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Gastkommentar: Mubarak vor Gericht: Auf den Prozess kommt es an

Ob es in Ägypten zu einer tiefgreifenden Aufarbeitung der Vergangenheit kommen wird, sagt Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik, wird vom Verlauf des Prozesses beeinflusst. Das Urteil selbst spielt dabei eine weniger große Rolle.

Der Prozessauftakt gegen Ägyptens Ex-Präsidenten Husni Mubarak und seine beiden Söhne Alaa und Gamal am 3. August in Kairo war unzweifelhaft ein historischer Moment. Für viele Ägypter war es bis zu diesem Tag unvorstellbar, Mubarak auf der Anklagebank eines Gerichts zu sehen. Der Ex-Präsident muss sich im Wesentlichen in drei Punkten verantworten: Ihm wird die Tötung von Demonstranten im Februar diesen Jahres zur Last gelegt, Vorteilsnahme im Rahmen von Immobiliengeschäften und die Verschwendung öffentlichen Eigentums im Zusammenhang mit dem Verkauf ägyptischen Erdgases an Israel.

Insbesondere der erste Anklagepunkt wiegt schwer. Wird Mubarak tatsächlich eine Mitschuld an der Erschießung friedlicher Demonstranten nachgewiesen, könnte das für ihn die Todesstrafe bedeuten. Wichtiger noch als der Urteilsspruch ist allerdings das Gerichtsverfahren selbst, durch das eine umfassende Aufarbeitung des Mubarak-Regimes angestoßen werden könnte.

Mit dem Prozess verknüpfen sich grundverschiedene Erwartungen

Mit der Eröffnung des Verfahrens wird eine der Hauptforderungen der jungen Revolutionäre erfüllt, die auf dem Kairoer Tahrir-Platz und an anderen Orten des Landes den Zusammenbruch des Mubarak-Regimes herbeigeführt haben. Die aufgeheizte politische Lage in Ägypten wird der Prozess kurzfristig dennoch kaum beruhigen, da grundverschiedene Erwartungen an ihn geknüpft sind: Während viele Aktivisten und ehemalige Oppositionelle ihn als Anfang einer weit reichenden Vergangenheitsaufarbeitung sehen, hofft die gegenwärtige Militärführung, mit dem Verfahren gegen Mubarak einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen zu können.

Indem die Armeespitze den Prozess gestattet hat, versucht sie sich selbst als neutralen Akteur zwischen der Bevölkerung und dem früheren Regime darzustellen. Ganz falsch ist dieses Bild nicht –  zumindest in Bezug auf die letzten Jahre der Mubarak-Herrschaft. So war seit 2005 immer wieder über Widerstände innerhalb des Generalstabs gegen den von Mubarak angestrebten Vater-Sohn-Wechsel im Präsidentenamt spekuliert worden. Dennoch war das Militär über Jahrzehnte hinweg die tragende Säule des autoritären politischen Systems in Ägypten. Die wichtigsten Entscheidungsträger kamen aus dem Militär, das unter Mubarak nicht nur das Gewaltmonopol innehatte, sondern auch einen beachtlichen Teil der Wirtschaft kontrollierte. Deswegen dürften die Generäle keineswegs an einer  Aufarbeitung ihrer wenig rühmlichen Vergangenheit interessiert sein.

Gleiches gilt für weite Teile der Bürokratie, für die Wirtschaftselite und selbst für manche Mitglieder der damaligen (und heutigen) Opposition. Sie alle haben von dem Mubarak-Regime profitiert. Allein dessen mittlerweile aufgelöste Regierungspartei hatte auf dem Papier bis zu zwei Millionen Mitglieder. Es war also keine kleine Gruppe, die aus Mubaraks Herrschaft einen Nutzen gezogen hat: Ämterpatronage, Bevorzugung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge oder der Verkauf staatlicher Ländereien weit unterhalb des Marktpreises sind nur einige Beispiele für die Vorteile, mit denen das Regime seine Unterstützerklientel an sich binden konnte. Auch wenn es bereits Gerichtsverfahren gegen ehemalige Regimegrößen, Unternehmer und Staatsfunktionäre gibt, insbesondere wegen Korruptionsdelikten und Selbstbereicherung, so betreffen diese doch nur die Spitze des Eisbergs.

Aber nicht nur die Gefolgsleute des alten Regimes sind verhalten, was die Aufarbeitung der Vergangenheit angeht. Zwar begrüßen Vertreter der gemäßigten Muslimbruderschaft und der radikaler auftretenden salafistischen Gruppierungen gleichermaßen das Gerichtsverfahren gegen den Ex-Präsidenten. Sie halten sich aber mit weiter gehenden Forderungen auffällig zurück, obwohl ihre Mitglieder besonders hart unter den Repressionen zu leiden hatten. Hieran wird deutlich, dass es bei dem Verfahren gegen Mubarak eben nicht nur um die Vergangenheit sondern auch um die politische Zukunft des Landes geht, insbesondere mit Blick auf die kommenden Wahlen. Während sich die Muslimbrüder als Kraft der Mitte zu positionieren versuchen, die unter Umständen selbst für Anhänger der ehemaligen Regierungspartei wählbar ist, wollen es sich die Salafisten nicht mit der Militärführung verderben, aus Angst, gegebenenfalls aus dem politischen Prozess hinausgedrängt zu werden.

Die Eigendynamik des Gerichtsverfahrens

Doch trotz dieser Ausgangslage könnte das Gerichtsverfahren gegen Mubarak durchaus eine Eigendynamik in Bezug auf die Aufarbeitung der Vergangenheit entfalten. Dem – tatsächlich anwesenden – Ex-Präsidenten wird vor einem souveränen, zivilen Gericht und unter Beteiligung der Öffentlichkeit der Prozess gemacht. Dies deutet darauf hin, dass das Urteil noch nicht feststeht, was den Verlauf des Verfahrens wenig kalkulierbar macht. Sollten sich außerdem die Anwälte Mubaraks mit ihrer Forderung nach Vorladung zahlreicher prominenter Zeugen insbesondere aus dem Militär durchsetzen, würde dies tiefe Einblicke in die Mechanismen und Funktionsweisen des früheren Regimes erlauben. Dies könnte wiederum zu neuen Gerichtsverfahren führen, wodurch eine umfassende Auseinandersetzung mit dem alten System möglich würde.

Das Gerichtsverfahren gegen Mubarak wird daher nicht nur in Ägypten sondern auch in den benachbarten Ländern mit ungeheuer großem Interesse verfolgt. Der Prozess dürfte dazu beitragen, dass in der arabischen Welt die psychologische Barriere weiter sinkt, von den eigenen politischen Führern Rechenschaft einzufordern. Allerdings werden auch die verbliebenen Autokraten in der Region sowie ihre Anhänger die Berichte aus dem Kairoer Gerichtssaal aufmerksam verfolgen. Dass sie hieraus die Lehre ziehen, nun mehr politische Öffnung zu wagen, zeichnet sich bisher nicht ab. Die Entwicklungen in Bahrain, Libyen und Syrien deuten vielmehr darauf hin, dass die Angst der politischen Führer vor der eigenen Bevölkerung kurzfristig noch stärkere Repressionen nach sich zieht. Langfristig aber wird es kaum gelingen, in den Köpfen der Menschen das Bild eines Diktators auf der Anklagebank vergessen zu machen.

Stephan Roll forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zu den politischen und wirtschaftlichen Transformationsprozessen in den arabischen Staaten. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Sein Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik „Kurz gesagt“.

Stephan Roll

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