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Sebastian Turner, gescheiterter Bewerber um das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters.

© dpa

OB-Wahl in Stuttgart: Markenlos! Sebastian Turner hätte Sebastian Turner nicht gewählt

Was ist denn da passiert? Ein kluger Werbekopf, ein brillanter Stratege und der Macher vieler großer Marken scheitert gegen Fritz Kuhn. Stuttgarts OB ist grün, und Turner ärgert sich schwarz.

Sebastian Turner war mit allem ausgerüstet, was ein Gewinnertyp so braucht. Seine Erfolgsliste ist lang, immer setzte er neue Maßstäbe. Sein Meisterstück als Vorstand, später Aufsichtsratsvorsitzender der Werbagentur "Scholz&Friends" war die Kampagne "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" für die FAZ. Eine Jury des "Spiegels" wählte diese zur Kampagne des Jahrhunderts. Mehr geht nicht, sollte man meinen.

Was hat die Werberlegende, die einmal 1600 Mitarbeiter führte, dazu bewogen, in die Politik zu wechseln? Warum will ein Niedersachse Oberbürgermeister in Stuttgart werden und tritt am Ende gegen Fritz Kuhn aus Bad Mergentheim/Regierungsbezirk Stuttgart an? Was will der "Fremde" im Wohnzimmer des grünen Schwaben? Gut, Turner ist in Stuttgart aufgewachsen und zur Schule gegangen, aber reicht das aus? Konnte er diesen Kampf wirklich gewinnen? Werber sprechen gerne von der "Top Down Perspektive", der Vogelperspektive, oder der Draufsicht. Hätte Turner sie selbst an sich anwenden können, wäre es wirklich zur eigenen Entscheidung gekommen, Oberbürgermeister in Stuttgart werden zu wollen? Vermutlich nicht.

2011 wurde Turners "Baby", die Agentur Scholz&Friends, an den Werberiesen WPP verkauft. Turner und sein Agenturfreund und ebenfalls Vorstandsvorsitzender, Thomas Heilmann, der heutige Berliner Senator für Justiz und Verbraucherschutz, verkauften an WPP und schieden bei Scholz&Friends mit guten Gewinnen  aus. Heilmann machte eine politische Blitzkarriere in Berlin. Der ehemalige Vollblutwerber, aber auch Volljurist machte es vor, wie zweite Karriere geht.

Sebastian Turner hatte bereits einige Jahre zuvor eine gute Idee für Baden-Württemberg. Von ihm stammt der Kampagnenslogan "Wir können alles. Außer Hochdeutsch." Auch auf dem Schlossplatz in Stuttgart hing der Slogan in Plakatform. Turners Kopfpuzzle mit dem Titel "Turner 2.0 - die Neuerfindung eines Superwerbers" setzte sich langsam zusammen, als er einen Anruf der Stuttgart CDU bekam. Deren Chef  Stefan Kaufmann wollte Turner als OB-Kandidat verpflichten - und Turner nahm an.

Vielleicht war Sebastian Turner getrieben von der Vorstellung, es seinem Ex-Kollegen Heilmann gleich zu tun. Vielleicht war der Treiber auch der Gedanke an seinen Vater, der unter Eberhard Diepgen Ende der Achtzigerjahre Senator für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin war. Relativ deutlich ist jedoch zu erklären, warum es mit dem Wahlsieg nicht klappen konnte. Hätte sich Sebastian Turner an die Werberegeln gehalten, die er oft selbst vertreten hat, hätte er nie als Kandidat antreten dürfen!

Wie der Politiker Turner die Ratschläge des Werbers Turner missachtete

2008 sagte Turner in einem Interview: "Die Leute sagen tatsächlich, dass ihnen eine Suppe von einer bekannten Marke besser schmeckt als dieselbe Suppe von einem unbekannten Hersteller". Sebastian Turner kam nach Stuttgart als Unbekannter. Warum also sollte den Schwaben seine Suppe schmecken?

In einem Interview mit der "Zeit" behauptete Turner als Werbeguru: "Ein Politiker aus der Retorte, von Imageleuten entworfen, ist nicht schussfest. Der wird zerlegt. In Nordkorea ist das vielleicht anders, aber in Ländern, in denen die Politik ständig unter Beobachtung steht, reicht Verpackung allein nicht aus." In seinem Wahlkampf setzte Turner alleine auf gute Verpackung. Unter Werbegesichtspunkten löste er diese Aufgabe wie immer brilliant. Doch wie er selbst immer ahnte: Gereicht hat es offensichtlich nicht! Zumal Turner mit klaren Botschaften und Inhalten eher sparsam umging. Das war übrigens für jeden Wähler recht schnell und deutlich zu sehen. Auf Turners Homepage findet man auch sein "Programm", welches eigentlich seine Inhalte aufzeigen sollte. Sein Bürgerwahlprogramm ist dort als Download erhältlich. Die Überschrift lautet: "Bürgerbeteiligung willkommen - mein (fast) fertiges Wahlprogramm". Welche Botschaft vermittelt Turner hier dem Bürger? "Ich habe leider viel mit der Eigenbewerbung zutun, daher habe ich mein Programm bis zur Wahl nicht fertigstellen können"? So scheint es selbst bei denen angekommen zu sein, die diesen Download gar nicht geklickt haben. Seine eigentliche Idee, die dahinter steckt, nämlich "Politik zum Mitmachen", geht völlig unter.

Bleiben wir kurz bei einem der wichtigsten Tools, um heute eine starke Marke aufzubauen. Das Internet, die eigene Homepage, ist der öffentliche Auftritt der "Marke OB-Kandidat". Auch diesen Bereich sollte der ehemalige Werbepapst Turner wesentlich besser abdecken können. Er arbeitet mit den Hauptbotschaften "Kann Wirtschaft. Schafft Zukunft." Fritz Kuhn dagegen mit viel Emotionalität. Seine Botschaften: "Einer für ganz Stuttgart", "Was Stuttgart braucht", "Stadt am Fluss", "Stuttgart 21". Die Überschrift seines Programms: "Wertorientierung und lebendige Demokratie in Stuttgart". Man kann endlos viele Beispiele aufzeigen, warum sich die Marke Sebastian Turner in Stuttgart nie etablieren konnte. Warum sie nicht gekauft wurde. Anhand der Botschaften der beiden Kandidaten wird nahezu alles deutlich. Sebastian Turner hat die Menschen dort einfach nicht verstanden. Sie wollten keine plakativen Werbeslogans, das kannten sie bereits von Ex Ministerpräsident Mappus. Sie wollten keine Sachlichkeit und Unterkühltheit. Sie wollten abgeholt werden. Stuttgart war reif für einen von ihnen, für einen OB, der die Sorgen und Nöte der Menschen versteht. Dabei spielte wahrscheinlich die Parteizugehörigkeit des Fritz Kuhn eher eine untergeordnete Rolle.

Der Kern einer gut funktionierenden Marke ist immer das Vertrauen. Man spricht von Aufbau von Vertrauenskapital, wenn es um den Markenneuaufbau geht. Und genau an dieser Stelle ist Sebastian Turner gescheitert. Es mag gerade in Baden-Württemberg schwer sein, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Mit Werbeslogans alleine war und ist dies scheinbar nicht zu schaffen.

Und so werden sich Turner und sein Strategieteam eingestehen müssen: "Wir können alles - außer Stuttgart".

Mike Kleiß ist Kommunikations-und  Markenexperte. Als Berater vertritt er Manager aus der Wirtschaft. Er arbeitet für die Agentur "Medienhafen Köln".

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