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Regierungskritische Demonstranten im Jemen zeigen ihre Handflächen, die mit der libyschen, der jementischen und der syrischen Flagge bemalt sind. Der Wandel in Libyen, Ägypten und Tunesien weckt die Hoffnung der Bevölkerung.

© AFP

Arabellion: Die Sehnsucht wird siegen

Gaddafis blutiges Ende gibt dem arabischen Aufstand in Syrien und Jemen neuen Auftrieb – und wird den Reformdruck auf die übrigen Regime weiter erhöhen.

Tunesiens Ben Ali als schweigender Politflüchtling im saudischen Exil, Ägyptens Hosni Mubarak als bleicher Angeklagter im eisernen Käfig, Libyens Muammar Gaddafi als blutige Leiche auf offener Straße: Mit dieser Eskalation der Bilder können sich die übrigen arabischen Potentaten jetzt leicht ausmalen, wie sie eines Tages enden, wenn sie weiter auf ihr Volk schießen lassen. Jetzt bist du dran, Bashar!, skandierten die Menschen in Syrien, wo der Aufstand erstmals die Hauptstadt Damaskus erfasste. Bahrains Emir kann sich seine Untertanen nur mit saudischen Soldaten und pakistanischen Polizisten vom Hals halten. Hast du letzte Nacht gut geschlafen?, riefen die Menschen Jemens Präsident Saleh entgegen.

Denn Gaddafis blutiges Ende gibt dem arabischen Aufstand in Syrien und Jemen neuen Auftrieb – und wird den Reformdruck auf die übrigen Regime weiter erhöhen. Saudi-Arabiens Monarch Abdullah versuchte seine Untertanen mit Sozialgeschenken in dreistelliger Milliardenhöhe ruhigzustellen. Trotzdem fragen sich in seinem Königreich immer mehr junge Menschen, wohin die Reise eigentlich gehen soll mit ihrem Leben. Bei Frauenrechten ist das ölreiche Land Schlusslicht der Welt. Stagnation ist das dominierende Lebensgefühl. Die Führungsspitze besteht aus uralten Männern, die im Krankenhaus liegen oder im Rollstuhl sitzen.

So druckten auch in Saudi-Arabien, wie in der übrigen arabischen Welt die meisten Zeitungen das Handyfoto mit dem geschundenen Kopf des libyschen Despoten demonstrativ groß auf ihren Titelseiten. Und so kann jeder enden, der sein eigenes Volk unterdrückt, lautete die optische Botschaft. Und arabische Internetforen quellen über mit hämischen Kommentaren.

Denn die Völker sind entschlossen, nicht mehr klein beizugeben, selbst wenn es ihre Familien Abertausende Tote kostet. Sie sind entschlossen, ihre alten Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen und ihre neuen Mächtigen zur Rechenschaft zu verpflichten. Sie wollen die Zeiten straflosen Machtmissbrauchs ein für allemal beenden, auch wenn Vorreiter Tunesien und Ägypten ihre ersten Schritte nach der Selbstbefreiung als unsicher, zweifelnd und beängstigend erfahren. Tunesien erntet am Sonntag mit den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung die ersten Früchte seiner vor neun Monaten erkämpften Demokratie. Ägypten wird Ende November mit Parlamentswahlen folgen, Libyen im nächsten Jahr.

Die inneren Hypotheken aus den Jahrzehnten autokratischer Vergangenheit allerdings sind enorm hoch, die Reformbaustellen monumental: Aufbau eines säkularen Rechtsstaats und eines funktionierenden Parteiensystems, Ausarbeitung einer Verfassung, die trotz islamischer Prägung religiöse Toleranz und wirklichen Minderheitenschutz garantiert, Garantie von freien Wahlen sowie Rede- und Pressefreiheit. Tunesien und Ägypten haben beim Aufbau von Zivilgesellschaften bereits einiges erreicht. Libyen, Syrien, Saudi-Arabien oder Jemen dagegen stehen noch ganz am Anfang. Und je länger die euphorischen Tage der Revolution zurückliegen, desto klarer wird den neuen arabischen Bürgern, wie jahrzehntelang, mühsam und anstrengend der Weg in offene, liberale Gesellschaften noch werden wird. Die Chancen aber waren noch nie so groß wie heute. Die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung wird am Ende siegen.

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