine Zeit für die schwerfälligen großen Volksparteien, wohl aber für bewegliche „kleine Volksparteien“, die die Interessen und Gefühle dieser individualisierten Gesellschaft situativ ausdrücken können. In Westerwelles 15-Prozent-FDP drückt sich eine Grundstimmungen aus, deren Vitalität gerade in ihrer Minderheitenrolle gegenüber einem Mainstream liegt, der durch die Finanzkrise doppelt bestätigt worden ist: erstens in dem Verdacht, dass der Weg in die regellose Marktfreiheit die falsche Richtung war, zweitens aber in der paralysierenden Erkenntnis, dass kein Kraut dagegen gewachsen ist, jedenfalls kein politisches.

Bei der FDP hat sich im Herbst 2009 eine neobürgerliche Avantgarde versammelt, die in dem Maße tüchtig und erfolgreich ist, wie sie sich von der „Neidgesellschaft“ verkannt fühlt. Und nicht nur zu Unrecht: Diese Wähler haben genug Anschauungsmaterial vor Augen, um dem Staat nicht mehr zuzutrauen, dass er Solidarität angemessen organisieren kann. Und die sich dabei selbst solidarisch fühlen, weil sie den bröckelnden Putz an den Wänden der Klassenzimmer ihrer Kinder repariert haben, bevor sie sich für die Privatschule entschieden haben. Die Schwäche des öffentlichen Sektors liefert die Grundlage für den Wahlerfolg der FDP: Weil der Staat wie ein „teurer Schwächling“ aussieht, leuchtet der Gedanke des Vorrangs von „Privat“ ein.

Westerwelles großer Furor nach dem Hartz-IV-Urteil zielt deshalb nicht auf eine Senkung der Regelsätze. Sondern er ist ein neuerlicher Druckposten auf das Versprechen, das ihm 2009 fast 15 Prozent eingebracht hat: Steuersenkungen für die Bürger, in deren privater Hand Wachstum, Bildung, Solidarität besser aufgehoben sind als beim Staat. Der schneidige Auftritt liefert auch das Muster für die nächsten Regierungsjahre: Eine situativ zustande gekommene und latent fluchtbereite Anhängerschaft muss immer wieder neu zusammengehalten werden. Mit den Kompromisszwängen für den Vizekanzler wird der Energieaufwand für den Parteivorsitzenden steigen. Westerwelle hat dieser Tage gezeigt, dass im Zweifel der FDP-Chef Vorrang hat.

Die schwarz-gelbe Koalition konnte 2009 nur gebildet werden, weil ihre Protagonisten getrennt marschiert sind, um vereint zu schlagen. Eine deutliche Linksverschiebung hat der CDU ein mäßiges und der CSU ein glimpfliches, das Steuerversprechen der FDP den Liberalen aber ein herausragendes Ergebnis beschert.

Und Schwarz-Gelb die Mehrheit. Die Bundesregierung aber hat sich in eine strategische Falle bugsiert. Während man in der Kanzlerin-Partei weiß oder ahnt, dass die Finanzkrise die Lage der Staatsfinanzen und damit die Bedingungen der Politik grundlegend verändert hat, ist die FDP fast existenziell darauf angewiesen, ihre überzogenen Wahlversprechen einzuhalten. Ihre taktische Lage ist ungemütlich: Die Öffentlichkeit wird ihr mangelnden Realitätssinn vorhalten, solange sie an ihren Steuerplänen festhält – und Wortbruch vorwerfen, sobald sie einlenkt. Die CSU wiederum denkt zuerst an Bayern, dann an den Bund. Merkel weiß, dass schwindende Staatseinnahmen von den CDU-Ministerpräsidenten mit Gestaltungsverlusten bezahlt werden müssen, die der CDU-Vorsitzenden unangenehme Debatten bescheren. Vielleicht weiß sie sogar, dass der durch schwindende Steuereinnahmen prekarisierte Staat – gewissermaßen der noch schwächere Schwächling – der Volkspartei CDU die Grundlagen entzieht.

Jedenfalls wird die CDU-Vorsitzende darüber nachdenken, was eigentlich schlimmer ist – eine FDP, die in Nordrhein-Westfalen abstürzt oder besteht? In beiden Fällen wird die FDP in der Bundesregierung desto heftiger für ihre Steuerpolitik kämpfen. Was hat Merkel vom einem schwarz-grünen Landesbündnis, das ihre Berliner Koalition alt aussehen lässt und Jürgen Rüttgers zu einem ernsthaften innerparteilichen Konkurrenten macht?

In Dreier-Koalitionen, das lässt sich am ersten Ernstfall lernen, nimmt der strukturelle Parteiegoismus auf den Regierungsbänken zu. Dieser Bundesregierung sind die Fliehkräfte geradezu eingebaut, mit dem inneren Zwang zur Beschleunigung.

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