zum Hauptinhalt
Deutsche Kinder und Jugendliche werden im internationalen Vergleich immer unglücklicher.

© dpa

UNICEF-Studie zum Wohlbefinden der Kinder: "Warum sollte ich unglücklich sein?"

Die Unicef-Studie zum Wohlbefinden der Kinder in den Industrieländern zeigte, dass deutsche Kinder und Jugendliche zu den unglücklichsten der Welt gehören. Während in Medien und Politik um die Gründe gestritten wird, kommt meine Tochter zu einem ganz einfachen Schluss.

"Sag mal, bist du auch so unglücklich?", frage ich meine 15-jährige Tochter. "Was ist das für eine merkwürdige Frage? Warum sollte ich unglücklich sein?"
"Weil deutsche Kinder zu den unglücklichsten in der westlichen Welt gehören", antworte ich. "Das steht in einer Studie die ich gerade lese. Holländische Kinder sind übrigens die glücklichsten. Du bist zwar halb-niederländisch, halb-russisch, aber du lebst in Berlin. Vielleicht wirst du ja angesteckt von all diesen unglücklichen Kindern um dich herum. Außerdem hast du 50 Prozent russische Gene. Die Russen sind ja auch nicht bekannt dafür, dass sie sehr fröhlich sind."

Meine Tochter hört mir schon nicht mehr zu. Sie denkt nach. Dann sagt sie: "Ich habe es schon immer vermutet." "Was denn?", frage ich. "Immer wenn ich in Holland bin, fällt es mir auf, dass die Kinder dort fröhlicher sind. Als hätten die weniger Sorgen als meine deutsche Freunde", findet meine Tochter. "Was für Sorgen haben die denn?", hake ich weiter nach. "Ganz schön viele. Jedes dritte Kind, das ich kenne geht zum Psychologen, weil es so kaputt ist. Manchmal denke ich: ''Hey, wir sind erst 15 Jahre alt, übertreibt nicht so''."

Das hört sich alarmierend an. Allerdings ist es keine befriedigende Antwort auf die Frage warum niederländische Kinder, die ja oft unter vergleichbaren Umständen aufwachsen als deutsche, ihr Lebensglück so unterschiedlich beurteilen.
Denn so steht es in der Unicef-Studie. Die Lebenssituation von Jugendlichen zwischen 11 und 15 Jahren in 29 Industriestaaten wurde untersucht und zehntausende Jugendliche wurden befragt. Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse ist, dass, obwohl es deutschen Kindern objektiv viel besser geht als Kindern in Krisenländern wie Griechenland oder Spanien, sie das selbst nicht so empfinden. "Im Kontrast zu positiven Entwicklungen auf Feldern wie Bildung und Risikoverhalten steht die subjektive Sicht der Jugendlichen in Deutschland auf ihre Lebenssituation. Bei der Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit von Mädchen und Jungen fällt Deutschland auf Platz 22 von insgesamt 29 untersuchten Ländern. Diese Kluft hat sich in den vergangenen Jahren verbreitert und ist jetzt größer als in jedem anderen Industrieland." Also, nicht nur niederländische, auch griechische, spanische, italienische, portugiesische, lettische, tschechische, estnische Kinder - na ja, wer eigentlich nicht? - sind glücklicher als deutsche.

Ich rufe meine Tochter: "Schau, das kann doch nicht wahr sein? Woran liegt das?" "Keine Ahnung...warte", antwortet sie. "Ich frage mal meine Freunde auf Facebook."

Ich bin nicht der Einzige mit Fragen. Auch die Bild Zeitung macht sich Sorgen. "Warum sind unsere Kinder so unglücklich?", fragt Bild ratlos. Experten kommen zu Wort. Laut Professor Dr. Hans Bertram, Soziologe an der Humboldt Universität Berlin, ist der Leistungsdruck in Deutschland viel zu groß. Kinder und Jugendliche sind überfordert und fühlen sich ausgeschlossen, denkt Bertram. Andere weisen auf die üblichen Ursachen hin: Eltern, die zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen, unmotivierte Lehrer, Kinder die nicht mehr draußen spielen. Für Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, ist das alles Quatsch. "Das ist Jammern auf hohem Niveau! Wir müssen Kindern beibringen, dass zum Leben auch das Risiko des Scheiterns und des Misserfolges gehört."

Keine dieser Analysen gefällt mir. Alles zu einfach. Die Macher der Unicef-Studie entdeckten einen wichtigen Unterschied: die Situation Deutscher und Niederländischer Kinder ähnelt sich zwar in vielen Hinsichten, aber in Deutschland ist die Anzahl der Jugendlichen, die in relativer Armut aufwachsen, viel größer. Vor allem Kinder aus Einelternfamilien fehlt es nicht selten an eine Grundsicherung.

Stimmt. Aber auch griechischen und spanischen Kindern fehlt es nicht selten an diese Grundsicherung, vor allem seit dort die Krise wütet. Nichtsdestotrotz sind die glücklich.

Haben wir hier vielleicht mit diesem typisch deutschen Weltschmerz zu tun? Wenn man die viele Reaktionen im Internet liest, bekommt man den Eindruck. "Wie sollen sich Kinder positiv entwickeln und denken lernen, wenn sie ihre Eltern nur mit hängenden Mundwinkeln und sauertöpfischer Miene und ständig motzend durch das Leben gehen sehen?", fragt sich ein Leser bei Spiegel Online.

Auch das stimmt, muss ich zugeben.

Aber meine Tochter hat, vermute ich, eine noch bessere Analyse. Sie kehrt zurück ins Zimmer und hat die Resultate ihrer persönlichen Untersuchungen auf den sozialen Median dabei. "Ich glaube dass es daran liegt", sagt sie, "dass deutsche Kinder massiv rebellieren: gegen die Lehrer, weil die oft ziemlich autoritär sind. Und gegen die Eltern - da weiß ich nicht genau warum. In Holland fällt es mir auf, dass Eltern, Lehrer und Kinder eher freundschaftlich mit einander umgehen." "Wir haben es hier also mit einem klassischen Generationenkonflikt zu tun?", frage ich ein wenig erstaunt. "Deshalb sind deutsche Kinder so unglücklich?" "Eine bessere Erklärung habe ich nicht", sagt meine Tochter. "Aber ich bin ja nicht mal Deutsch. Und ich arbeite nicht für Unicef."

Wierd Duk ist ein Holländischer Journalist und Deutschland-Korrespondent für niederländische Medien. Seine Tochter (15) besucht ein Deutsches Gymnasium in Berlin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false