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Meinung: Angst vor dem Abschwung

Kritische Worte von Premier Zhu Rongji sind Chinas Abgeordnete gewohnt. Seit dem Amtsantritt beim Volkskongress vor vier Jahren geißelt er Korruption und Bestechlichkeit, ermahnt faule Beamte, droht maroden Staatsbetrieben mit der Schließung.

Kritische Worte von Premier Zhu Rongji sind Chinas Abgeordnete gewohnt. Seit dem Amtsantritt beim Volkskongress vor vier Jahren geißelt er Korruption und Bestechlichkeit, ermahnt faule Beamte, droht maroden Staatsbetrieben mit der Schließung. Wie kein anderer KP-Führer spricht er Probleme offen an. Doch noch nie war seine Regierungserklärung so pessimistisch wie in diesem Jahr. Mit etwas Verzögerung hat der weltweite Abschwung China erreicht. Das Wachstum ging 2001 auf 7,3 Prozent zurück.

Anderswo mag das eine Traumzahl sein, für das Entwicklungsland China reicht sie nicht. Wegen des Bevölkerungswachstums werden Jobs für die neu auf den Markt drängenden Jungarbeiter benötigt, hinzu kommen Millionen Arbeitslose aus Staatsfirmen, die Bankrott gingen. Selbst das von der Regierung für 2002 geforderte Wirtschaftswachstum ermöglicht kaum Entwicklung.

Die Modernisierung konzentriert sich an der Küste. In Shanghai, Kanton und Peking ist eine wohlhabende Mittelschicht entstanden, für die Handys und Auto genauso selbstverständlich sind wie in Europa. Doch diese Speckschicht ist dünn. In Tibet und dem moslemischen Xinjiang haben die meisten Menschen kein Telefon und fahren auf Eselskarren zu ihren Feldern. Drei Viertel der 1,3 Milliarden Chinesen leben im Hinterland, dort ist Chinas Aufschwung nie angekommen.

Meldungen von Unruhen und Aufständen in den Provinzen häufen sich. Rund die Hälfte der Chinesen lebt von der Landwirtschaft. Die Felder werden mit der Hand bestellt, die Erträge sind dürr. Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation öffnet sich Chinas Agrarmarkt für ausländische Importe. Für 20 Millionen Bauern bedeutet dies voraussichtlich das Aus. Schon heute müssen sich 100 Millionen ehemalige Landbewohner als Tagelöhner in den Städten durchschlagen.

Pekings Führer sind machtlos. Je mehr sie China für die Marktwirtschaft öffnen, desto weniger können sie die Wirtschaft steuern. Die groß angelegte "West-Kampagne" zur Ansiedelung von Industrie im Hinterland verpuffte wirkungslos. Für ausländische Investoren sind die schlecht erschlossenen Westprovinzen unattraktiv. Auch chinesische Firmen winken ab. An den Börsen in Shanghai und Shenzhen zählt nicht politische Gesinnung, sondern Rendite.

Das alles macht noch keine Dauerkrise. China gilt als Zukunftsmarkt. BASF, Siemens und Volkswagen investieren in den nächsten Jahren Milliarden Euro. Wenn die Weltwirtschaft anzieht, werden sich auch Chinas Exporte erholen. Peking musste jetzt erkennen, dass es ökonomisch nicht mehr unverwundbar ist. Die Stabilität beruhte bisher auf hohem Wachstum. Steigender Wohlstand ist die letzte Legitimation der Regierung. Ein Abschwung könnte ihr Ende bedeuten.

Harald Maass

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