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Mobile russische Rakentenabschussrampe: Ohne Atomwaffen geht es nicht, sagt Sicherheitsexperte Hacke.

© dpa

Nukleare (Ab)Rüstung: Frieden schaffen mit Waffen

Global Zero - eine nuklearfreie Welt - wird es laut Christian Hacke nicht geben. Der Politikwissenschaftler hält sie auch nicht für erstrebenswert, sondern sieht in nuklearer Abschreckung die Machtbalance und Sicherheit der freien Welt garantiert.

Politiker, Journalisten und Wissenschaftler überbieten sich gegenseitig bei der Idealisierung einer schönen neuen Welt ohne Atomwaffen. Der frühere IAEO-Generaldirektor Mohammed al Baradei setzt sogar Nuklearwaffen mit Sklaverei und Genozid gleich. Ist aber die Dämonisierung der Nuklearwaffen und die Idealisierung einer nuklearwaffenfreien Welt nicht verfrüht und irreführend?

Krieg und Konflikt sind nicht erst mit der Atombombe in die Weltpolitik getragen worden, können also auch nicht mit der Abschaffung der Atombombe gebannt werden. Die Welt von 1914 bis 1945 war nuklearfrei, aber es gibt Gedenksteine für die gefallenen Soldaten in jedem Dorf in Europa. Sie erinnern an das Scheitern konventioneller Abschreckung. Das wird heute vergessen. Zudem war die Logik der Nuklearstrategie schon immer zu kompliziert und zu fürchterlich für eine öffentlichkeitswirksame Kommunikation. Heute gibt es deshalb nur noch schlechte Atombomben. Die Realität indes ist vielschichtiger und widersprüchlicher.

Wenn US-Präsident Barack Obama jetzt zu Global Zero aufruft, sucht er vor allem den öffentlichkeitswirksamen Vorteil in der Weltpolitik, den sein Amtsvorgänger in der Rüstungskontrolle und Abrüstung verspielt hatte. Nichts wäre unangemessener, als Obamas Abrüstungsinitiativen auf Global Zero zu verkürzen. Vielmehr lassen der „Nuclear Posture Review“ und das Start-III-Abkommen keine Zweifel aufkommen, dass für die USA – wie auch für Russland – zur Wahrung der strategischen Stabilität und der politischen Machtbalance Kernwaffen unverzichtbar bleiben.

Der Trend zur Weiterverbreitung zeigt auf allen Kontinenten, dass unterschiedliche nationale Interessen, historische Erfahrungen und politische Konstellationen den Wunsch nach Nuklearwaffen beflügeln. Sie alle laufen Global Zero zuwider.

Doch nicht die Proliferation an sich, sondern die Weitergabe von Nuklearwaffen an undemokratische Staaten wird zur Hauptgefahr für das nukleare Zeitalter im 21. Jahrhundert. Die freiheitlichen und demokratischen Werte spielen in dieser Diskussion eine zentrale Rolle. Die nukleare Abschreckung, gerade in ihrer erweiterten Form durch die USA, hat nach wie vor eine strategische und politische Dimension, weil sie nicht nur die Beziehungen zwischen den großen Mächten stabilisiert, sondern auch Demokratien Schutz bietet. Sie sichert also nicht nur amerikanische Vormacht und Handlungsfreiheit, sondern sie garantiert auch die Sicherheit der freien Welt. Was strategisch gut ist für die USA, ist auch strategisch gut für die freie Welt.

Dies wird allerdings von den Verfechtern von Global Zero ignoriert. Sie übersehen, dass Nuklearwaffen im Besitz von demokratischen Staaten prinzipiell eine andere Funktion haben als im Besitz von Diktaturen oder Terroristen. Selbst wenn man heute die nukleare Kriegstechnologie ächten könnte, die Welt würde nicht sicherer. Im Gegenteil, der Rüstungswettlauf würde (wieder) konventionell angeheizt und in abschreckende Kriegsmuster vor 1945 zurückfallen.

Selbst wenn es plötzlich keine Nuklearwaffen mehr geben sollte – das Wissen um ihre Herstellung bleibt. Der nukleare Geist ist endgültig aus der Flasche. Die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen ist auch nach einem Global-Zero-Abkommen nicht zu stoppen. Jedes Land, das sich darauf verließe, würde die eigenen Sicherheitsinteressen sträflich vernachlässigen.

Aber angenommen, das Unmögliche, Global Zero, würde eintreten: Bislang unbekannte und unerprobte Maßnahmen wären dann vonnöten. Um den nuklearen Geist in der Flasche zu halten, müsste ein globales Verifikations- und Kontrollverfahren sicherstellen, dass niemand sich heimlich wieder Atomwaffen zulegt. Vor allem das Problem der Sanktionen und der Bestrafung für Vertragsbrüchige, das schon 1945 unlösbar war, würde das Projekt zu Fall bringen. Global Zero wirft also auch nach vertraglicher Vereinbarung eine Vielzahl großer Probleme auf.

Im Grunde genommen reduziert sich Global Zero auf eine glänzend organisierte Werbekampagne, die ohne Rücksicht auf die widrigen Realitäten trotzig mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit sicherheitspolitische Wolkenstürmerei betreibt.

In Wirklichkeit steht die internationale Politik nicht vor der Alternative zwischen nuklearer und nichtnuklearer Welt, sondern vor einer ganz anderen: Entweder stabilisiert man eine ungerechte nukleare Ordnung, in der die Nuklearwaffen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen auf ein größtmögliches Minimum reduziert werden, oder Global Zero bringt neue Unsicherheiten sowie neue Rüstungswettläufe.

Leider wird eine realistische Argumentation über Global Zero heute erschwert, weil geschätzte und verehrte Staatsmänner wie Henry Kissinger und Helmut Schmidt in der politischen Verantwortung die friedenssichernde Bedeutung von Nuklearwaffen nie infrage stellten, doch nun, hochbetagt, in die Rolle altersweiser Idealisten schlüpfen.

Sie haben damit der internationalen Sicherheit einen Bärendienst erwiesen, denn sie machen eine Vision intellektuell und politisch hoffähig, die den freien Westen schwächt, autoritäre Regime stärkt, die stabilisierende Rolle von Nuklearwaffen negiert, die Pluralität der Weltpolitik übersieht und schließlich von den wirklich drängenden weltpolitischen Fragen und Problemen ablenkt. Global Zero entpuppt sich als besondere Form von politischem Eskapismus.

Der Autor ist Politikwissenschaftler und Zeithistoriker. Er gehört der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik an, dem International Institute for Strategic Studies und dem World Security Network.

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